Schwere Vorwürfe erhebt der Verein RosaLinde gegenüber Ausländerbehörden: Homosexuellen Geflüchteten werde der Schutzstatus zu Unrecht verweigert und Kranke entgegen der Empfehlung von Ärzten und Psychiatern abgeschoben. Zudem ließe sich bei Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen eine Systematik bei der Ablehnung von Asylanträgen erkennen. Der Leipziger Verein engagiert sich seit 1988 für die Belange der LSBTI*-Community in Leipzig. Anna Weißig arbeitet täglich mit Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität in ihren Herkunftsländern verfolgt werden und in Deutschland Schutz suchen.
kreuzer: Was läuft falsch bei den Ausländer- und Asylbehörden?
ANNA WEISSIG: Wir erleben momentan leider verstärkt, dass zentrale und städtische Ausländerbehörden abschieben trotz psychiatrischem Attest, das besagt: Diese Menschen sind nicht reisefähig, können folglich nicht abgeschoben werden. Das wird nicht berücksichtigt. Die Anhörungen im Asylverfahren selbst werden häufig nicht sensibel geführt, weil die Mitarbeiter nicht ausreichend geschult sind, oft wenig Ahnung im Umgang mit lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen haben. Ein weiteres Problem sind die Anhörungen im Asylverfahren, sind die Übersetzenden. Diese kommen häufig aus den Herkunftsländern der Personen. Für LSBTI*-Personen heißt das, dass sie sich potenziell vor den Menschen outen müssen, vor denen sie geflohen sind. Beides kann negative Folgen für die Betroffenen haben.
kreuzer: Ihr hattet in der Vergangenheit ein paar dramatische Fälle, was ist passiert?
WEISSIG: In drei Fällen wurden psychiatrische Atteste ignoriert, in denen klar und deutlich stand, dass diese Menschen aufgrund ihrer psychischen Situation nicht reisefähig sind. Trotzdem wurden zwei unserer Klienten abgeschoben, in zwei weiteren Fällen blieb es bisher beim Abschiebeversuch, weil die Personen nicht angetroffen werden konnten. In allen vier Fällen halten wir das Vorgehen der städtischen Ausländerbehörde und der Zentralen Ausländerbehörde Sachsen, die für die Abschiebungen zuständig sind, für fahrlässig, und wir sind der Meinung, dass hier Sorgfaltspflichten verletzt werden.
kreuzer: Um wen geht es?
WEISSIG: In allen Fällen lagen ärztliche Stellungnahmen zur Reiseunfähigkeit vor. In allen Fällen gab es in der Vergangenheit Suizidversuche, die Personen befanden sich in psychiatrischer, zum Teil in stationärer psychiatrischer Behandlung. Dazu gehört ein schwuler Mann aus Venezuela, der zunächst im Rahmen einer Dublin-Abschiebung nach Schweden und nun bereits nach Venezuela abgeschoben wurde, ein junger Mann aus Albanien wurde nach Albanien abgeschoben. Bei zwei Männern aus Kamerun gab es Abschiebeversuche.
kreuzer: Wer lesbisch oder schwul ist, hat doch laut Asylrecht in Deutschland ein Recht auf Schutz, oder nicht?
WEISSIG: Es kann ein Asylgrund sein. Das wird aber davon abhängig gemacht, wie stark die Verfolgung ist. Stark genug, damit Menschen hier einen Asylstatus erhalten? Darüber wird im Asylverfahren entschieden. Heißt: Die Betroffenen müssen beim Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge nachweisen, dass sie tatsächlich lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell sind. Sie müssen das glaubhaft machen.
kreuzer: Wie macht man glaubhaft, dass man beispielsweise lesbisch ist?
WEISSIG: Gute Frage. Die müssen ihre Coming-out-Geschichte, ihr inneres Coming-out, also wie sie das gemerkt haben, darlegen. Offenlegen, wie sie Beziehungen gelebt haben, und so darstellen, dass eine mitarbeitende Person beim BAMF überzeugt ist. Häufig orientieren die sich an Stereotypen. Eine Schutzehe, die ein schwuler Mann aus dem Irak eingegangen ist, damit seine Familie ihn nicht umbringt, kann ihn hier in Deutschland in ganz andere Schwierigkeiten bringen. Ihm wird möglicherweise nicht geglaubt, denn er ist ja mit einer Frau verheiratet. Dann müssen sie glaubhaft machen, dass sie aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität im Herkunftsland verfolgt werden.
kreuzer: Nicht so einfach wahrscheinlich.
WEISSIG: Darüber zu sprechen ist für viele natürlich sehr schwer. Ein Großteil der Menschen, mit denen wir arbeiten, ist massiv traumatisiert, weil sie schon sehr früh sexualisierte und körperliche Gewalt erlebt haben und sich das häufig durch ihr ganzes Leben zieht. Weil sie ihre sexuelle Präferenz oder Geschlechtsidentität meistens versteckt halten mussten, um zu überleben. Und auf einmal sollen sie hier vor Fremden über dieses wohlgehütete Geheimnis sprechen.
kreuzer: Und wenn es schlecht läuft?
WEISSIG: Werden sie abgeschoben, wie andere Geflüchtete auch. Entweder im Rahmen eines Dublin-Verfahrens oder die Ablehnungsbescheide sind inhaltlicher Art. Dann ist es entweder so, dass die LSBTI-Zugehörigkeit nicht geglaubt wird, also die sexuelle, geschlechtliche Orientierung nicht anerkannt wird. Oder ihnen wird zwar geglaubt, aber davon ausgegangen, sie wären im Herkunftsland sicher. Wir sehen häufig, dass bei Menschen aus Ländern, in denen Homosexualität kriminalisiert wird – wie Iran oder Kamerun –, die Zugehörigkeit infrage gestellt wird, nicht geglaubt wird, dass die Antragsteller lesbisch oder schwul sind. Anders bei Menschen, die aus Ländern kommen, wo das BAMF meint, dieses Land wäre sicher. Dann wird häufig die LSBTI-Zugehörigkeit geglaubt, aber es wird gesagt: Im Irak gibt es kein Gesetz, dass Homosexualität unter Strafe stellt, dann kann man dort sicher leben.
kreuzer: Ihr geht also von einer Ablehnungssystematik aus. Könnt ihr einschätzen, wie groß dieses Problem ist, wie viele Menschen betroffen sind?
WEISSIG: Allgemein wird davon ausgegangen, dass der Anteil ohnehin marginal ist. Schätzungen sagen, sieben bis zehn Prozent sind LSBTI, und es gibt viele Länder, in denen diese Menschen nicht sicher sind, der Fluchtdruck hier also höher ist. Deswegen ist davon auszugehen dass der Anteil sogar höher ist als im Bevölkerungsdurchschnitt.
kreuzer: Und darauf sind Behörden nicht adäquat vorbereit?
WEISSIG: Es wäre es wichtig, dass die psychische Situation der Menschen berücksichtig wird. Heißt, dass städtische Behörden, aber auch die Zentrale Ausländerbehörde fachärztliche Stellungnahmen berücksichtigen und adäquat damit umgehen. Das heißt aber auch, dass bereits beim BAMF die psychische Situation der Menschen stärker berücksichtig und ins Asylverfahren einbezogen wird. Nach Europäischem Recht gelten sowohl Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden, als auch Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlebt haben, als besonders schutzbedürftig. Das muss in den Anhörungen berücksichtig werden, zum Beispiel durch ein Clearing-Verfahren zu Beginn des Asylprozesses, wo die psychische Situation, aber eben auch die LSBTI-Zugehörigkeit bereits ganz am Anfang erfasst wird.