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Politik

»Erbärmliches Versagen«

Die KWL hat auch in der Berufung gegen die UBS gewonnen, trotzdem verliert die Stadt viel Geld

  »Erbärmliches Versagen« | Die KWL hat auch in der Berufung gegen die UBS gewonnen, trotzdem verliert die Stadt viel Geld

»Erneuter Sieg für die Leipziger Wasserwerke in London«, jubelte heute die Stadt. Die Berufung der UBS gegen das Urteil von 2014 wurde zurückgewiesen. Um die Hintergründe zu erklären, veröffentlichen wir an dieser Stelle einen Text aus dem Dezember-kreuzer von 2014. Schon damals war klar, dass auf die Stadt dennoch Kosten in Höhe von mindestens 50 Millionen Euro zukommen dürften. Zudem hatte nach dem gewonnenen KWL-Prozess der Londoner Richter den politisch Verantwortlichen in Leipzig ein verheerendes Urteil ausgestellt.

Hätte Leipzig für die irrwitzigen Finanzwetten des korrupten Geschäftsführers der Kommunalen Wasserwerke (KWL) Klaus Heininger und seines saumseligen Co-Managers zahlen müssen, es hätte reingehauen: 350 Millionen Euro wären an die Schweizer Großbank UBS sowie an die Landesbank Baden-Württemberg und die Depfa-Bank geflossen. Diese gewaltige Summe hätte die Stadt eilends über einen Kredit finanziert und dann langsam abgestottert. Zwar versagte sich die Verwaltung bis zum Ende des Londoner Prozesses aus taktischen Gründen genaue Einsparszenarien, doch so manches alte Wasserrohr mehr wäre geplatzt und die eine oder andere Eisen-Tatra über Jahre weitergerumpelt. Das stand schon fest. Denn die Landesdirektion, die als Kontrollbehörde über Leipzig thront, hatte schon im Herbst 2011 verfügt, dass die LVV-Holding mit ihren Töchtern Stadtwerke, Wasserwerke und Verkehrsbetriebe im Ernstfall für einen Gutteil des Schadens aufkommen müsse. Konkret: Die kommunalen Unternehmen hätten ihre jährlichen Investitionen um 40 Millionen Euro, mehr als ein Viertel des entsprechenden Budgets, senken müssen.

Dass es nun nicht so kommt, ist dem eindeutigen Urteil von Stephen Males zu verdanken.

Der Richter am High Court of Justice hatte sich durch Berge von Unterlagen gelesen – anders als in Deutschland müssen die Prozessparteien in Großbritannien alle Verträge, Sitzungsprotokolle, Telefonmitschriften und E-Mails, die auch nur entfernt mit dem Streitgegenstand zu tun haben, offenlegen. Bis ins Detail vorbereitet, hörte er an 42 Verhandlungsstagen 27 Zeugen und stellte der Schweizer UBS am Ende ein vernichtendes Zeugnis aus. Die Bank habe unehrlich gehandelt, weil die vertraglich an die KWL gebundenen Finanzberater, die das Zockergeschäft vermittelt hatten, zugleich und ohne Wissen der Wasserwerke enge Partner der UBS waren. Dieser eindeutige Interessenkonflikt mache nicht nur die Verträge mit dem Leipziger Unternehmen von Grund auf nichtig und damit alle Ansprüche für die geplatzten Finanzwetten hinfällig, sondern führe auch dazu, dass sich die UBS die Bestechung des KWL-Chefs Klaus Heininger »juristisch« zurechnen lassen müsse.

Die Finanzberater – zwei Deutsche mit Firmensitz in der Schweiz – hatten den damaligen Wasserwerke-Manager mit 3,7 Millionen Euro geschmiert. Dass Mitarbeiter der UBS von der Bestechung wussten, ließ sich im Prozess nicht nachweisen. Außerdem beschied der Richter der UBS, sie habe die Finanzwetten der KWL miserabel verwaltet: »Tatsächlich wäre das Ergebnis wesentlich besser gewesen, wenn die Wertpapierdepots überhaupt nicht gemanagt worden wären.« Sämtliche Verluste seien durch grobes Versagen des zuständigen Bankers, der eigentlich Risiken überwachen und kränkelnde Papiere austauschen sollte, verursacht worden. Ob die Inkompetenz, die Males dem UBS-Mann bescheinigte, vielleicht auch Absicht war, um den Wasserwerken Schrottpapiere überzuhelfen, konnte im Prozess nicht belegt werden. Für den Richter enthüllte das Verfahren eine »traurige Geschichte über Gier und Korruption, die weder der UBS noch der KWL zur Ehre gereicht«. Er beschrieb, wie der UBS-Banker, der das Wettgeschäft mit den Wasserwerken einfädelte, die beiden Finanzberater – man kannte sich aus gemeinsamen Tagen bei einer anderen Bank – auf ihren »Geschäftsreisen« in die USA unterhielt, indem er Stripperinnen für sie anheuern ließ. Als die Vermittler einmal unzufrieden mit dem Dargebotenen waren, bezahlte er die Frauen großzügig aus eigener Tasche, stellte aber Auto und Abendessen den Wasserwerken in Rechnung.

