Das neu eröffnete Bauhaus-Museum in Weimar überrascht mit zynischer Geschichtsinterpretation und verspricht ein neues Stadtlabel. Es gibt aber auch noch mehr als 100 Jahre Bauhaus in Weimar zu sehen.
Wer den Weimarer Bahnhof verlässt, begegnet überdimensionalen Fotoporträts. »Die Zeugen« heißt die Serie des Fotografen Thomas Müller, der über Jahre Überlebende des KZ Buchenwald porträtierte. Die sechzehn schwarz-weiß Fotografien vom Bahnhof bis zur Innenstadt sollen zum Nachdenken anregen. Gemäß dem Gedanken von Richard Alewyn »Zwischen uns und Weimar liegt Buchenwald« aus dem Jahr 1949.
Mehr als KlassikerDreißig Jahre zuvor – am 1. April 1919 – eröffnete in Weimar das Staatliche Bauhaus, sechs Jahre später zog es nach Dessau, um der nationalistischen Politik zu entgehen. Vor dem Weggang stellte Direktor Walter Gropius eine Sammlung mit Objekten aus der Weimarer Bauhauszeit zusammen, die er dem Stadtmuseum übergab. 180 Objekte befanden sich bis 1955 in Kisten. Offensichtlich hatte unmittelbar nach der Abreise niemand das Interesse, die Teppiche, Möbel, oder Keramik auszustellen. So überstanden sie den Nationalsozialismus. 1967 schenkte Peter Keler den Kunstsammlungen seine entworfene Wiege nach Kandinsky. Sie steht heute als Symbolbild, wie der Präsident der Klassik Stiftung, Hellmut Seemann, zur Pressekonferenz anlässlich der Eröffnung des Bauhaus-Museums am Donnerstag verkündete.Sehr selbstbewusst heißt das nämlich: »Das Bauhaus kommt aus Weimar«. Und Seemann reicht das noch längst nicht aus, denn zur Museums-Eröffnung »blickt die ganze Welt auf Weimar.« Es geht um die Darstellung des Kampfes »widerstreitender Ideen« in der Moderne und die führt zwangsläufig zur Veränderung der »intellektuellen Physiognomie« von Weimar. Schluss mit dem Label Klassikerstadt – jetzt werden »die intellektuellen Höhepunkte verdichtet« und »endlich das Bild der Weimarer Klassik überwunden.« Thüringens Minister für Kultur-, Bundes- und Europaangelegenheiten Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke) wählte nicht solch salbungsvolle Worte, sondern mahnte, wenn vom Bauhaus in Weimar gesprochen werde, sei immer auch die Vertreibung der etwas anderen Lehranstalt mitzudenken, damit die Vergangenheit nicht die Zukunft bedeuten könnte. Weimar steht so für das »Brennglas der Moderne«.
Den Museumsbau zwischen Weimarhalle und Gauforum konzipierte die Berliner Architektin Heike Hanada. 2000 Quadratmeter auf drei Ebenen stehen den Objekten zur Verfügung. Herausgekommen ist im Großen und Ganzen ein nettes Schaumuseum, das allerdings an einigen Stellen große Fragezeichen hinterlässt.
Rosa Luxemburg in der fleischlosen SchnellkücheWenn gleich zu Beginn der Ausstellung beispielsweise das Porträt von Rosa Luxemburg zu sehen ist, eingerahmt von einem Foto einer jungen Frau, die ein Auto repariert, und dem Prospekt »Die Schnellküche der Junggesellin«, fragt man sich unweigerlich, ob die Slogans »Sparsam schnell gut« und »Schmackhaft auch ohne Fleisch« der Lebensgeschichte von Rosa Luxemburg gerecht werden sollen. Mag sein, dass der gute Wille, Frauenquote an die Wand zu bringen, die Emanzipation da etwas missverstand.Aus historischer Perspektive ist es einfach nur zynisch. Luxemburg wurde Monate vor der Bauhaus-Eröffnung in Weimar bestialisch ermordet, saß zuvor drei Jahre in Haft und ihr Gesundheitszustand resultierte auch aus dem schlechten Gefängnisessen. Was will uns das Museum also damit sagen?
Derlei Assoziationsbilder bilden den Grundstock für ein nettes Schaumuseum. Laut Architektin können sich alle in den engen Treppenstiegen auf sich selbst konzentrieren. Dort könnte darüber nachgedacht werden, weshalb hier kaum Kritik am Bauhaus zu vernehmen ist. Es wirkt fast so als fänden alle das Bauhaus schon immer super. Noch größere Fragezeichen erwachsen nach dem Besuch der dritten Ebene. Hier sind Ausschnitte der historischen Sammlung nach dem Weggang zu sehen und es wird den drei Direktoren gedacht: Walter Gropius, Mies van der Rohe und Hannes Meyer. Mies van der Rohe glänzt mit seinen Klassikern wie der Villa Tugendhat in Brno, doch der Mensch – und das ist an einer Lehranstalt nicht unwichtig – bleibt hinter dem Chromglanz versteckt.
Der dritte Direktor Hannes Meyer tritt mit einem Artikel aus dem Jahr 1926 auf. Darin beschreibt er die »Neue Welt«. Vielleicht wäre es interessanter gewesen, einen Text aus seiner Bauhaus-Direktorenzeit von 1928-30 auszuwählen oder gar »Mein Hinauswurf aus dem Bauhaus«? Wen das interessiert, der greife zum jüngst erschienenen sehr interessanten Buch »Hannes Meyer und das Bauhaus. Im Streit der Deutungen« herausgegeben von Thomas Flierl und Philipp Oswalt (Spector Books).
