Jens, du bist ein schöner Jens«, lobt die elektronische Stimme den Affen. Der hat soeben im richtigen Moment zur Banane gegriffen. Wackelt dann übermütig auf seinem Stuhl herum. Der Verhaltensforscher ist begeistert. Minuten später wird er selbst zum Experimentalobjekt. Eine konkurrierende Kollegin sperrt ihn in einen Käfig, zerreißt seinen wissenschaftlichen Ansatz und versetzt ihm zum Gegenbeweis Stromstöße. Dann bricht die Probe ab von »Kann das Gehirn das Gehirn verstehen?«, das Teil eines Triptychons um Geisteszustände am Theater der Jungen Welt ist. »Wir machen 16 Uhr weiter.«
Das Fragen nach den Bewusstseinszuständen ist so alt wie der Mensch, der zu Selbstbewusstsein gelangte. Lang ist die Liste der Missverständnisse. »Ich habe Gehirn scheibliert«, erklärte sinngemäß mal ein Hirnforscher, »und nirgends habe ich ein Ich gefunden.« »Klassischer Kategoriefehler«, würde der Philosoph antworten. Wirklich weiter ist seine Wissenschaft aber auch nicht. Die Suche nach dem Bewusstsein beunruhigt die Philosophie lange und in vielerlei Gestalten, zum Beispiel als Rätsel vom Sitz der Seele. Das von René Descartes zuerst klar formulierte Körper-Geist-Problem versucht, den Zusammenhang von mentalen und physischen Zuständen herzustellen: Wie wirkt das menschliche Bewusstsein auf die materielle Welt ein? Descartes’ Erklärung, das laufe »irgendwie« über die Zirbeldrüse, war wenig befriedigend. Spätere Denker reduzierten den Menschen allein auf Materie und killten den freien Willen. Mit bildgebenden Verfahren und missverständlicher Metaphorik (Spiegelneuronen, Botenstoffe) operiert die Neurowissenschaft. Das TdJW versucht es nun mit theatralen Mitteln.
Schauspiel, Tanz und Akrobatik vereint die Borderline-Syndrom-Veranschaulichung »Dolores (Schmerz)«. Diese Persönlichkeitsstörung wird durch emotionale Instabilität charakterisiert. So sieht sich die Probenszene auch an. Eine Frau windet sich am Boden, während ihr Herz – durch einen Tänzer verkörpert – ihr folgt. Pumpenschläge dringen aus Lautsprechern. Als das Herz ihr nahekommen will, wendet sie sich ab. Sie kann sich nicht in der Welt, nicht mit sich einrichten. Es ist Hong Nguyen Thais, er war bisher als Tänzer am TdJW zu sehen, erste eigene Produktion. »Uns geht es um Sinne, in erster Linie um Gefühle, Licht. Es wird sehr visuell und düster.« Eine Cellistin wird live mit Loops unter anderem Schuberts »Winterreise« beisteuern. »Wir arbeiten mit Projektionen auf einer offenen Bühne. Eine fahrbare Wand wird die Raumsituation verändern.«
Ein weiteres Kopfstück ist »Regarding the Bird« des israelischen Autors Nitzan Cohen. Mit der deutschen Erstaufführung kehrt das langjährige Ensemblemitglied Anke Stoppa auf die TdJW-Bühne zurück. »Sie saß hinter mir, als im vergangenen Jahr das Gastspiel aus Israel bei uns war«, sagt Intendant Jürgen Zielinski. »Ich habe ihre Reaktionen mitbekommen und sie dann gefragt: ›Würdest du das auch gern spielen?‹« In den Kopf eines Menschen mit Asperger-Syndrom schaut das Publikum über einen Clou: Mit einer Powerpoint-Präsentation erklärt sie, wie es ist, in einer Welt zu leben, in der andere kein Asperger haben. »Sie hält ein Referat über sich selbst. Das ist ein Weg der Entstigmatisierung und schärft die Sinne für Auffälligkeiten«, sagt Zielinski.
Zurück zum schönen Affen Jens. »Laborzirkus« und »Affentheater« nennt Regisseurin Tatjana Rese »Kann das Gehirn das Gehirn verstehen?«, das auf dem Sachbuch von Matthias Eckoldt beruht. »Es geht nicht nur um wissenschaftliche Bereiche, ethische Fragen werden auch berührt«, sagt Rese. Aber um Hirnforschung komme man nicht herum – und zeigt das als wissenschaftlichen Streit. An einer Kasperpuppe »werden wir Stippvisiten zu den Drehpunkten der Geschichte der Hirnforschung seit der Antike machen. Das wird auch blutig, wenn ihm der Kopf aufgesäbelt wird.« Es wird einen »hochphilosophischen« Monolog über die Willensfreiheit geben, eine Pianistin sucht ihr Gedächtnis und Jens wird »als subversiver Affe auf clowneske Weise die Versuche der Wissenschaftler hintertreiben«. »In Analogien zu den bildgebenden Verfahren werden wir die nicht ganz unkomplizierten Inhalte theatralisch sinnfällig machen. Sie werden durch die Übersetzungsleistung der Spieler greifbar.« Dass sie die Nuss der schwierigen Darstellbarkeit mentaler Prozesse knacken wird, dessen ist sich Tatjana Rese auch am Probenanfang schon sicher. »Wenn das Stück in sechs Wochen zu sehen sein wird, ist es durch unser aller Kopf schon gegangen.«