Bereits zum dritten Mal innerhalb von zwölf Monaten treffen Chemie und Lok am kommenden Mittwoch aufeinander. Während bei Lok heftig um Fans und Stimmung im Stadion gebuhlt wird, scheint bei Chemie fast alles in Butter.
Flaute vs. Megastolz
Die überdimensionale Stadionuhr im Bruno-Plache-Stadion zeigte die 77. Spielminute beim Achtelfinale des Sachsenpokals an. Das Wetter war für einen Mittwochabend Anfang November recht annehmbar, das Flutlicht strahlte, Lok hatte gerade das dritte Gegentor kassiert, sodass Pfiffe von den nicht einmal 1.600 Zuschauern sehr deutlich zu hören waren. Die Ultras rollten ihre Zaunfahnen ein. Das war’s. Die Stimmung bei Lok hatte einen neuen Tiefpunkt erreicht. Aber warum?
Das Pokalspiel Anfang November fing ganz vielversprechend an. In der vergangenen Saison stand Lok im Pokalfinale und musste sich erst dem Drittligisten Chemnitzer FC geschlagen geben. Vor dem Anpfiff wurde »Atemlos« gespielt. Nachdem Bautzen das erste Tor schoss und etliche Torchancen ausließ, loste Lok-Legende Henning Frenzel, der 1976 mit Lok den FDGB-Pokal gewann, in der Halbzeitpause die Partien für das Viertelfinale aus. Als Frenzel die ersten drei Partien gezogen hatte und die letzte Begegnung mit Chemie Leipzig als Heimmannschaft gegen den Gewinner der laufenden Partie Lok gegen Bautzen feststand, kam erstmals an diesem Abend richtig Stimmung auf. Das hätte nämlich das vierte Derby in gut einem Jahr bedeutet. Aber Lok kam auch in der zweiten Halbzeit nicht ins Spiel und verlor gegen Bautzen. Und Bautzen wiederum verlor wenige Tage später im Leutzscher Alfred-Kunze-Sportpark bei Chemie.
Zuvor gewann Chemie vor mehr als 4.000 Fans im Leutzscher Alfred-Kunze-Sportpark in der Dritten Pokalrunde gegen den Drittligisten FSV Zwickau mit einem 4 zu 2. Dies veranlasste die Leutzscher Fankurve zum Banner »Wir sind megastolz auf euch« nach der 0 zu 3 Niederlage im Ligaspiel gegen den Berliner AK.
Ligaalltag
Aber es ist nicht nur die Stimmung bei Pokalspielen, die Chemie und Lok in dieser Saison so grundlegend unterscheidet. Wer sich am Sonntag die Bilder vom Spiel BFC Dynamo gegen Lok aus dem Ostberliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark anschaute, der musste verwundert den Kopf schütteln. 200 Gästefans schworen die Mannschaft nach der Niederlage auf das Derby ein. Vor einem Jahr begleiteten noch 1.000 Fans ihre Mannschaft in die Hauptstadt.
Selbst Lokfans kommentierten vorab spöttisch auf Facebook die Frage, ob es einen Sonderzug zum BFC-Spiel geben würde: »Da reicht ein Bus – wir sind doch nicht Chemie.«
Zum Chemiespiel gegen den BFC reisten einige Wochen zuvor über 1.000 Chemie-Fans einschließlich Sonderzug an und unterstützten ihre Mannschaft vor, während und nach dem Spiel gewaltig.
Und die Lok-Verantwortlichen mühen sich. Allein bei der Autogrammstunde am Samstag mit den Derbytorschützen Robert Zickert (beim diesjährigen Regionalligaauftakt) und Hiromu Watahiki (Pokalspiel im November) im innerstädtischen Lokfanshop kam nur eine sehr überschaubare Menge an Fans.
