Ab heute gelten weite Teile um die Eisenbahnstraße als spezielles Kontrollgebiet mit der irreführenden Bezeichnung »Waffenverbotszone«. Mehrere Bürgerinitiativen, Politiker und auch eine Polizeigewerkschaft kritisieren das Konzept. Die Leipziger Polizei erklärt offen, es gehe nicht um Waffen, sondern um anlassunabhängige Kontrollen.
Die großen gelben Schilder, die ab diesem Montag an mindestens zwei Orten im Bereich der Eisenbahnstraße aufgestellt sind, muten auf den ersten Blick harmlos an und lassen einen zugleich fragend zurück. Kleine Piktogramme künden davon, was fortan anscheinend verboten ist: Das Mitführen von Schusswaffen, Klappmessern, Baseballschlägern und allem anderen, was als Waffe oder waffenähnlicher Gegenstand firmiert. »War das bisher etwa erlaubt?«, fragt man sich vermutlich. Oder hat man all die offen oder verdeckt getragenen Baseballschläger bisher einfach übersehen?
Legitimation »anlassunabhängig kontrollieren zu können«
Ja, es kam in den vergangenen Jahren mehrfach zu Auseinandersetzungen und Übergriffen in der Eisenbahnstraße, bei denen auch Waffen eingesetzt wurden. 2016 erschoss ein Mitglied der Rockergruppierung Hells Angels ein Mitglied einer konkurrierenden Gruppe auf offener Straße. Die Waffe, mit der er die tödlichen Schüsse abgab, hätte er aber schon damals nicht führen, geschweige denn benutzen dürfen. Auch Springmesser oder Klappmesser sind bereits seit 2003 im öffentlichen Raum verboten. »Entsprechende Regelungen finden sich auch schon im bestehenden Waffengesetz. Für uns wäre es vielmehr ein großer Vorteil, wenn wir damit die Legitimation erhalten, Personen anlassunabhängig kontrollieren zu können,« äußerte dazu passend der Leipziger Polizeisprecher Andreas Loepki vor mehreren Monaten in der LVZ.
Denn während die gelben Schilder, die heute um 14 Uhr von Staatsminister Roland Wöller, Polizeipräsident Bernd Merbitz und Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung feierlich eingeweiht werden, offen abbilden, was der Bürger dem Anschein nach plötzlich nicht mehr darf, findet sich darauf kein Hinweis, welche neuen Rechte die Polizei ab jetzt für sich beansprucht: So wie vom Polizeisprecher als großer Vorteil gewünscht, dürfen die Beamten ab jetzt »verdachtsunabhängig«, also ohne konkreten Verdacht, Personenkontrollen durchführen. »Das eigentliche Ziel ist also, in kriminellen Hochburgen verdachtsunabhängig kontrollieren zu können,« resümierte auch die Welt über den Sinn und Nutzen von »Waffenverbotszonen«.
Kritik von lokalen Institutionen, Politik und Polizeigewerkschaft
Vor allem aus diesem Grund positionierten sich das Ost-Passage Theater und weitere kulturelle und soziale Institutionen des Leipziger Ostens in einem offenen Brief letzte Woche gegen das neue Kontrollgebiet. Sie befürchten eine Stigmatisierung des Stadtteils und haben für heute parallel zum öffentlichen Festakt eine Kundgebung »gegen die Stigmatisierung und Kriminalisierung der Eisenbahnstraße« angemeldet. Den Begriff »Waffenverbotszone« bezeichnen sie als »irreführend« und weisen damit auf den wohl wichtigsten Aspekt im Kampf um die Deutungshoheit hin. Denn wer gegen eine »Waffenverbotszone« protestiert, erweckt den Eindruck er wäre dagegen, dass Waffen verboten sind.
Auch die Leipziger Stadträtin und sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel erklärt auf kreuzer-Nachfrage, »die Einrichtung der Waffenverbotszone in und um die Eisenbahnstraße bedeutet vor allem die Einschränkung von Grundrechten« und keineswegs neue Regelungen zu längst bestehenden Waffenverordnungen. Sie verweist zudem darauf, dass hier eine Grundlage für diskriminierende Muster der Kontrollbehörden geschaffen werde: »Es dürfte klar sein, dass ins Visier vor allem gesellschaftlich stigmatisierte Personen fallen werden, wie Migrant*innen oder Drogenkonsumierende.«
Doch auch polizeiintern ist das neue Kontrollinstrument keineswegs unumstritten. Als 2017 die entsprechende Verordnung zur Einrichtung solcher Gebiete erlassen wurde, äußerte ein Sprecher der Deutschen Polizeigewerkschaft Sachsen bereits, dass damit höchstens eine Verdrängung der Kriminalität in andere Gebiete erreicht werden könne. Aufgrund der angespannten Personallage bei der sächsischen Polizei sei ihm zufolge auch gar nicht das Potential gegeben, um die neuen Kontrollbefugnisse auch zu nutzen: »Die Polizei wird so kontrollieren, wie sie das immer getan hat. Mehr ist nicht drin.«