Etwas ist faul im Staate Sachsen. Die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, wichtigster Kulturförderer im Land, pflegt den Stillstand. 1993 als unabhängige Institution ins Leben gerufen, ist sie verantwortlich für die Förderung der Kultur in Sachsen. Sie offenbart jedoch gravierende strukturelle Probleme. Die Mitarbeiter sind völlig überlastet, die finanziellen Mittel knapp bemessen. Es herrscht zudem ein Ungleichgewicht in der Besetzung und in der Förderung. Der Direktor Ralph Lindner ist hoch umstritten.
Konservative weiße Männer
Die Kulturstiftung untersteht zwei Gremien, dem Vorstand und dem Kuratorium, die gemeinsam mit Fachbeiräten für die Sektionen Literatur, Film, bildende Kunst, Musik und darstellende Kunst, Soziokultur, sowie spartenübergreifende Projekte über die Fördergelder entscheiden. Vor zwei Jahren kam der Förderbereich Industriekultur hinzu.
Der Vorstand setzt sich neben dem Stiftungspräsidenten Ulf Großmann unter anderem aus Mitgliedern der Sächsischen Staatsministerien und des Kultursenats zusammen. Mit der Vizepräsidentin des Amtsgerichts Dresden, Stefanie Vossen-Kempkens, ging Ende 2017 die einzige Frau im Vorstand. Seitdem ist ihre Stelle vakant. Der Rest besteht aus Männern jenseits der fünfzig Jahre. Eine Institution von diesem Rang sollte anders aufgestellt werden.
Das Kuratorium besteht aus Vertretern der Politik. Vorsitzender ist Ministerpräsident Michael Kretschmer. Daneben stehen Vertreter der Staatsministerien wie Dr. Eva-Maria Stange, Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, beratend zur Seite. Die CDU mit den Ministern Piwarz, Haß und Wöller dominiert das Kuratorium.
Die Auswahl der Förderanträge und Stipendien obliegt einem Fachbeirat aus »Persönlichkeiten, die sich durch besondere Sachkenntnis auf dem jeweiligen Fachgebiet ausgezeichnet haben«. Die Geschäftsordnung schreibt außerdem vor, dass die Mitglieder alle drei Jahre wechseln. So besteht eine regelmäßige Rotation.
Abhängige Stiftung
Der ursprüngliche Plan der unter anderem vom damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf gegründeten Stiftung war, dass sie unabhängig agieren soll. Heute untersteht sie vorrangig der Politik. Ihre Aufgabe ist es, Kulturpolitik mitzugestalten, den Nachwuchs zu fördern und eine gerechte Aufteilung der Mittel zu gewährleisten und dabei auch Bereiche zu berücksichtigen, die der Markt nicht abdeckt. Viele Stimmen aus der Kulturbranche werfen ihr jedoch fehlenden Gestaltungswillen vor. Die mehr als 25 Jahre bestehenden Strukturen sind überholt und eingerostet.
Es fehlt an Kontrollinstanzen. Dadurch herrscht ein Ungleichgewicht an Qualität und Förderung. Die Mitglieder des Fachbeirats klagen über den immensen Arbeitsaufwand. In der bildenden Kunst stapeln sich die Anträge. Stellenweise werden bis zu 150 Anträge am Tag diskutiert, die beispielsweise in der bildenden Kunst über Stipendien und Ankäufe entscheiden. Eine enorme Verantwortung, die von den Fachbeiräten nebenberuflich geleistet wird. Die meisten von ihnen sind im Kulturbetrieb tätig. Alle arbeiten ehrenamtlich für die Kulturstiftung.
Nach außen könnte dabei der Eindruck entstehen, dass die Beiräte ihren Institutionen die Förderung zuspielen. Die Berufung unabhängiger Mitglieder würde jedoch auch nicht über die Kompetenzen verfügen, die der derzeitige Fachbeirat mitbringt. Der Zeitraum von drei Jahren ist zudem relativ kurz, um die Projektträger kennen zu lernen und die Projekte einschätzen zu können. Auf diese Weise verschleißt man viele Leute und die Suche nach neuen, kompetenten Köpfen wird nicht einfacher.
Gemengelage
Im Bereich Musik und darstellende Kunst wurden 2018 sechs Stipendien à 3.300 Euro vergeben. Davon waren vier für Projekte im Teilbereich Musik und gerade mal zwei für die darstellenden Künste, also so unterschiedliche Formen wie Theater, Tanz und Puppenspiel. Die ungerade Zahl der Fachbeiräte in diesem Bereich sorgt regelmäßig für ein Ungleichgewicht. Hier bedarf es einer klaren Trennung und Kriterien, die universeller sind.
