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Politik

Live is life

Das Wahl-Duell zwischen Tillich und Gebhardt ist schwer zu (üb-)ertragen

  Live is life | Das Wahl-Duell zwischen Tillich und Gebhardt ist schwer zu (üb-)ertragen

Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) stellt sich kurz vor der Landtagswahl doch noch einem Rede-Duell mit dem Spitzenkandidat der Linken, Rico Gebhardt. Zusehen dürfen dabei nur ein paar ausgewählte Leute. Besuch bei einer Anti-Wahl-Veranstaltung.

»Die Wahl-Debatte« prangt in grauen Lettern über den grauen Anzügen. Fünf Männer stehen am Montagabend im Dresdner Kongresszentrum auf der Bühne und fühlen sich sehr wichtig. MP Tillich gibt sich die Ehre, an einem einzigen direkten Zusammentreffen mit einem Oppositionspolitiker teilzunehmen. Rico Gebhardt fühlt sich dadurch scheinbar geehrt. Zwischen den beiden Politikern stehen die Chefredakteure der drei sächsischen Tageszeitungen und sind stolz, dass sie schaffen, was der Heimatsender MDR nicht hinbekam. Schließlich hatte sich Tillich immer geweigert, an einem TV-Duell teilzunehmen, so dass der Fernsehsender einknickte und jetzt ein Format sendet, bei dem Tillich von irgendwo, wo er es schön findet, zugeschaltet wird.

Hier wird niemand zugeschaltet. Auch nicht all die Menschen mit Internetzugang. Es gibt keinen Live-Stream, auch keine Audio-Übertragung. Immerhin versuchen sich ein paar Redakteure im Twittern und scheitern schon daran, den gleichen Hashtag zu benutzen. »Ein Duell, live und ungekürzt«, kündigt eine Politikredakteurin der Sächsischen Zeitung in ihrer Begrüßung an. Was zumindest für die Menschen in dem Saal gilt. Ausverkauft, 450 Leser sollen hier sein. Doch wer sich umschaut, entdeckt in fast jeder Reihe leer gebliebene Plätze. Ein Großteil der Anwesenden scheinen Journalisten, Pressesprecher und Funktionäre der Dresdner Oberschicht zu sein. Oder Claqueure, die im mit dem MP-Konterfei geschmückten Reisebus angereist sind. »Wir erreichen durch die drei Zeitungen 1,8 Millionen Menschen«, geht die Redakteurin auf die Kritik ein, dass die Veranstaltung nicht übertragen wird. »Das soll ein Fernsehsender erst mal schaffen.« Nur dass diese 1,8 Millionen Leser die Information eben nicht live und ungekürzt erhalten, sondern durch die Augen der Politikredaktionen, die hier gleichzeitig als Veranstalter auftreten. Auch wenn es als Coup und Einzigartigkeit gefeiert wird, dass drei konkurrierende Verlage gemeinsam eine politische Veranstaltung organisieren, entsteht dadurch das Problem, dass eine mögliche Vielfalt der Berichterstattung verloren geht. Wer soll nun bemängeln, dass die Fragen des SZ-Chefs zur Polizeireform noch schwärzer sind als Tillich? Wer anprangern, dass die beiden Chefredakteure nicht genug nachhaken, wenn die beiden Politiker ihre Phrasen loslassen? Dass manche Themen überhaupt nicht angesprochen werden? Wem fällt auf, dass Tillich viel mehr Redezeit bekommt? Angeblich gibt es einen Timemanager (»Wächter der Zeit« wird das für die Anwesenden übersetzt). Doch der scheint eingeschlafen zu sein und wird auch nie wieder erwähnt.

Inhaltlich ist die Veranstaltung in Themenfelder wie Wirtschaft, Bildung, innere Sicherheit oder Asylpolitik eingeteilt. Beide Kandidaten zitieren dabei brav auswendig gelernt aus ihren Wahlprogrammen, wobei Tillich das erfahrungsgemäß besser hinbekommt. Gebhardt nutzt die Chance, ihn direkt anzugreifen, zu selten, fordert ihn kaum. Dass beispielsweise der Betreuungsschlüssel in sächsischen Kitas bei 1:13 liegt statt bei den von der EU empfohlenen 1:8, kritisiert Gebhardt zwar, fordert dann aber nur eine Besserung auf 1:12. Er distanziert sich beinahe von anderen Politikern seiner Fraktion, gibt Tillich gelegentlich recht, auch wenn er ein »verschiedenes Menschenbild« bei ihnen beiden ausmacht.

Tillich macht das, was er am besten kann: keine konkreten Aussagen. Der Wahlkampf scheint für ihn nur ein mit Terminen gefüllter Urlaub, in dem er von Fotografen begleitet Wandern geht. Merkel-like gibt er an diesem Abend wenig Neues bekannt, stellt populäre und undifferenzierte Sätze in den Raum wie »Omas können auch gut auf Kinder aufpassen« oder »Wir haben das Ziel, dass sich die Menschen sicher fühlen« und schaut nett in die Runde, die ihn oft unbehelligt lässt. Da kann auch der lächerlich wirkende Versuch des SZ-Chefs, Lesernähe darzustellen, indem man einen Mann zitiert, dessen Gartensparte schon 100 Mal überfallen worden ist, nichts ausrichten. Tillich wird die Wahl gewinnen, Gebhardt wird in der Opposition bleiben. So sieht das aus und so sehen das hier auch alle als unabänderbar an. Auch wenn Gebhardt kurz erklären darf, dass er bei einer Regierungsmehrheit für Rot-Rot-Grün nicht unbedingt Ministerpräsident werden muss.

Und schon hat Tillich seine einzige Wahldebatte überstanden, die eher wie eine ausführliche Pressekonferenz daherkam. Politische Gegner sitzen im Publikum und können nichts weiter sagen. SPD-Mann Martin Dulig äußert, dass er jetzt mit seiner Frau ins Kino geht, was spannender wird. Dass irgendwer durch die Wahl-Debatte dazu animiert wurde, eine Entscheidung zu treffen, wo er am 31. August sein Kreuz machen soll, ist unwahrscheinlich. Selbst das von den Veranstaltern erklärte Ziel, Leute überhaupt zur Wahl zu bewegen, dürfte so kaum erreicht worden sein. Aber glücklicherweise hats ja fast niemand gesehen.


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