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Politik

Freispruch für einen, der sich beschweren wollte

Ein Mann reicht Beschwerde gegen eine Polizistin ein – und wird selbst angezeigt

  Freispruch für einen, der sich beschweren wollte | Ein Mann reicht Beschwerde gegen eine Polizistin ein – und wird selbst angezeigt

Im Herbst 2016 reichte der Fotograf Marco Santos Beschwerde gegen eine Polizistin bei der zentralen Beschwerdestelle der sächsischen Polizei ein – und erhielt eine Gegenanzeige. Jetzt wurde er freigesprochen.

Nach nur dreißig Minuten ist die Verhandlung vorbei – für ein Dutzend leicht amüsierte Anwesende und den Angeklagten Marco Santos, der die Aussage verweigert. Auch die beiden Zeugen werden innerhalb weniger Minuten wieder aus dem Zeugenstand entlassen, darunter die Polizistin aus Dresden, die Anzeige erstattet hatte. Die Staatsanwaltschaft warf Santos die Verbreitung eines Videos und damit einen Verstoß gegen das Kunst- und Urheberrecht vor. Santos hatte gefilmt, wie die Polizistin ihm bei einer Demonstration in Heidenau ihren Dienstausweis falsch herum zeigte, so dass er die Dienstnummer nicht lesen oder dokumentieren konnte. Santos reichte bei der zentralen Beschwerdestelle eine Beschwerde mit Video ein – und bekam dafür Gegenanzeige wegen unrechtmäßiger Verbreitung.

Absurd, meint seine Anwältin. Denn das Video war nicht öffentlich zugänglich, lediglich Personen mit den entsprechenden Zugangsdaten konnten es betrachten. Zweck des Hochladens war, es der Beschwerdestelle zugänglich zu machen. In einer Erklärung des Angeklagten, die seine Anwältin verlas, heißt es, die Polizei selbst habe das Video verbreitet. Die Beschwerde sei von der Beschwerdestelle zu verschiedenen Polizeidirektionen in Pirna, Dresden, Leipzig und zwischendurch wieder zurückgeschickt worden, bis sie letztendlich der Staatsanwaltschaft in Leipzig vorlag. Das Ergebnis: 130 Aufrufe.

Auch die betroffene Polizistin hat das Video angeschaut. Da habe sie das erste Mal gesehen, dass sie gefilmt wurde, sagt sie im Gerichtssaal. Neben ihr haben es auch noch weitere Polizisten gesehen, die Polizistin selbst habe es Kollegen gezeigt, sagt Santos Anwältin. Und dennoch: Die Staatsanwaltschaft beharrt darauf, dass Santos das Video öffentlich verbreitete, da jeder, der Zugriff auf den Link habe, sich das Video anschauen könnte. Außerdem habe der Angeklagte schon mit der Verbreitung des Videos angefangen, als er den Link an die Beschwerdestelle schickte.

Die Forderung der Staatsanwaltschaft belief sich schließlich auf eine Geldstrafe von fünfzig Tagessätzen à vierzig Euro. Ein Urteilsvorschlag, der nicht nur die Zuhörer im Raum mit verwirrten Blicken zurückließ, sondern den auch die Richterin ablehnte. Sie sprach Santos frei, da das Video zum einen nicht öffentlich und somit nicht von jedem einsehbar war und er zum anderen das Video als Beweissicherung auch ohne die Zustimmung der Polizistin aufnehmen und der Beschwerdestelle schicken durfte.

Der Fall zeigt, welche Probleme mit der zentralen Beschwerdestelle einhergehen. Die Stelle ist Teil der Institution Polizei – von Unabhängigkeit kann also kaum die Rede sein. Die Verbreitung des Videos geschah intern, was letztendlich zu einer Gegenanzeige geführt hat. Über den eigentlichen Anlass der Beschwerde, nämlich die Verweigerung der Polizistin, ihren Dienstausweis zu zeigen, redete letztlich niemand mehr. Dienstrechtliche Konsequenzen erfuhr die Polizistin nicht.


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1 Kommentar(e)

jaensen 19.12.2017 | um 13:07 Uhr

Naja, klingt irgendwie so, als ob das Video einfach auf YouTube o.ä. hochgeladen wurde. Defacto ist es damit jedem zugänglich. Nicht nur über den Link, sondern evtl. auch über die Suche und Empfehlungen. Wäre nett gewesen hier ein bisschen tiefer ins Detail zu gehen. Was z.B. ist mit "Zugangsdaten" in diesem Artikel gemeint?