Vielleicht ist der Obstanbau daran schuld, dass das Grundwasser im Raum Leipzig zu viel Nitrat enthält – so lässt sich, leicht überspitzt, ein Bericht der Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) zusammenfassen, der die Region mit einem Radius von 50 Kilometern um die Stadt betrachtet. In diesem Gebiet liegen 35 Messstellen, an denen Behörden jährlich die Wasserqualität untersuchen. Der WWF-Bericht hat die amtlichen Zahlen für den Nitratgehalt von 2008 bis 2014 zusammengefasst: Zwischen 37 und 51 Prozent der Messstellen hatten im Zeitraum Werte über dem gesetzlich zulässigen Grenzwert, bei 11 bis 26 Prozent lagen die Nitratwerte beim Doppelten des Grenzwerts.
Überschüsse von Nitrat gelangen ins Grundwasser und ins Fließ- und Oberflächenwasser. Sie können Gewässer eutrophieren, also im Übermaß mit Nährstoffen anreichern, Böden versauern, die Artenvielfalt verkleinern. Nimmt der Mensch Nitrat zu sich, wird es im menschlichen Darm zu Nitriten umgebaut, die giftig sind.
Vergleicht man die hiesigen Nitratwerte mit anderen Regionen, sind sie nicht ungewöhnlich. Allerdings, das betont Martin Meißner vom WWF, sind sie um die Messestadt herum nicht so erwartbar wie anderswo. »In Gebieten mit viel Viehhaltung wie in Oldenburg liegen ungefähr 25 bis 30 Prozent der Messstellen über dem Grenzwert. Dagegen gibt es zum Beispiel um Potsdam zwar auch Überschreitungen, aber nicht mal im zweistelligen Prozentbereich.« Viel Vieh heißt viel Stickstoffeintrag. Um Leipzig herum gibt es aber nur wenig Viehhaltung.
Mögliche Quellen für die hohen Nitratwerte sind die punktuelle Eintragung von einem Klärwerk, das nicht richtig gearbeitet hat, oder von einer alten Deponie ausgeschwemmte Rückstände. Dies hält Meißner nicht für besonders wahrscheinlich – auch weil die entsprechenden Werte über längere Zeit und wiederholt an vielen Messstellen auftraten. »Ein hoher Austrag von Stickstoff heißt, dass ein hoher Eintrag stattfand«, sagt Meißner. Im Obstanbau beispielsweise gibt es oftmals offene Flächen. Fehlt zwischen den Bäumen die Begrünung, erreicht der Niederschlag – und mit ihm der im Wasser gelöste Stickstoff – schnell das Grundwasser. Der Eintrag ließe sich abmildern, indem der Boden begrünt wird. Der Verzicht auf Kunstdünger ist ebenfalls hilfreich, weil bei natürlichem Dünger wie Mist die Zersetzung viel langsamer stattfindet.
Auch Andreas Musolff vom Department für Hydrogeologie am Umweltforschungszentrum findet die erhöhten Werte für landwirtschaftlich genutzte Gebiete nicht untypisch. Seiner Einschätzung nach sind die Stickstoffüberschüsse zu hoch, weil zu viel und zu wenig effizient gedüngt wird. Für Meißner vom WWF ist es verständlich, wenn die Landwirte auf ihrer Fläche möglichst viel Ertrag rausholten, was eine hohe Düngergabe einschließt. Behörden und Landwirtschaft sollten eine Lösung finden, um Überschüsse zu vermeiden, etwa duch Beratung. »Unser Grundwasser ist ja auch ein Schutzgut.«
Die Strategie, die Düngerverwertung anzupassen und effizienter zu gestalten, verfolgt das sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft seit 2008. Dafür gründeten sich in besonders belasteten Gebieten Arbeitskreise mit den dortigen Landwirten: »In diesem Rahmen werden neue und innovative Maßnahmen zur Minderung der Stoffausträge erprobt und umgesetzt«, so heißt es im Landesamt. Der Erfolg ist nicht unmittelbar bestimmbar: »da einerseits die Transportzeiten von Niederschlag in das und im Grundwasser selbst sehr langsam sind und die entnommene Grundwasserprobe oft eine Mischung unterschiedlich alten Wassers darstellt, was eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Zeit und damit einer bestimmten Bewirtschaftungsform erschwert.«
Für Wasserwerke bedeuten geringere Nitratbelastungen auch weniger Kosten, weil weniger Schutz- und Aufbereitungsmaßnahmen fürs Trinkwasser notwendig sind. Für die Stadt Leipzig und umliegende Gemeinden, die von den Leipziger Wasserwerken versorgt werden, gibt es da kein Problem, die Nitratwerte liegen seit Jahren stabil weit unterm Grenzwert. Den Grund dafür nennt man bei den Leipziger Wasserwerken »vorsorgenden Trinkwasserschutz«: Dort, wo das Wasser herstammt, wird seit 25 Jahren ökologischer Landbau betrieben, der ohne Kunstdünger auskommt.