»Nazis raus!« aus 65.000 Kehlen schön und gut, aber: Was bleibt von #wirsindmehr? Schaffen es Aufrufe zum Engagement und Widerspruch gegen Rechts bis aufs sächsische Land? Antirassistische Arbeit bleibt Landarbeit. Der kreuzer stellt Initiativen und Jugendclubs in der sächsischen Provinz vor und geht der Frage nach, was sich ändern muss, damit »wir« wirklich mehr sind. Diesmal: Das AJZ Talschock in Chemnitz.
Mit fast 250.000 Einwohnern fällt Chemnitz offensichtlich aus der Reihe, wenn es um Begriffe wie »Provinz« oder »Landarbeit« geht. Zugleich waren die Ereignisse im »Tor zum Erzgebirge« vor einigen Wochen der Ausgangspunkt für uns, um zu erkunden, wie es um antirassistische Arbeit in Sachsen bestellt ist. Grund genug also, um auch nach Chemnitz zu blicken, wo das AJZ Talschock bereits seit 1990 Jugendarbeit leistet und kulturelle Angebote schafft, die auch weite Teile des Umlands anziehen.
kreuzer: Seit Ende August steht Chemnitz als Synonym für eine offen agierende gewaltbereite rechte Szene. Ist das wirklich ein neues Phänomen?
ANDRÉ LÖSCHER: Dass die gewaltbereite Rechte so offen agiert, ist in der Tat neu. Dem zugrunde liegt aber natürlich ein Netzwerk, das schon seit langer Zeit besteht. Diese Strukturen hinter offiziell aufgelösten Gruppierungen wie den Nationalen Sozialisten Chemnitz oder HooNaRa sind in den letzten Wochen ja auch mehrfach in die Öffentlichkeit gerückt worden. Neben neuen und deutlich sichtbaren Akteuren, die eher eine jüngere Klientel ansprechen, wie der Identitären Bewegung oder dem III. Weg, gibt es hier aber anscheinend auch zugleich eine Reaktivierung der alten Szene.
kreuzer: Hat sich die Stimmung in der Stadt und euch gegenüber denn seit den rechten Ausschreitungen verändert?
LÖSCHER: Neben meiner Arbeit im AJZ bin ich auch für die Opferberatung des RAA Sachsen tätig. Was sich dort zeigt, ist ein deutlicher Anstieg an Anfeindungen gegen nichtweiße Personen in deren Alltag. Seit Ende August haben wir bis jetzt mehr solche Angriffe registriert als im gesamten Jahr 2017. Dabei gehen diese nicht unbedingt von organisierten Rechten aus, sondern teilweise auch von Einzelpersonen, die beispielsweise im Bus Migranten bepöbeln und angreifen. Diese veränderte Stimmung spüren wir auch bei uns selbst. Im AJZ sind wir sehr viel vorsichtiger geworden und gucken vor allem, wenn rechte Demonstrationen stattfinden sehr genau, dass wir potentielle Angriffe frühzeitig erkennen und darauf vorbereitet sind. Während wir da aber nur vermuten können, ob etwas auf uns zukommt, zeichnet sich durch die aktuelle politische Entwicklung ja auch eine ganz konkrete Bedrohung für uns ab.
kreuzer: Inwiefern?
LÖSCHER: Wenn man sich die aktuellen Wahlprognosen anguckt, stehen wir vor einer sehr schwierigen und unsicheren Entwicklung. Bedrohlich ist, dass es Alternative Projekte künftig schwer haben werden, wenn es dazu kommt, dass die AfD noch mehr Macht bekommt. Um unsere Arbeit fortsetzen zu können braucht es dann Unterstützung vom Bund. Sowohl finanziell, aber auch durch klare Bekenntnisse zu und Würdigung der Arbeit, die diese Projekte leisten. Aktuell greift die AfD gemeinsam mit Pro Chemnitz bereits im Stadtrat nach jeder Möglichkeit, um gegen uns aktiv zu werden. Und teilweise steht dem auch die CDU in nichts nach. Wenn wir etwa für den antifaschistischen Jugendkongress Räume bereitstellen, werden wir für deren inhaltliche Gestaltung angefeindet. Natürlich finden wir es gut, wenn Jugendliche selbstorganisiert gegen Rassismus etwas auf die Beine stellen, aber das ist nicht unser Projekt. Trotzdem wird es als Argument angeführt, um uns Fördergelder streichen zu wollen. Das ist natürlich umso trauriger, weil damit unsere Jugendarbeit massiv gefährdet wäre.
kreuzer: Wie geht Ihr mit dieser Bedrohung für Eure Arbeit um?
LÖSCHER: Wir haben den Veranstaltungsbetrieb nun komplett in eine gGmbH ausgelagert, um den Kernverein mit seiner sozialpädagogischen Arbeit zu schützen. In der Jugendarbeit haben wir aktuell 20 Mitarbeiter, die sich um die verschiedensten Projekte kümmern: Offene Kinder- und Jugendarbeit, internationalen Jugendaustausch, Umweltprojekte, die Skatehalle und vieles mehr. Für unsere Jugendarbeit werden wir ja interessanterweise von allen Seiten gelobt, auch von der CDU. Auf der anderen Seite sind wir einer von zwei Veranstaltungsorten, der unter dem Schlagwort Linksextremismus im sächsischen Verfassungsschutzbericht 2017 genannt werden. Als Begründung werden dort Konzerte von ZSK und Dr. Ulrich Undeutsch - einer eigentlich nur regional bekannten Punkband aus dem Erzgebirge - genannt. Das ist schon ziemlich schizophren. Und auch wenn wir die Vorwürfe selbst als absurd empfinden, wollen wir verhindern, dass der Verein und dessen Jugendarbeit dadurch bedroht wird, weil Fördergelder wegen angeblicher Extremismusförderung gestrichen werden; daher die Trennung der beiden Bereiche.
kreuzer: Im Juli erst musste das Subway to Peter schließen, wodurch das AJZ nun zu einer der letzten verbliebenen Konzertlocations in Chemnitz geworden ist. Denkt Ihr manchmal darüber nach, wie es dort ohne Euch aussehen würde?
LÖSCHER: Wenn das AJZ nicht mehr wäre, bleibt halt nicht mehr viel. Was größere Konzerte angeht strahlt das ja durchaus auch über die Stadtgrenzen hinaus, bis weit ins Erzgebirge und auch aus Leipzig finden ja immer mal wieder ein paar den Weg zu uns. Und neben dem Veranstaltungsbetrieb und der vielfältigen Jugendarbeit ist es aus meiner Erfahrung auch einfach wichtig, als Jugendlicher zu wissen, »Ich muss nicht in einen Jugendclub, in dem Nazis sind«, nur weil man gerne auf Konzerte oder Partys gehen möchte. Deswegen möchte ich darüber eigentlich gar nicht nachdenken.