Die Zahl von Neonazikonzerten in Sachsen hat sich im letzten Jahr fast verdoppelt – die Politik reagiert kaum. Doch gegen das »Schild und Schwert«-Festival in Ostritz wird von vielen Seiten zum Protest gerufen – auch aus Leipzig. Einen Aktionstag gegen Rechts gibt es zudem in Schnellroda, wo Götz Kubitschek wohnt.
Als Beamte von Polizei, Ordnungsamt und Zoll das drei Hektar große Areal in Ostritz begehen, auf dem im April ein großes Neonazi-Konzert stattfinden soll, stoßen sie in einer Lagerhalle auf 177 Pappkartons. Als sie die öffnen, finden sie darin 32 Tonnen illegalen Tabaks. Steuerschaden: etwa 660.000 Euro. Wem der Tabak gehört und ob er etwas mit der geplanten Großveranstaltung der Neonazis zu tun hat, blieb bis zum Redaktionsschluss ungeklärt. Doch das Festival mit dem SS abgekürzten Namen »Schild und Schwert« sorgt auch ohne Zigarettenschmuggel-Skandal für genug Ärger in dem 2.000-Einwohner-Ort in Ost-Sachsen.
Volkstänze und Tattoo-Convention
Nicht nur Veranstalter Thorsten Heise ist ein militanter Neonazi, viele der angekündigten Bands gehören dem »Blood and Honour«-Umfeld an, also einem verbotenen Netzwerk, dessen Hauptziel es ist, Neonazi-Bands zu vernetzen und ihre Ideologie zu stärken. So haben sich unter anderem Die Lunikoff-Verschwörung um den ehemaligen Landser-Sänger Michael Regener, die Hooligan-Band Kategorie C und Amok aus der Schweiz angekündigt. Neben den Konzerten sollen bei der zweitägigen Veranstaltung, die natürlich nicht zufällig an Hitlers Geburtstag beginnt, auch Volkstänze gezeigt, eine Tattoo-Convention durchgeführt und jede Menge Reden bekannter Neonazikader gehalten werden, zudem findet dort die Kampfsportveranstaltung »Kampf der Nibelungen« statt. Daher ist anzunehmen, dass statt der angemeldeten 750 Teilnehmer ähnlich viele Neonazis anreisen werden wie zum Festival im thüringischen Themar, wo mehr als 6.000 Neonazis die Sau rausließen. Das Festival findet auf dem Gelände des Hotels »Neißeblick« statt, in dem 2012 bereits der NPD-Parteitag tagte.
Oft Örtlichkeiten im ländlichen Raum
»Mit Veranstaltungen wie in Themar und Ostritz sollen Events für Gleichgesinnte und Möglichkeiten zum Austausch und zur Vernetzung der Szene geschaffen werden«, sagt Anne Kämmerer von der Grünen Jugend Sachsen. »Oft suchen sich Rechte dazu Örtlichkeiten im ländlichen Raum, wo sie mit wenig zivilgesellschaftlicher Gegenwehr rechnen müssen.« Damit diese Gegenwehr dort trotzdem stattfindet, organisiert Kämmerer mit anderen Vertretern des Bündnisses Leipzig nimmt Platz Busse von Leipzig nach Ostritz. Das Bündnis und andere Initiativen veranstalten in Ostritz die Kundgebung »Rechts rockt nicht«. Am Freitag und Samstag treten verschiedene Künstler und Bands, unter anderem Sebastian Krumbiegel, Banda Comunale und One Step Ahead, auf. Doch auch vor Ort wurde Protest laut. Anfang April unterzeichneten 40 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aus der Region von Ostritz die »Oberlausitzer Erklärung«. Darin stellen sie klar: »Wir wollen und wir brauchen in der Oberlausitz kein rechtsextremes Festival! Nicht in Ostritz, nicht anderswo!« Auch der sächsische SPD-Vorsitzende Martin Dulig ruft zur Teilnahme an den Gegenprotesten auf. Eine Petition der Grünen und von Ostritzer Bürgern fordert von Landrat Bernd Lange und dem Kreistag von Görlitz, alles Mögliche zu tun, um die Veranstaltung zu verhindern. Er habe die Forderungen zur Kenntnis genommen, sagt Lange auf kreuzer-Anfrage und beteuert: »Ich kann Ihnen versichern, dass wir unsere Aufgaben vollumfänglich wahrnehmen.« Jedoch steht fest, dass das »Schild und Schwert« Festival stattfinden wird.
