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Politik

»Wir sind nicht mehr«

Stephan Conrad vom Treibhaus in Döbeln über antirassistische Arbeit im Umland

  »Wir sind nicht mehr« | Stephan Conrad vom Treibhaus in Döbeln über antirassistische Arbeit im Umland

»Nazis raus!« aus 65.000 Kehlen schön und gut, aber: Was bleibt von #wirsindmehr? Schaffen es Aufrufe zum Engagement und Widerspruch gegen Rechts bis in die sächsische Provinz? Stephan Conrad, Sozialarbeiter vom Treibhaus e.V. in Döbeln, hat diese Fragen in einer »Wutrede« auf Facebook gestellt – stellvertretend für viele Jugendhäuser und Initiativen jenseits von Leipzig, Dresden und Chemnitz.

An einem Abend wenige Tage vor dem #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz ließ Stephan Conrad seinem Frust freien Lauf: Unter »Achtung Wutrede!« holte der Sozialarbeiter des Treibhaus e.V. Döbeln zum Rundumschlag aus. Er schrieb über den Kampf um Fördergelder, fehlende Ehrenamtliche und »beschissene Tagesevents, die einem des Gefühl vermitteln, auf der richtigen Seite zu stehen ohne mehr dafür tun zu müssen«. Tausende Leser reagierten auf den Post, Stephan Conrad ist auf offene Ohren gestoßen. Der kreuzer sprach mit ihm über die Folgen seiner Wut.

kreuzer: Ihr Post hat tausende Menschen erreicht, zeitweise konnten Sie die vielen Reaktionen nicht mehr überblicken. Hat sich die Aufregung gelohnt?

STEPHAN CONRAD: Eigentlich wollte ich meinen Freunden auf die Füße treten, den Leuten die nach Leipzig, Dresden oder Berlin gegangen sind. Das hat geklappt, ich habe viele Rückmeldungen bekommen. In Leipzig hat sich zum Beispiel eine Gruppe gefunden, die regelmäßig das Café Courage öffnen wollen, wir haben neue Mitgliedsanträge, sogar die Freundin vom Drummer der Toten Hosen hat mich angeschrieben. Eine Barschicht mit Campino und der Laden wäre voll.

kreuzer: Ihm haben Sie mit Ihrem Post »Promotion fürs Ego« und Selbstbestätigung der Subkultur vorgeworfen. Sie sind dennoch nach Chemnitz gefahren. War es so schlimm?

CONRAD: Es war schön, dass so viele Menschen dem Aufruf gefolgt sind, es hatte aber auch Volksfestcharakter. Letzten Samstag haben auch wieder nur 1.000 Menschen gegen »Pro Chemnitz« demonstriert. Das zeigt doch, dass wir nicht mehr sind, es sei denn, es gibt etwas Kostenloses.

[caption id="attachment_69565" align="alignleft" width="320"]Stephan Conrad, Sozialarbeiter beim Treibhaus e.V. Döbeln. Stephan Conrad, Sozialarbeiter beim Treibhaus e.V. Döbeln.[/caption]

kreuzer: In Ihrem Post haben Sie gefragt, wer von den Konzertbesuchern auch mal zum Subbotnik nach Rosswein oder zur Barschicht ins Café Courage kommt. Findet ihr nach dem Post mehr helfende Hände?

CONRAD: Im Moment ist die Hilfsbereitschaft groß, wir versuchen gerade die Anfragen von Freiwilligen und Künstlern zu ordnen. Einige wollen auch ein Barseminar machen und das Café danach allein öffnen, was wichtig für uns ist. Das Café ist der erste Berührungspunkt mit dem Verein, wenn man neu dazukommt. Hier zeigen wir auch, was es heißt, selbstverantwortlich zu arbeiten. Das machen potentielle Ehrenamtliche ja dann auch.

Kreuzer: Für 2018 Jahr hat euer Verein beim Stadtrat 15.445 Euro beantragt, bewilligt wurden knapp 9.000 Euro. Zeigt sich der Unterschied?

CONRAD: Es soll keiner denken, ich wollte mit dem Post rumheulen. Wir werden ausreichend finanziert, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Mehr aber nicht. Es fehlen vor allem Gelder, um das Angebot nachhaltig zu gestalten. Die Finanzierung ist wie ein Damoklesschwert über der Planung und Umsetzung von Projekten. Das geht nur mit stabiler Finanzierung. Für das nächste Jahr haben wir 9.300 Euro bekommen und rund 16.000 beantragt. Wir könnten jetzt daraufhin höhere Eintrittsgelder verlangen oder mehr für die Getränke. Das funktioniert aber in der Jugendarbeit nicht.

kreuzer: Ihr Post endet mit Links zu anderen Initiativen und Jugendzentren. Haben Ihre Kollegen ähnliche Probleme?

CONRAD: Die Probleme gibt es in vielen Städten und Kleinstädten in Sachsen, wenn nicht sogar in ganz Ostdeutschland. Hier im Umkreis fehlen vor allem in Grimma und Rosswein Freiwillige. Auch dem Stains in the Sun, dem Festival der Agenda Alternativ, werden offensichtlich Steine in den Weg gelegt. Die mussten den Ort wechseln, weil der Stadtrat keine politischen Veranstaltungen mehr im Naturtheater Schwarzenberg will und das Festival nicht als Kulturveranstaltung sieht.

INTERVIEW: PAUL HILDEBRAND


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