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Literatur

Cunst und Crempel

Keine Eintagsfliegen: Frauencomics taugen das ganze Jahr

  Cunst und Crempel | Keine Eintagsfliegen: Frauencomics taugen das ganze Jahr

Liv Strömquist zählt zu den einflussreichsten feministischen Comic-Zeichnerinnen Schwedens. Immer noch ist das weibliche Genital ein kulturelles Tabu, Strömquist macht das in ihren Comics regelmäßig zum Thema. Auch ihr dritter Band »I‘m every Woman« ist ein politisches Statement.

»Let me see you stripped«, singen Depeche Mode so unverkrampft. Ganz so, als sei der Blick auf den nackten weiblichen Körper die unkomplizierteste Sache der Welt. Das ist aber nicht so. Immer noch ist das Genital der zum Mängelwesen erklärten Frau ein kulturelles Tabu. Dieses macht Liv Strömquist in ihren Comics immer wieder zum Thema. In »Der Ursprung der Welt« beschäftigt sich die schwedische Zeichnerin mit der Kulturgeschichte der Vulva – von der Bibel bis Freud, vom peinlichen Biologieunterricht bis hin zur albernen Tamponwerbung. Das Buch kam vor zwei Jahren auf Deutsch raus, der zuständige Avant Verlag legte letztes Jahr einen weiteren schamlosen, launigen Strömquist-Comic nach, nun liegt der dritte Band feministischer Fröhlichkeit vor: »I‘m every Woman«.

Strömquist, Jahrgang 1978, ist die einflussreichste feministische Zeichnerinnen Schwedens. Dort gebe es keine so große Tradition des Comics wie in Belgien oder Frankreich, sagt die Zeichnerin. Allerdings ist in den vergangenen Jahren das Interesse daran merklich gewachsen. So hat sich mittlerweile eine vitale Comicszene in Schweden etabliert, auch wenn sich die populären Zeichner an zwei Händen abzählen lassen. Als die studierte Politikwissenschaftlerin begann, politische feministische Comics zu veröffentlichen, waren zwei, drei Frauen im Genre tätig; zumeist zeichneten sie Comics mit biografischen Bezügen. »Meine Arbeit motivierte dann auch andere Frauen, politischer zu zeichnen. Das betrifft eine ganze Generation jüngerer Zeichnerinnen.« Heute schätzt sie das Geschlechterverhältnis als ausgeglichen ein. Auch das Spektrum an Themen und Stilen sei vielfältiger, Frauen seien in der Manga- und Fantasy-Szene längst vertreten.

Strömquist ist Autodidaktin; im Alter von 25 Jahren begann sie mit dem Zeichnen. »Ich habe als Kind immer Bildergeschichten gezeichnet. Irgendwann hörte ich auf und begann zu schreiben, Belletristik und Gedichte. Es war mein großer Traum, Schriftstellerin zu werden. Das hat sich allerdings als sehr kompliziert herausgestellt. Ich tat mich schwer, die richtige Sprache zu finden, hatte Angst, die Leser zu langweilen. Ich kannte mich in der Literatur gut aus, verschlang alles, was ich an Lesestoff fand. Und daher habe ich mich dann mit all den High-Brow-Größen verglichen.« Da könne man nur scheitern. Auf Anregung einer Freundin machte sie einen ersten Comic – und blieb dabei. Hier fand sie zu ihren Ausdrucksmöglichkeiten, zu ihrer Sprache. »In dem Moment, in dem ich mit dem Zeichnen anfing, fühlte ich mich befreit. Ich wusste wenig über das Medium, hatte keine Vorstellung, wie der perfekte Comic ausschaut. Ich fügte einfach Bild an Bild. Und ich hatte keine Probleme mehr, Dinge zur Sprache zu bringen, und wollte mich auch nicht mehr messen.«

Dass ihre Comics trotz allen Witzes politische Statements sind, ist für Strömquist nur konsequent. Sie war bereits politisch aktiv in verschiedenen linken Gruppen zu den Themen Ökonomie, Migration, Feminismus und Ökologie und wollte zeichnen, was sie beschäftigt.

Und dass sie dabei immer wieder auf feministische Themen stößt, ist kein Zufall, gelten doch Frauen noch immer als das Andere, als der Sonderfall, bis in den Alltag hinein. Sei das nun abwertend oder überbetonend: »Es gibt einen Trend, enthusiastisch über die Vulva und die Vagina zu sprechen. Ständig werden Frauen dazu aufgefordert: Sei stolz auf deine Vulva und all die Dinge, die damit zu tun haben.« Das habe sie merkwürdig und witzig zugleich gefunden. »Niemand würde sagen, man soll stolz auf seine Leber sein. ›Wow, du musst mal darüber nachdenken, wie cool deine Leber ist.‹ Auf diese Art über die Vulva zu sprechen, ist der Unterdrückung der Vulva ganz ähnlich. Das fällt in die gleiche Kategorie.« Man tappe hier in dieselbe sprachliche Falle, kennzeichne das weibliche wiederum – wenn auch positiv – als das andere Geschlecht. »Aber man muss die Vulva nicht überbetonen, es sollte kein großes Ding sein, über sie zu reden.« Insgesamt geht es Strömquist darum zu zeigen, »dass der Alltagsdiskurs voller Tabus ist, was Frauen davon abhält, über Dinge wie Menstruation normal zu sprechen.«