Die strukturellen Probleme nehmen zu, weil die Kulturstiftung nicht in dem Maße wächst, wie die sächsische Kulturlandschaft. Das ist vor allem ein politisches Problem. Die kulturellen Ausgaben pro Kopf sind hierzulande zwar vergleichsweise hoch, aber im Gesamthaushalt gesunken, von 2,4 Prozent auf 2,05. Der finanzielle Spielraum ist minimal. Eine Erhöhung des Gesamtetats ist überfällig.
Stagnation und Resignation
Unter den Kulturschaffenden und bei Vertretern der Kulturpolitik ist eine Resignation zu spüren. Das hängt vor allem mit dem amtierenden Stiftungsdirektor Ralph Lindner zusammen. Er übernahm den Posten vor 15 Jahren und ist seitdem zweimal im Amt bestätigt worden. Das Stiftungsgesetz definiert die Dauer der Amtszeit des Direktors zwar nicht genau, in der Vergangenheit wurde aber alle fünf Jahre über die Besetzung des Postens entschieden.
Vielfach ist zu hören, dass der Umgang mit Lindner schwierig sei. Das bekommen vor allem seine Mitarbeiter zu spüren. Einige erzählen, dass das Vertrauensverhältnis nach 15 Jahren gestört sei, das Klima vergiftet. Mitarbeiter würden kontrolliert, Mobbing sei an der Tagesordnung. Es herrsche konstantes Misstrauen auf Seiten Lindners und Angst auf der Seite der Angestellten. Die meisten von ihnen hätten die Hoffnung aufgegeben, dass sich daran etwas ändert.
Was fehlt, ist ein Konfliktmanagement. Es gibt praktisch keinen Betriebsrat, der das Personal vertritt. Die Probleme wurden vielfach angesprochen, doch der Vorstand reagiert nur halbherzig. Die Mitarbeiter fühlen sich allein gelassen – wems nicht gefällt, der kann gehen. Im letzten Halbjahr eskalierte die Situation. Durch die Doppelbelastung sind derzeit viele Mitarbeiter krank oder sehen sich nach neuen Jobs um.
Vierte Amtszeit
Die Aufsichtsgremien haben versagt. Am 16. Januar tritt das Stiftungskuratorium zu seiner alljährlichen Sitzung zusammen und es wird erwartet, dass Lindner im Amt bestätigt wird. Nach seiner wiederholten Berufung als Stiftungsdirektor steht ihm nun ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu, obwohl die Geschäftsordnung dies nie vorsah. Da Lindner Beamter ist, erhält er arbeitsrechtlich einen unbefristeten Arbeitsvertrag, weil er bereits zweimal wiederbestellt wurde.
Doch in der Landespolitik traut man sich offensichtlich nicht, dagegen vorzugehen. Vielleicht sitzt der Schock über den Rechtsstreit mit dem designierten Intendanten der Semperoper Serge Dorny noch zu tief. Der Belgier musste seinen Posten 2014 räumen, da das Vertrauensverhältnis innerhalb des Kulturbetriebs nachhaltig gestört war. Es folgte ein Rechtsstreit, der sich über zwei Jahre hinweg zog und auch in der überregionalen Presse behandelt worden war. Ein solches Debakel will man scheinbar nicht erneut erleben.
Ist Lindner der Jahrhundertdirektor?
Ralph Lindner hat seine Arbeit gemacht. Die Stiftung existiert noch, das Stiftungskapital ist auch in der Finanzkrise nicht angegriffen worden. Aber in einem Geschäft wie der Kultur, in einem Freistaat, der so lebendig ist wie Sachsen und auf einem so entscheidenden Posten wie dem des Direktors der Kulturstiftung über 15 Jahre – und darüber hinaus – einen Direktor wie Lindner zu halten, ist unverantwortlich.
Es muss ein Ruck durch die Kulturstiftung des Freistaates gehen. Das Stiftungsgesetz ist seit vielen Jahren nicht angefasst worden. Die fehlenden finanziellen Mittel für die Förderung von Kultur in Sachsen sind besorgniserregend. Das Zusammenspiel aus dem Verhalten Lindners und der Untätigkeit der Regierungskoalition ist Gift für die Kultur. Ein Freistaat, der 2025 eine europäische Kulturhauptstadt beheimaten möchte, muss kulturpolitisch anders aufgestellt sein.