Unter dem Motto »Gutes Essen für Alle! Ernährungswende in der Stadt« hatten im Februar Akteure von Annalinde, Leipzig Grün, Leipspeis, dem Konzeptwerk Neue Ökonomie, Schwarzwurzel und der Initiative Zukunftsfelder zu einem Forum in die Volkshochschule eingeladen. Wie nähert man sich einem so komplexen Thema mit einem so großen Ziel? Ein Weg könnte die Gründung eines Ernährungsrates sein.
Diese »Graswurzel-Bewegung« gibt es bereits in verschiedenen Städten, um zukunftsfähige Ernährungskonzepte zu entwickeln. Ihr Ziel: Unterstützung der Direktvermarktung, fairer Handelsstrukturen sowie einer sozialverträglichen, ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft und deren Förderung durch die Kommunalpolitik. Der Einladung folgten vor allem Erzeuger und Händler von Lebensmitteln, Gärtner und Kleinstproduzenten sowie Solawi-Aktive, die Solidarische Landwirtschaft (kurz: Solawi) betreiben. Außerdem hatte das Netzwerk Dagmar Haase vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung der Humboldt-Universität zu Berlin und Gundula Oertel, Sprecherin des Ernährungsrates Berlin, eingeladen.
Im Klartext geht es bei der »Ernährungswende in der Stadt« um die nachhaltige, regionale und selbstständige Ernährung. Als Basis gibt es dafür bereits Bewegungen wie die »Essbare Stadt«, Gemeinschafts- und Nachbarschaftsgärten, klassische Kleingärten und Solawis. Sie sind nicht nur ökologisch, sondern durchaus auch politisch relevant. Ihr Potenzial spielt für die ganzheitliche, nachhaltige Stadt- und Umlandentwicklung eine große Rolle. Kommunen stehen also durchaus in der Pflicht. Ein Problem der »essbaren Stadt« ist laut Haase, dass sie Flächen braucht, aber immer mehr davon versiegelt werden. Alternativen sind Dächer, Balkons, Hinterhöfe, Wände und Terrassen, auch schmale und Kleinstflächen an Häusern und Flüssen. Selbst Fußgängerzonen, Parks und Spielplätze lassen sich mit Essbarem bepflanzen. Die Integration von Migranten in interkulturelle Gärten kann dabei im wahrsten Sinne des Wortes befruchtend wirken. Ob man wie in Großbritannien auch ungenutzte Gräber als Tomatenbeet nutzen muss, sei dahingestellt. Zum Fotobeweis sagte Haase nur: »Es hat geschmeckt!«
Leipzig kann die »essbare Stadt« zum Beispiel durch Flächenkauf, Verpachtung, bei Verhandlungen oder durch die Vermittlung günstiger Kredite unterstützen. Kaufmann Malte Reupert stellte auch Fragen in den Raum: »Geht das über einen Hype hinaus? Was ist, wenn die Projekte nicht wirtschaftlich sind?« Auch Karl Giesecke von der Solawi-Initiative Rote Beete in Sehlis meldete sich zu Wort: »Wir spüren langsam Konkurrenzdruck untereinander und befürchten, dass es für uns so wird wie für die Bio-Betriebe vor einigen Jahren, die, um wirtschaftlich zu agieren, immer größer werden mussten.« Haase bemühte sich um Antwort: »Man muss einen Kompromiss finden. Effizienz darf als Kriterium nicht allein stehen.« Die komplette Selbstversorgung, räumte sie ein, wird kaum möglich sein.
Gundula Oertel vom 2016 gegründeten Ernährungsrat Berlin brachte kämpferisch das Ziel der angestrebten Ernährungsdemokratie auf den Punkt: »Wir wollen die Bestimmungsmacht auf unsere Teller zurückerobern, also Mitbestimmung über das, was angebaut wird!« Dazu benötigt ein Ernährungsrat aber ein offizielles Mandat. Um aus der ernährungspolitischen Sackgasse herauszukommen, hat man sich in der Hauptstadt bereits eine Satzung gegeben und einen Forderungskatalog an den Senat formuliert. Ihn umzusetzen bedeutet jede Menge Netzwerk- und Lobbyarbeit. Die städtische Gemeinschaftsverpflegung in öffentlichen Kantinen, Schulen und Kitas kann dabei nach dem Motto »Bildung für Kopf und Bauch – vom Acker bis zum Teller, vom Schulgarten in die -küche« Vorbilder für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem entwickeln.
In fünf Workshops diskutierten die Teilnehmer konkrete, umsetzungsfähige Aspekte. So sollte es bis 2030 gelingen, endlich eine Markthalle mit arbeitnehmerfreundlichen Öffnungszeiten zu etablieren, die regionale Kleinstproduzenten entlastet. Auch dem Vorschlag von Lukas Pritsch, Student der Sozialpädagogik, wäre eine Umsetzung zu wünschen: »Wir brauchen in den Schulen ein Pflichtfach Ernährung, das bis hin zum Abitur führt.« Einigkeit bestand abschließend darin, dass das Plenum als Ernährungsrat fungieren sollte. Patrice Wolger vom Unternehmen Leipspeis: »Benötigt wird aber eine Koordinierungsstelle, die die Fäden zusammenhält, Anträge auf Fördermittel stellen kann und auch in der regionalen wie überregionalen Vernetzung Ansprechpartner ist.« Ein positives Signal sendete Christoph Runst, Klimaschutzmanager der Stadt Leipzig. Er sicherte zu, dass es einen Projektfonds geben wird: »Der Stadtrat hat 2017 einen Beschluss zur Förderung regionaler Bio-Produkte gefasst. Wir haben den Auftrag, dafür ein Konzept zu erarbeiten. Auch personelle Unterstützung wäre möglich, um einen Strategie- und Maßnahmeplan zu erstellen.« Nun heißt es: Dranbleiben!