Auf der Degrowth-Konferenz machten sich nicht nur Forscher, sondern auch Aktivisten und Künstler gemeinsam Gedanken darüber, wie eine Postwachstumsgesellschaft aussehen könnte. Mit vielfältigem Programm, das etwas beliebig daherkam.
Auf dem Innenhof der Uni hat sich eine riesige Schlange gebildet. Menschen warten mit Essensmarken in den Händen und unterhalten sich angeregt, neben Deutsch und Englisch hört man viel Spanisch und Italienisch. Die Stimmung ist trotz der Warterei entspannt. Als das Essen endlich da ist, ist es vegan und wird nicht auf Einweggeschirr, sondern auf einem Keramikteller serviert. Schließlich fängt ein nachhaltiger Lebensstil im Kleinen an. Willkommen auf der Degrowth-Konferenz, dem Familientreffen einer entgegen ihrem Namen stetig wachsenden Bewegung.
Vom 2. bis 6. September hatten sich nach Veranstalterangaben rund 3.000 Teilnehmer zur bisher größten Konferenz dieser Art in Leipzig zusammengefunden. Wörtlich genommen dreht sich Degrowth, zu Deutsch »Wachstumsrücknahme«, darum, das vorherrschende Paradigma des Wirtschaftswachstums in Frage zu stellen und über eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nachzudenken, die sorgsam mit Ressourcen und Umwelt umgeht und in der trotzdem jeder genug hat.
»Eine Welt ohne Wachstum ist unausweichlich«, sagt Felix Ekardt, Leipziger Nachhaltigkeits- und Klimaforscher, ehemaliger OBM-Kandidat und Referent auf der Konferenz, »denn Klimaschutz und Ressourcenknappheit können nicht allein technisch und damit wachstumskompatibel bewältigt werden. Und eine Welt, die über Klimawandel und Ressourcenschwund in Kriegen versinkt, ist nicht erstrebenswert.«
Damit formuliert Ekardt den großen Konsens der Veranstaltung. Wie eine solche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und der dazugehörige Transformationsprozess aussehen kann, darüber waren sich längst nicht alle einig. »Es sind massive Folgeprobleme zu lösen«, sagt Ekardt und zählt auf: »Wie können Unternehmen, ein Arbeitsmarkt, eine Rentenversicherung oder ein Bankensystem ohne Wachstum aussehen? Und wie sind technische Innovationen etwa im Umweltschutz, die wir trotz aller Begrenztheit dringend brauchen, möglich, wenn mangels Wachstum niemand mehr Kredite geben möchte? Und wie ganz genau könnten die Schritte des Übergangs aussehen, ohne einen Zusammenbruch mit fatalen Folgen auszulösen?«
Diese Fragestellungen alleine reichen für mehrere Konferenzen. Doch viele Teilnehmer verbinden mit dem Begriff Degrowth zudem die Aussicht auf ein besseres, erfüllteres Leben, jenseits von überbordendem Konsum und entfremdeter Arbeit. Einige davon haben sich bereits drangemacht, dieses gute Leben zu versuchen. Denn in Leipzig tauschen sich nicht nur Wissenschaftler aus, die Veranstalter haben auch ganz gezielt Aktivisten und Künstler eingeladen, um auch andere, pragmatischere Sichtweisen auf die Thematik abzubilden und existierende Alternativen vorzustellen.
Und so war das Programm fast schon zu vielfältig, es gab einige klar wissenschaftlich ausgerichtete Veranstaltungen und noch mehr, die es nicht waren. Die Besucher konnten sich aus einem bunten Themenladen aussuchen, was sie interessiert und einerseits über die Macroökonomie des Degrowth diskutieren, andererseits aber auch lernen, wie man Saatgutkisten baut, sich Geschäftsmodelle der allseits gehypeten Share-Economy oder die Degrowth-Neufassung von Michael Endes »Momo« anschauen. Zudem gab es mit dem Open Space viel Raum, um eigene Themen zu setzen, während sich auf der »Straße der Möglichkeiten« so grundverschiedene Organisationen wie Brot für die Welt, attac oder die Regionalwährung Lindentaler vorstellten. Das wirkte in seiner Vielfalt oft bereichernd, manchmal aber auch ziemlich beliebig.
Die Idee, Forscher und Aktivisten zusammenzubringen, um dezidiert Allianzen zu schmieden, ist für eine neue Bewegung nicht nur strategisch wichtig, sondern auch durchaus bereichernd, die beiden Seiten haben sich, das hat die Konferenz gezeigt, viel zu sagen. Es könne nicht darum gehen ein theoretisches Modell zu schaffen und es in die ganze Welt zu exportieren, betonte Frederico Demaria, einer der Gründer des Instituts Research & Degrowth. Es sei wichtig, zuzuhören und die Erfahrungen aus den verschiedenen Projekten weltweit zu nutzen.
Viele der anwesenden Wissenschaftler betonten den Wert der verschieden selbstorganisierten Projekte und sozialen Experimente, die als Freiräume fungieren können, in denen viel ausprobiert werden kann, in denen ein neues Wirtschaften und eine neue Form des Zusammenlebens gelernt werden kann. Doch das harmonische Miteinander von Wissenschaft und Aktivismus stieß auch an seine Grenzen, und zwar meist dann, wenn diejenigen, die sehr viel Zeit und Energie in ein Projekt stecken, große Schwierigkeiten mit Kritik an ihrer Arbeit haben.
So sieht auch Felix Ekardt das Veranstaltungskonzept ambivalent: »Diskutieren und neue Ideen sind immer gut, linkes Sektierertum und dogmatische Verengung dagegen nicht. Da war die Konferenz teils gut, teils nicht so. Die wesentlichen Fragen kamen mir zu kurz. Dies ist einer der Gründe dafür, dass man die Mainstreamgesellschaft kaum erreicht«.
Apropos Mainstream: Die Konferenzteilnehmer hielt es am letzten Tag nicht mehr hinter den Mauern der Universität. Unter dem Motto »Genug ist genug für alle« zogen am Samstag nach Veranstalterangaben rund 1.000 Menschen durch die Innenstadt, um statt Wachstumswahn ein gutes Leben zu fordern.