Fire on IceComing-of-Age und Coming-out: Tillie Walden will Eiskunstläuferin werden, auch wenn sie die Welt des Eislaufens hasst. Seit sie denken kann, dreht sie Pirouetten auf dem Eis, ist der Sport Teil ihres sehr jungen Lebens. Sie hat Erfolg, aber das Make-Up und die schlüpfrigen Kostüme will sie eigentlich nicht tragen, will nicht aussehen, wie Mädchen hier auszusehen haben. Immerhin gibt ihr das harte Training Struktur zum Festhalten, wenn der Alltag auf die schiefe Ebene gerät. Pubertät ist ohnehin eine schwere Zeit. Entdeckt man dann noch wie Tillie die eigene Homosexualität, sind die Dinge schwer zu ertragen.

Tillie Walden heißt auch die Autorin von »Pirouetten«, denn es ist ein autobiografischer Comic. Zwölf Jahren war sie im Eiskunstlauf aktiv, eckte nicht nur dort an. Denn sie lebt im Bibelgürtel der USA. »Ich erinnere mich nicht an … ein Gefühl von Freiheit – sondern nur an Angst. Angst, weil ich lesbisch war. Angst, weil wir in Texas waren. Angst vor dem Hass, den ich aus YouTube-Videos kannte und von dem ich wusste, dass er real war.«

In nach Sprungfiguren benannten Kapiteln nähert sich die Autorin ihrer Kindheit und Jugend an. Dem Nachwort nach war es für Walden ein quälender Prozess. Leichte Suchbewegungen zeigt auch ihr feiner Strich, der Bilder in wenigen Linien festhält. Kräftige Akzente in den Schwarzblau-Weiß-Zeichnungen setzen monochrome Flächen, etwa komplett eingefärbte Bekleidung oder Wände. Immer mal wieder leuchtet sattes Gelb in den Seiten auf. Beide Mittel schaffen eine visuell abwechslungsreiche Erzählung bei gleichbleibendem Stil. Damit wird Raum frei für Waldens Beobachtungen und leises Nachdenken über ihr vielschichtiges Gefühlschaos in einer Umwelt voll Unverständnis.

Wehe den BesiegtenWeitgehend unbemerkt hat sich ein neuer Verlag für Comics in Leipzig angesiedelt. Comic-Combo-Chef Sebastian Röpke gründete Kult Comics und kaufte Titel der 2016 insolvent gegangen Kult Editionen, um sie neu auf den Markt zu bringen. So beschenkt er die Fans historischer Abenteuergeschichten mit einer in fünf Bänden zusammengeführten Neuauflage der ursprünglich 15-teiligen »Vae Victis!«-Serie, die man als »Asterix« für Abgebrühte bezeichnen könnte.

Die Geschichte spielt zur selben Zeit wie die Zaubertrankabenteuer. Die aus Britannien verschleppte Sklavin Amber muss einer Orgie beiwohnen, auf der sie von Angriffsplänen auf Gallien erfährt. Sie kann aus Rom fliehen, will die Leute im Norden warnen. Viele Volten und Verwicklungen und noch mehr Gefahren später entpuppt sich Amber als Königin Boadicca. Sie führt den Aufstand gegen die Römer an: Freiheit oder Tod.

»Vae Victis« zählt zu den späteren Ausläufern der frankobelgischen Comic-Klassikerszene, ist aber noch ganz deren Charakter verhaftet. Ab Anfang der 90er-Jahre erschien die Serie von Simon Rocca (Text) und Jean-Yves Mitton (Zeichnungen). Mitunter recht freizügig wird die Handlung schroff erzählt und die Bilder sind realistischer Natur. Beeindruckend sind die Bilder vor allem im Detailreichtum, der auch ferne Hintergründe noch mehr als andeutet. Dynamische Szenen und waffenstarrende Schlachten machen den Comic zum opulenten Bilderspaß über eine kämpfende Frau, den man in einem Rutsch lesen möchte.Die vier Folgenteile sind in Planung, sollen auch im schönen Hardcover-Albumformat erscheinen. Weitere Klassiker wie »Aria« und »Tunga« hat Kult Comics schon ausgegraben. Dem sich als »Buchstadt« noch immer schmückendem Leipzig stünde ein kultiger Comicverlag ohnehin gut zu Gesicht.


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