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Politik

»Netzwerke sind intakt und angriffsfähig«

Journalistin Heike Kleffner über die Bilanz von #le1101

  »Netzwerke sind intakt und angriffsfähig« | Journalistin Heike Kleffner über die Bilanz von #le1101

Heike Kleffner, Journalistin und Mitherausgeberin des Sammelbandes »Unter Sachsen«, über den Angriff auf Connewitz im Kontext rechter Gewalt in Ostdeutschland

kreuzer: Frau Kleffner, welche Bilanz können wir zwei Jahre nach dem Angriff auf Connewitz ziehen?

HEIKE KLEFFNER: Die bisherige Bilanz ist eine Bankrotterklärung aller beteiligten Behörden in Sachsen: der Polizei, der Justiz und des Verfassungsschutzes. Besonders fatal ist die Verharmlosung des politischen Ziels dieses Angriffs und die Art und Weise, wie hier die Betroffenen mitverantwortlich gemacht werden sollen. Der Verfassungsschutz, aber auch die Staatsanwaltschaft Leipzig benutzen, wenn sie von dem bewaffneten rechten Mob sprechen, Begriffe wie »Versammlung« oder »Ausschreitungen«. Das negiert zum einen das Ziel der Angreifer: durch bewaffneten Straßenterror in einem der wenigen als »links« oder »alternativ« wahrgenommenen Zentren in Sachsen Angst und Schrecken gegen politische Gegner zu verbreiten. Zudem suggeriert die Behauptung im Verfassungsschutzbericht 2016, es sei zu »Ausschreitungen« gekommen, dass die Situation quasi »nur« eskaliert sei und zweitens, dass sich verfeindete Gruppen gegenübergestanden hätten. Das entspricht aber überhaupt nicht den Tatsachen: Hier sind mit Totschlägern, Teleskopschlagstöcken, Sprengsätzen, Blendschockgranaten, Äxten und Messern bewaffnete Neonazis und rechte Fußballhools gezielt in ein Stadtviertel eingedrungen und haben alles angegriffen und zerstört, was in ihrem Weltbild keine Daseinsberechtigung hat.

kreuzer: Was kritisieren Sie konkret an der Strafverfolgung?

KLEFFNER: Angesichts der Schwere des Angriffs und der Neonazi- und Fußballhoolstrukturen, die daran beteiligt waren, hätten die Bewohnerinnen von Connewitz zu Recht erwarten können, dass die Strafverfolgung oberste Priorität hat. Aber anstatt die tatbeteiligten Neonazis, rechten Fußballhools und tief in neonazistischen Strukturen verstrickten Freefight- und MMA-Kämpfer zügig anzuklagen und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu folgen, hat die Staatsanwaltschaft Leipzig den Überfall auf einen ganzen Stadtteil fast wie ein Kavaliersdelikt behandelt. Erst nach zwei Jahren liegen jetzt Anklagen gegen weniger als die Hälfte der mutmaßlichen Tatbeteiligten vor. Und die Art und Weise, mit der die Staatsanwaltschaft die lange Ermittlungsdauer von zwei Jahren begründet hat und gebetsmühlenartig betont, den neonazistischen Angreifern müsse ein individueller Tatbeitrag nachgewiesen werden, ist de facto schon die Rückzugslinie für Freisprüche, die hier offenbar erwartet werden.

kreuzer: Aber es gab doch von Anfang an viel Beweismaterial. Warum dauern die Ermittlungen dann so lange?

KLEFFNER: Genau: Es gibt Youtube-Aufnahmen, Videos und die beschlagnahmten Mobiltelefone der in Gewahrsam genommenen Angreifer. Es ist schlichtweg eine politische Entscheidung, ob dann entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden, um beispielsweise die Handys zeitnah auszuwerten. Von dem langen Zeitraum zwischen Tat und Prozessbeginn profitieren im Übrigen nur die Angreifer. Die Botschaft dieser Art der Strafverfolgung ist fatal: Die Täter und ihr Umfeld müssen sich geradezu ermutigt fühlen, so weiterzumachen wie bisher. Dass knapp ein Fünftel aller namentlich bekannten mutmaßlichen Angreifer seitdem in weiteren einschlägigen Ermittlungsverfahren auftauchten, bestätigt dies. Wir dürfen einfach nicht vergessen, dass die Täter unverhohlen mit dem Angriff prahlen, in ihren Strukturen und darüber hinaus als Helden gefeiert werden und nur darauf warten, wieder loszuschlagen.

Im Übrigen entsprach die Strafverfolgung von Anfang an nicht der Schwere des Angriffs: Die Polizei hatte weder die Fahrzeuge der Tatverdächtigen durchsucht noch alle Handys derjenigen beschlagnahmt, die im Polizeigewahrsam waren, oder umfassend Spuren und Asservate gesichert. Anwohnerinnen haben noch Stunden nach dem Angriff Messer und andere Waffen gefunden. 