»Verhältnisse zum Tanzen bringen« in Schnellroda
Parallel zum »Rechts rockt nicht« ist am Samstag ein Aktionstag in Schnellroda geplant. Bekannt ist der Ort in Sachsen-Anhalt vor allem durch das »Institut für Staatspolitik«, das unter anderem von Götz Kubitschek, Vertreter der Neuen Rechten, gegründet wurde. Auch der Antaios Verlag hat dort seinen Sitz. Zwei Mal im Jahr findet dort, ein Wochenende lang, ein Vernetzungstreffen für junge Menschen statt. Unter dem Motto »Shake it up – Die Verhältnisse zum Tanzen bringen« will das Bündnis dem Institut und dem Verlag etwas entgegensetzen, denn »Widerstand gegen die ›neue‹ Rechte lässt sich unserer Meinung nach nicht nur in Großstädten realisieren, sondern muss auch in ländlichere Regionen getragen werden, um die vermeintliche rechte Komfortzone für die Rechten unbequemer zu machen«, erklärt das Bündnis auf seiner Website. Geplant sind an dem Tag verschiedene Vorträge, Konzerte und eine Demonstration durch Schnellroda.
Mehr Liedermacher und Live-Auftritte
Die »rechte Komfortzone unbequemer machen« ist letztendlich auch in Ostritz das Ziel und es ist nicht der einzige Ort in Sachsen, in dem Neonazis zu Musikveranstaltungen zusammenkommen – und es werden mehr. Die Zahl extrem rechter Musikveranstaltungen in Sachsen hat sich 2017 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt – auch die Zahl neonazistischer Bandprojekte und Liedermacher aus Sachsen ist auf ein neues Allzeithoch geklettert. Das hat die Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Koedlitz durch Anfragen errechnet. Demnach gab es im vergangenen Jahr mindestens 46 Konzerte, Live-Auftritte bei Kundgebungen sowie Liederabende der rechten Szene – im Jahr davor waren es noch 26. Auch die Zahl der aktiven Musiker ist gestiegen. Nach Angaben des Landtags sind 42 rechte Bandprojekte und Liedermacher in Sachsen aktiv, zehn mehr als im Vorjahr. Das Bundesinnenministerium spricht dagegen von 37 Konzerten im Jahr 2017 – nur Thüringen hatte mehr (40).
Und es sieht nicht so aus, als würden es in diesem Jahr deutlich weniger werden. Bis Mitte März gab es laut Landesamt für Verfassungsschutz sieben rechtsextreme Konzert- oder Liederabende. Zwei Musikveranstaltungen wurden verhindert, teilte das Land mit. So wurde zum Beispiel ein Auftritt des neonazistischen Liedermachers Lunikoff im erzgebirgischen Eibenstock im Januar unterbunden. Allerdings ist der einfach am Abend vorher schon in Johanngeorgenstadt bei einem Liederabend aufgetreten.
Neonazis auf KZ-Außenstelle
Hotspot für Musikveranstaltungen mit Neonazis ist Staupitz bei Torgau. Auch in Leipzig sollte Anfang des Jahres ein Rechtsrockkonzert stattfinden, doch die Polizei schickte die 70 Gäste, die in der Kamenzer Straße in Schönefeld auf den Beginn warteten, wieder nach Hause. Der Besitzer wusste angeblich nichts. An dem Ort befand sich früher eine Außenstelle des KZ Buchenwald.
Auf die Frage nach konkreten Maßnahmen, mit denen die Landesregierung auf die seit Jahren steigende Zahl der rechtsextremen Konzerte reagieren will, antwortet das sächsische Innenministerium, dass der Verfassungsschutz »intensiv an der Gewinnung von Informationen« arbeite, um die dann der Polizei weiterzugeben, und »darüber hinaus« eng mit regionalen Behörden zusammenarbeite.
Schirmherr Kretschmer
Ministerpräsident Michael Kretschmer hat den Bürgern von Ostritz seine Unterstützung zugesagt. Er übernahm die Schirmherrschaft für ein als Gegenveranstaltung geplantes Bürgerfest. Das stieß nicht überall auf Begeisterung. So äußerte sich Charlotte Blücher, Sprecherin der sächsischen Grünen Jugend, dass Kretschmers Schirmherrschaft ein schlechter Witz sei. »Kretschmer hat erst letzten Monat wieder gezeigt, wie wenig er sich gegen Sachsens großes Rechtsradikalismusproblem behauptet, in dem er den Neonazi Marco Wruck zu einem Bürgerdialog einlud«. Auch Mirko Schultze (Die Linke) kritisierte Kretschmers Schirmherrschaft und die Einladung an den ehemaligen NPD-Funktionär. Dass eine Schirmherrschaft genügt, um die Zahl der Neonazi-Konzerte zu verringern, bleibt tatsächlich zu bezweifeln.