anzeige
anzeige
Konzertkritik

Sterbende Fragezeichen

Das In Flammen Open Air geriet zum mächtigen Dokument der Endlichkeit

  Sterbende Fragezeichen | Das In Flammen Open Air geriet zum mächtigen Dokument der Endlichkeit

»Ihr werdet alle sterben«: Nicht nur Ghoul stießen das Publikum auf seine Endlichkeit. Das In Flammen Open Air war ein einziges Mahnmal, das Leben aufgrund der begrenzten Zeit in vollen Zügen zu genießen. Und zugleich selbst ein prima Beispiel für solchen Genuss. Denn: ein Memento mori in Metal.

Drei riesige Kreuze markieren den heiligen Boden am Torgauer Stadtrand. Wie bei den Schatzkarten in Kinderbüchern geben die die! Fragezeichen (englisch für stirb, Questionmark) kund: Man ist angekommen. Gleich gegenüber auf der Wiese befindet sich die kleine Waldbühne, auf der das Publikum gut beschattet die Hauptacts sehen kann. Nur ein paar hundert Meter entfernt ließen sich in der Zeltbühne einige experimentellere Bands bestaunen und gleich daneben zog sich das Zeltgelände auf. Man merkt: Das In Flammen ist das Festival der kurzen Wege – und der familiären Atmosphäre. Denn nicht nur gab es wieder eine kostenlose Kaffee-und-Kuchen-Tafel. Man kann sich auch Jahr um Jahr übers Wiedertreffen mit denselben Leute freuen.

Einen guten Rundumschlag verschiedener Metal-Stile hatte Veranstalter Thomas Richter  auch in diesem Jahr versammelt. Die Liste einzeln zu besprechen, zu loben und zu meckern, überlasse ich Fachmagazinen und bedanke mich bei Metal Impetus (www.metalimpetus.de) für allerlei Off-Beat-Erklärungen. Der ehemalige Vorglüh-Donnerstag hat sich mittlerweile zum eigenständigen Festivaltag entwickelt; auch wenn über die Live-Qualität von Sear Bliss und Holy Moses die Meinungen sehr auseinander gingen.  Als dieses Mal Freitagsanreisender kann ich da leider nicht mitstreiten. Nächstes Mal müssen die Termine anders gelegt werden. Und wenn ich dann nicht wieder das Ticket vergesse und in Eilenburg noch mal umdrehen muss, kann ich auch mehr über erste Bands sprechen.

Nach dem selten dämlichen, selbst verursachten Fehlstart ging es mit Graveyard endlich richtig los. Sie versetzten mich mit gut groovigem Old-School-Death-Pressschlag in die optimale Festivalstimmung. Die blieb dann für anderthalb Tage in Hochform, besonders dank Sympathiegaranten wie Nifelheim und Krisiun. Erstere kamen etwas gerupft daher, weil ihre typischen, von Nieten strotzenden Klamotten auf Reisen verloren gegangen waren. Ihrem Auftritt tat das aber kein Abbruch und die Frontmann-Zwillinge ließen zum doch sehr traditionellen Black-Metal ihr schütter werdendes Haar kreisen. Nicht mehr ganz taufrisch, aber keineswegs abgestanden schlossen Krisiun die Freitagnacht ab. Am Samstag retteten mich besonders Disbelief über den Tag. Die können es einfach immer wieder und zogen mich mit ihrer eigenständigen Death-Mutation einmal mehr auf ihre Seite.

Überraschendes gab es mit The Great Cold. Sie überzogen das Zelt mit imaginativem Athmo-Post-Black, bei dem insbesondere das hier und da Off-Beats setzende Schlagzeug überzeugte. Eine feine Instrumental-Reise auf mäandernden Musikwegen, manchmal hätte ich mir Gesang als zusätzliches Instrument gewünscht. Ähnlich imposant und noch eine Spur druckvoller preschten Ultha ebenfalls auf der Zeltbühne vor. Ihre zweistimmigen, kunstvollen Black-Stücke waren vom klischeebefreiten Keyboardspiel unterlegt, alles zu Hymnische umschifften sie gut.

Als persönliches und persönlichstes Highlight brannten sich Memoriam ins Gedächtnis. Die Band gründete sich als Erinnerung an den verstorbenen Bolt-Thrower-Drummer – der zur Auflösung von Bolt Thrower führte. Fannah wie eh und je agierte Frontmann Karl Willetts und wurde inhaltlich sehr unmittelbar. Es ging um Gewalt und Krieg, er widmete einen Song seiner an Demenz leidenden Mutter und immer wieder schien das Thema Tod durch. Das kann man kitschig finden. Aber allein durch die Art der Präsentation und viel mehr noch ihr musikalisch extrem treibendes Death-Metal-Erdbeben punkteten Memoriam zumindest bei mir am meisten. Und darum gehts ja: Wir werden alle sterben, da wird man mir solch subjektiven Hochgenuss nicht missgönnen. Wie ich niemanden sein trunkenes Lied (»Alle Lust will Ewigkeit«) verleiden mag.


Kommentieren


0 Kommentar(e)