Wir müssen doch nur mal überlegen, wie die staatlichen Reaktionen ausgefallen wären, wenn statt Connewitz zum Beispiel Hamburg-Blankenese oder Berlin-Grunewald von 250 Nazihools verwüstet worden wären oder gar von militanten Salafisten.

kreuzer: Sie sprechen den Verfassungsschutz an, der die rechte Szene beobachtet. Wie konnte es überhaupt unbemerkt zu so einem Angriff mit so vielen Beteiligten kommen?

KLEFFNER: Wir müssen davon ausgehen, dass nicht nur der sächsische Verfassungsschutz – wie im Übrigen auch Polizeibehörden –, sondern auch die Behörden in Thüringen und Berlin angesichts der langen Vorbereitungszeit und der hohen Anzahl an polizei-, gerichts- und auch verfassungsschutzbekannten Angreifern sehr wohl über die Angriffspläne informiert waren. Zumal ja die neonazistische Freie Kameradschaft Dresden, aber auch die »Brigade Halle« öffentlich eine »Überraschung« zum ersten Jahrestag der Legida-Aufmärsche angekündigt und »alle Mann nach Leipzig« oder zum »Sturm auf Leipzig« und »Rassekrieg« aufgerufen hatten. Dank der Recherchen des kreuzer ist ja glücklicherweise sowohl die akribische Planung als auch das Ziel des Angriffs gut dokumentiert. Es wäre lebensfremd, wenn keine einzige Behörde im Vorfeld von dem Angriff erfahren hätte – nach allem, was wir über das V-Leute-System der Verfassungsschutzbehörden in der Neonaziszene, aber auch über das System von Informanten und Gewährspersonen der Polizeibehörden in der Mischszene aus rechten Fußballhools, rechten Freefightern und Kriminalität wissen. Die Frage, was welche Behörde im Vorfeld des Angriffs wusste, muss dringend aufgeklärt werden.

kreuzer: Welche Vorzeichen gab es?

KLEFFNER: Der Angriff auf Connewitz ist nicht vom Himmel gefallen, sondern quasi die logische Folge davon, dass im gesamten Jahr 2015 rechte Gewalttäter und rechte Fußballhools in fast allen sächsischen Ortschaften, in denen Geflüchtete untergebracht wurden, bei den rassistischen Mobilisierungen vorneweg führend dabei waren. Die bekannten Beispiele aus Heidenau und Freital sind da ja nur die Spitze des Eisbergs. Schon hier haben die sächsischen Strafverfolgungsbehörden kaum eingegriffen und die Geflüchteten und ihre Unterstützenden nicht adäquat geschützt. Es ist auch kein Zufall, dass Aktivisten der Freien Kräfte Dresden und einer der Angeklagten im Terrorprozess der mutmaßlichen Gruppe Freital in den Veröffentlichungen zu den Angreifern von Connewitz auftauchen. Sie haben in Freital, Heidenau und andernorts gesehen, dass sie auch mit schweren Straftaten konsequenzlos davonkommen. Weil niemand sie und ihr Umfeld aufgehalten hat, wählten sie die nächste Eskalationsstufe: den Angriff auf Connewitz, die Brand- und Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Meißen, Bautzen und Freital oder auf Autos von linken Aktivisten. Der rechte Terror ist im Jahr 2015 in Sachsen auf breiter Front wieder salonfähig geworden, Behörden und Politik haben allzu oft weggeschaut, verharmlost und entpolitisiert. Wenn dann doch jemand, wie der damalige Leiter des inzwischen aufgelösten Operativen Abwehrzentrums (OAZ) des LKA Sachsen, Bernd Merbitz, öffentlich vor einer »Pogromstimmung« warnte, blieb das quasi folgenlos.

kreuzer: Kann man aufgrund der stark verankerten neonazistischen Strukturen erwarten, dass so ein Angriff wieder passiert?

KLEFFNER: Wir müssen leider davon ausgehen, dass die Netzwerke, die den Angriff auf Connewitz organisiert haben, größtenteils noch intakt und handlungsfähig sind – und dementsprechend auch jederzeit wieder zuschlagen können. Grundsätzlich kursieren in der Neonazi- und rechten Hooliganszene sehr viele Waffen und Sprengstoff, die auch gezielt eingesetzt werden: gegen Geflüchtete, gegen Migranten und gegen politische Gegner. Die Ideologie der extremen Rechten beinhaltet die Rechtfertigung für Gewalt und Terror gegen alle, denen das Existenzrecht abgesprochen wird. Diese Ideologie sehen wir in den Whatsapp-Nachrichten der Angreifer auf Connewitz, wenn die Mitnahme von Totschlägern gegen »Zecken« explizit befürwortet wird; diese rassistische Menschenverachtung sehen wir in den Whatsapp-Nachrichten der mutmaßlichen Gruppe Freital vor jedem Brandanschlag. Und leider bereitet die tägliche Normalisierung rassistischer Hetze den Boden für die nächste Welle rechten Terrors.


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