Klaus Heininger charakterisierte der Richter als »Kriminellen, der sein Unternehmen zum eigenen Vorteil ausplündern konnte« und dem es auch gelang, den »bemerkenswert gleichgultigen« Aufsichtsrat der KWL zu täuschen. Einmal, im September 2006, berichtete Heininger seinen Kontrolleuren von den Geschäften mit der UBS. Er tischte ihnen ein Lügenmärchen auf, indem er die hochriskanten Finanzwetten verschwieg, fabulierte aber über zusätzlichen Versicherungsschutz, der auch noch 4,5 Millionen Euro Gewinn bringen würde. Der offenkundige Widerspruch, dass eine Versicherung Geld erwirtschaften statt kosten sollte, fiel zur Verwunderung des Richters niemandem auf: »Die Mitglieder des Aufsichtsrates … haben komplett versagt, indem sie nicht einmal die grundsätzlichsten Fragen stellten. Ihr Verhalten stellte ein erbärmliches Versagen dar, jegliche Form von Kontrolle oder Aufsicht über die Geschätsführer wahrzunehmen.«

Es sind ausgerechnet zwei Frauen, die in dem Urteil am besten wegkommen. Beide behielten klaren Kopf, scheiterten aber an der Macho-Kultur in ihrem Umfeld. Die eine, Jeanne Short, arbeitete für die Kreditabteilung von UBS Europe und legte ihr Veto gegen Wettgeschäfte mit der KWL ein, weil sie diese als zu riskant für ein kommunales Unternehmen mittlerer Größe ansah. Der Banker, der den Deal um jeden Preis wollte, umging sie einfach und ließ seine Beziehungen in die Chefetage spielen, wo man seine Gier nach margenträchtigen Abschlüssen mit Leipzig und später mit anderen Kommunen in Europa teilte. Die andere, Bettina Kudla, war damals Finanzbürgermeisterin in Leipzig. Die CDU-Politikerin entdeckte Hinweise auf bis dahin unbekannte Finanzgeschäfte der Wasserwerke und hakte nach. Doch die Geschäftsführer blockten ihre Fragen ab und auch bei der Verwaltungsspitze fand sie kein Gehör.

Die Berufung, die von der UBS angekündigt wurde, braucht Leipzig kaum zu fürchten. Die rechtlichen Hürden dafür sind in Großbritannien ohnehin hoch, angesichts der Gründlichkeit des Urteils scheinen sie unüberwindbar. Doch trotz des »klaren Auswärtssieges in London«, wie Oberbürgermeister Burkhard Jung in seiner E-Mail an die Stadträte jubelte, konnte sich die Stadt nicht völlig schadlos halten. Die Rückabwicklungs- und die Anwaltskosten, die Leipzig auch nach dem Sieg vor Gericht zu übernehmen hat, dürften sich am Ende auf wenigstens 50 Millionen Euro summieren. Die profitablen Kommunalbetriebe Perdata (IT-Dienstleister) und HL Komm (Telekommunikationsdienstleister) sind komplett privatisiert worden, weil die Landesdirektion verlangt hatte, dass die Stadtholding LVV Unternehmen verkauft, um die Erlöse für den Schadensfall anzusparen. Zwar konnten auf diese Weise 68 Millionen Euro angelegt werden, die jetzt vor allem in den Schuldenabbau der LVV fließen werden, doch langfristig fehlen zwei kleinere, aber zuverlässige Gewinnbringer im kommunalen Unternehmensverbund.

Die bittere Ironie des Londoner Urteils besteht darin, dass Leipzig nun wieder um ein Crossborder-Leasing-Geschäft der Wasserwerke bangen muss. 2003 hatte die KWL ihr Trinkwassernetz an einen US-Investor »verleast«. 2033 läuft der Vertrag aus, dann kann die Stadt die Anlagen zurückkaufen. Bis dahin muss sich die dafür bestimmte Anleihe des US-Konzerns MBIA auf 250 Millionen Dollar (entspricht derzeit 200 Millionen Euro) aufzinsen, ansonsten zahlt Leipzig drauf. MBIA geriet mit der Finanzkrise ins Trudeln, die Anleihe gilt seither als gefährdet. Selbst ein Totalausfall ist nicht unwahrscheinlich. In dem Finanzwettenpaket, das vom Gericht retour an die UBS ging, war neben vielem Schrott auch ein Edelstein verpackt: eine Versicherung für die MBIA-Anleihe. Diese ist nun mit dem Urteil, das sämtliche Verträge für ungültig erklärt hat, ebenfalls weg. Eine neue Absicherung wäre unbezahlbar; Leipzig kann bis auf Weiteres nur für MBIA beten. Der Ausflug der Stadt ins globale Zockerstadl, einst als unglaublich clevere Geldbeschaffungsmaßnahme gestartet, ist noch längst nicht vorbei.


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1 Kommentar(e)

Maximilian 17.11.2017 | um 15:36 Uhr

Danke an den Kreuzer für diese hervorragende Recherche!