Daran schließen sich zeitgenössische Videos an, die Meyers Motive in sehr freien, sozialpädagogischen Assoziationen übersetzen. Leipzig kommt dabei auch vor. Eine Rentnerin, die seit 1978 in Grünau wohnt, wird auf ihre Erfahrung mit Gemeinschaft befragt. Das gemeinsame Rommé-Spiel mit den drei Frauen aus der Hausgemeinschaft samt Sektchen wirkt sehr authentisch, aber es stellt sich hier die Frage – was hat das mit Meyer zu tun?
Hätte man zwischen dem Artikel von 1926 und der Gegenwart etwa noch den Nationalsozialismus ins Haus holen sollen? Der liegt mit dem Gauforum direkt vor der Tür und das neue Haus soll Selbstbewusstsein repräsentieren und die auswärtigen Besucher erfreuen: Drei Millionen besuchen jährlich die Stadt.
»Kreative Welt-Provinz«Wolfgang Holler, der Generaldirektor der Museen in der Klassik Stiftung, erklärte bei der Pressekonferenz zudem die Wiedereröffnung des Neuen Museums, um der »kreativen Welt-Provinz« Weimar um 1900 gerecht zu werden. 1869 als Großherzogliches Museum eröffnet, stand es zu DDR-Zeiten als Ruine auf dem Weg vom Hauptbahnhof in die Innenstadt fast im Wege. 1999 im Kulturhauptstadtjahr eröffnete es als Haus der Gegenwart mit Kunstwerken aus der Sammlung des Galeristen Paul Maenz, der den Ostdeutschen Nachhilfe im Umgang mit Westkunst geben wollte. Er kündigte nach fünf Jahren die Zusammenarbeit, denn die Stiftung wollte mehr Klassik.
Nun präsentiert sie die Ausstellung »Van de Velde, Nietzsche und die Moderne um 1900«. Harmonisch verbinden sich Touch-Screens, Medienecken, Möbel und Kunstwerke. »So wie früher«-Stimmung kann aufkommen, wenn im Oberlichtsaal die Stühle von Hans Vollmer stehen wie sie auf Fotografien der Ausstellung »Deutsche und französische Impressionisten« aus dem Jahr 1903 zu sehen sind. Viel zu gemütlich wirkt das alles. Probleme bereitete die Damenkleidung – sprich das Korsett. Dafür entwickelten Henry van de Velde und seine Frau Maria das Hängekleid. Das passt gut ins traditionelle Familienbild. Von anderen Künstlern – wie etwa dem 1904 als Professor nach Weimar berufenen Sascha Schneider, der vier Jahre später nach Italien fliehen muss, weil ihn sein Lebensgefährte erpressen wollte – erfährt man nichts. So kreativ soll die Provinz dann wohl doch nicht sein.
Dafür kann sich im Eingangsbereich jeder sein Stückchen Weimar um 1900 kaufen: von der Fliese über die Nietzsche-Stoffpuppe bis zu den Tagebüchern von Harry Graf Kessler. Letztere sind sehr zu empfehlen, denn darin beschrieb er sehr detailreich das Leben in Weimar jenseits von heutigen musealen Präsentationen.
Andere GegenwartenDie ACC-Galerie liegt direkt neben dem Schloss und gibt sich gewohnt kämpferisch mit der Ausstellung »Solidarität – jetzt erst recht«. Der künstlerische Leiter Frank Motz, der lange die Halle 14 auf der Spinnerei anführte, besteht trotzdem darauf, dass es sich hier um die 1b-Lage von Weimar handelt. Zu sehen sind bis Mitte Mai die Ergebnisse des 24. Internationalen Atelierprogramm der ACC Galerie von Matthew McCarthy, Oliver Musovik und Kurchi Dasgupta. Was bedeutet Solidarität? Welche Formen der Gemeinschaft ergeben sich aus der aktuellen Situation? Wie kann dem Turbokapitalismus ein Schnippchen geschlagen werden? Wie wirkt sich Flucht aus? Ganz offensichtlich führt ein gewisser Abstand zum Hype-Zentrum zu kreativen Antworten auf Fragen, die dem Bauhaus auch schon bekannt waren.
Bis zum 14. April ist im Gaswerk Weimar der dritte Teil der vom Bauhausstudio 100 präsentierten Reihe »Unser Bauhaus« zu sehen. Es geht um die Vielfalt von Arbeiten, die in den letzten 25 Jahren an der Bauhaus-Universität entstanden – von Kugelschreiber über Kurzfilme bis zu Illustrationen. Karl Schawelka, emeritierter Professor für Geschichte und Theorie der Kunst, erklärte in seiner Eröffnungsrede am Donnerstag sehr treffend, dass der derzeitige Hype um das Bauhaus eher einer idealisierten Musealisierung dient denn einer produktiven Aufarbeitung. Zudem erklärte er auch, was es am Bauhaus nicht gab – zum Beispiel Ironie. Das sollte im Jubiläumsjahr nicht vergessen werden.
Die Gegenwart mit den Werten des Bauhauses zu verbinden, zeigt im Schillermuseum die Ausstellung »Imaginary Bauhaus Museum«, organisiert vom Magisterstudiengang »Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien« an der Fakultät Kunst und Gestaltung der Bauhaus-Universität Weimar.
Etwas mehr Gegenwart – gern mit ironischen Tönen – hätte das neue Bauhaus-Museum auch vertragen können, aber dafür gibt es in Weimar zum Glück noch andere Orte.