RB Leipzig hat es wahrlich nicht einfach. Immer muss sich der Club für irgendetwas rechtfertigen. Standen bisher vor allem Traditionslosigkeit und turbokapitalistische Raubtiermentalität in der Kritik, so schafft es RB mit kleinen Gesten jenseits des Fußballplatzes, sein Image selbst zu ramponieren.
Neuerdings – offensichtlich um die letzten beiden Niederlagen zu kompensieren – schreien den Spielern von RB auf dem Trainingsplatz weiße Großbuchstaben auf blauer Bande motivierende Weisheiten zu, unter anderem: »DIE BLUMEN DER SIEGER GEHÖREN IN VIELE VASEN« oder »MAN DARF SICH KEINE GRENZEN SETZEN, NICHTS IST UNMÖGLICH«. Es wird von Vereinsseite also einiges getan, um mögliche Relegationsspiele etwa gegen die TSG 1899 Hoffenheim zu vermeiden. Aber abseits von derartig tiefschwarzen Zukunftsbildern hält sich RB derzeit mit montierten Sitzflächen im Gespräch.
Das mag verwundern, aber sie sagen mehr als ein Dutzend beauftragter Imageanalysen: Einerseits verraten sie eine gewisse Rebellion zum geldgebenden Stammhaus aus Österreich und dessen propagiertem Bewegungsimperativ. Anderseits verrät es noch mehr zum Imagewert »regional verwurzelt«, den RB laut einer Marktforschungsanalyse für sich beanspruchen kann.
RB Leipzig – so tönte unlängst eine lokale Tageszeitung – sei vom Bann des Bösen befreit. Ein positives Image mache sich bundesweit breit, so liest es sich im Bericht weiter. Eine von RB in Auftrag gegebene Studie vermeldete mehr Komplexität in den Berichten zur Mannschaft und der RB-Präsident wie auch der Kapitän, der Cheftrainer und andere Mannschaftsmitglieder betonen, dass sich das negative Image – der Makel des Vermarktungsvehikels – verflüchtigt hätte.
Eine weitere Analyse bei 259 Fußballinteressierten aus dem vergangenen August – geschrieben von einem Karlsruher Marktforschungs- und Medienanalyse-Institut – besagt, dass RB gesteigerte Imagewerte aufweise. Am ehesten wird dabei »ambitioniert« gefolgt von »regional verwurzelt« und am wenigsten »bodenständig« genannt.
Nun, damit können andere nachweisbare Werte vergessen werden. Etwa der schlechteste Markenindex in der Studie der TU Braunschweig im vergangenen Jahr, die auf über 4.000 Aussagen zu Erst- und Zweitligamannschaften basiert. RB schnitt dort unter den 36 Erst- und Zweitligisten noch hinter Sandhausen und Heidenheim ab.
Wer nun unabhängig von Markt und Sponsoring schaut, der fand die Mannschaft im vergangenen Jahr weder in der Auswahl zur Mannschaft des Jahres in Sachsen noch auf den ersten drei Plätzen bei der Wahl zur Mannschaft des Jahres in Leipzig, die zum großen Teil das Publikum benennt.
Aber was hat das nun mit Sitzplätzen und ramponiertem Image zu tun? Eine ganze Menge, denn wer ein positives Image für sich beanspruchen wie auch das Regionale nicht aus den Augen verlieren möchte, der sollte Wert auf das Verhältnis zu seiner Umgebung legen.
Im Herbst wurde am Cottaweg die Red Bull Fußballakademie eingeweiht. Aus dem Architekturbüro Scheffle Hellbich stammt der Bau und die Entwürfe zeigen auf dem Platz vor dem Haupteingang eine plane Fläche ohne Gestaltungselemente. An den Vorplatz grenzt die Cafeteria mit Fanshopecke, die die in Vereinsfarben gehaltene Bestuhlung bei schönem Wetter vor die Tür stellt. Hier wie auch im Eingangsbereich flackern dynamische Bilder von Flatscreens, die aus dem Bewegungsuniversum des Getränkesponsors und Sportkanälen stammen. Über die Bilder legen sich die Melodien eines regionalen Radiosenders.