Aber warum? Die Mannschaft steht auf Platz 5 in der Regionalliga. Abgesehen von dem desaströsen Pokalspiel gegen Bautzen zeigte sich die Elf bei den Heimspielen nicht völlig von der Rolle, trotzdem murrten die Fans und machten ihrem Unmut während und nach dem Spiel Luft. Verantwortliche und Spieler zucken die Schultern und wissen nicht warum. Tragen die Kombitickets, die Lok zum Derby verkauft, allein die Schuld oder herrscht eine allgemeine Unzufriedenheit?
Die Debatte zu den Kombitickets lässt in den Social Media-Kanälen erahnen, dass der Unmut nicht nur mit der spielerischen Eleganz zutun hat.
Wer ohne Dauerkarte das vorgezogene Spiel gegen Chemie sehen möchte, muss zwei Karten kaufen. So kann er sich nicht nur das Derby, sondern entweder noch das Heimspiel gegen Fürstenwalde (derzeit Tabellendritter) oder gegen den Berliner AK (Platz 6) anschauen. Aufgrund ihrer jeweiligen Tabellennähe zu Lok stellen beide Mannschaften durchaus attraktive Gegner dar. Aber es geht hier offensichtlich nicht um die sportliche Entwicklung, vielmehr möchten die Fans frei entscheiden, welche Spiele sie sehen und welche nicht. Das Kombiticket löste zudem bei den Fans Befürchtungen aus, dass sich Lok dem Kommerz verschreiben würde. Die Vereinsführung argumentiert, dass so die Einnahmen der Wintermonate kompensiert werden sollen.
Im Gegensatz zur wahren Torflut in den Pokalspielen hält sich die Mannschaft von Dietmar Demuth in der Regionalliga sehr zurück. Das aktuelle Torverhältnis lautet 8 zu 26 und 12 Punkte, was Chemie derzeit den 16. Platz in der Regionalliga bescherte. Doch Demuth blickt optimistisch in die Zukunft und in Richtung Klassenerhalt. Vor kurzem kehrten mit Alexander Bury und Tim Bunge zwei Langzeitverletzte zurück. Und auch die Zuschauer konnten bei der Partie gegen Neugersdorf ansehbaren Fußball erleben. Das altbekannte Problem lautet: Chancenverwertung.
Das Derby
Lok steht derzeit auf Tabellenplatz 5 mit 23 Punkten, was Loktrainer Heiko Scholz vor dem Derby im Vergleich zum Tabellenplatz von Chemie nicht als relevant betrachtet. Nimmt man die bisherigen Siege von Lok gegen Chemie noch hinzu, dürfte Lok die Favoritenrolle nicht von sich weisen. Scholz spricht allerdings von einem Spiel auf Augenhöhe.
Beide Mannschaften sind laut ihren Trainern hoch motiviert und gut gelaunt, obwohl beide am vergangenen Wochenende verloren. Beim Sonntagsspiel von Chemie gegen den FC Oberlausitz Neugersdorf erhielt Daniel Heinze zudem seine fünfte Gelbe Karte und fehlt am Mittwoch. Da der Ersatztorhüter Marcus Dölz laut Chemietrainer Dietmar Demuth einige Trainingsrückstände aufweist, dürfen sich – so Demuth – die Lokfans auf ein Wiedersehen mit dem ehemaligen Loktorhüter Julien Latendresse-Levesque freuen.
Trainerkollege Scholz war darüber bei der Pressekonferenz sichtlich unerfreut und hofft, dass sein angeschlagener Kapitän Markus Krug am Mittwoch wieder auflaufen kann. Er fehlte bereits beim ersten Derby im vergangenen November. Allerdings schafften Krugs verbaler und nonverbaler Ausraster gegen Chemie-Vertreidiger Marko Trogrlic den Sprung in den Lokwandkalender 2018.
Co-Kapitän Robert Zickert spielt – wie auch Chemiekapitän Stefan Karau – mit Maske. Beide Verteidiger erlebten in dieser Saison bereits mehrere Nasenbrüche und zählen zu den »harten Hunden« ihrer Mannschaften. Während Karau bisher zwei Gelbe Karten sammelte, stehen bei Zickert vier zu Buche.