Vor dem Haupteingang befanden sich bis Anfang März graue Betonelemente, die aufgrund ihrer Gestaltung und Aufstellung zum Skaten und Biken einluden. Sie werden allerdings bei der Bewerbung des neuen Geländes auf der RB-Homepage außen vorgelassen. Beim Rundgang durch das Gebäude und den Außenbereich im Herbst befand die Autorin es als eine schöne Geste, dass die Fußballjungs eine Skater- und Bike-Anlage direkt vor die Tür geliefert bekamen, obwohl eine gewisse Verletzungsgefahr bei Toptalenten doch möglich sei. Dies dem begleitenden Pressesprecher gegenüber geäußert, schaute dieser nur konsterniert und fragte: »Welche Anlage?« Und das, obwohl die Betonoberflächen schon deutliche Gebrauchsspuren aufwiesen.
Auf die damals geäußerte Frage, ob die Freifläche vor dem Gebäude öffentlich zugänglich oder perspektivisch mit einem Zaun von der Umgebung abgesperrt wird, erklang ein entschiedenes »Nein«. Also war davon auszugehen, wenn kein Zaun vorhanden ist, dann setzt dies auf jeden Fall ein öffentliches Betreten der Fläche voraus, einschließlich der Nutzung der darauf befindlichen Elemente. Ansonsten könnten nur Verbotsschilder die gewünschte Verweilform vorgeben.
Eine derartige Anlage macht durchaus Sinn, da der Getränkehersteller in seinem Sportzirkus fast dreißig Skater unterstützt, die weltweit mit dem dazugehörigen Branding auftreten. Die Anlage in Leipzig erhielten nun Anfang März teilweise Holzverkleidungen und eine Rampe wurde mit vier Radstellplätzen bestückt. Anstelle von Bewegung dann doch eher Kontemplation im Sitzen.
Davor schrieben die Skater von Urban Souls an RB Vorschläge zu festen Zeiten, um die Anlage zu nutzen und potentielle Konflikte zu vermeiden, so Malte Reinke-Dieker von Urban Souls auf kreuzer-Anfrage. Darauf folgte keine Antwort. Die RB-Medienabteilung wisse von keiner Anfrage, sagte Sprecher Benjamin Ippoliti zum kreuzer. Da sich die Akademie auf Privatgelände (genauer Erbpachtgelände von der Stadt Leipzig) befindet, kann der Pächter sein Gelände nach eigenem und nicht gesellschaftlichem Dünken gestalten. RB Leipzig beabsichtigte nie, auf dem Vorplatz eine Skater-Anlage zu errichten. Bereits im Bauprozess wurde vielmehr Wert auf Sitzelemente gelegt, um einen »Ort der Begegnung« zu schaffen. Weshalb man nun ausgerechnet für diesen Ruheort auf die Dienstleistungen eines Kölner Spezialisten für Bike- und Skater-Anlagen zurückgriff, bleibt eine Frage. Das Büro um Ralf Maier lieferte »bespielbare Sitzelemente (Skaten)« ab und möchte sich dazu nicht mehr öffentlich äußern. Auf der Homepage ist nach wie vor zu lesen: »Schöne Curbs. Für das RB-Trainingszentrum haben wir Bike- und Skateelemente für den Vorplatz geplant.«
Und um auf das ramponierte Image zurückzukommen: Ein Sitzort für Begegnungen scheint von den dynamischen Aussagen des Unternehmens, das den Ort finanziert, Lichtjahre entfernt. Das kann einerseits als lokaler Widerstand gedeutet werden. Andererseits zeigen die Sitze wie kurz die Verantwortlichen von RB denken. Es fehlt dabei nicht nur das Gespür für urbane Zusammenhänge, sondern zeugt von einer Überambitioniertheit, um alles nach eigenem Plan zu meistern.