Über 20.000 Menschen haben gegen die Novelle des sächsischen Polizeigesetzes unterschrieben. Im März wurden die Unterschriften im Landtag übergeben. Nun drohen einem der Überbringer bis zu 5.000 Euro Bußgeld. Weil auf dem Karton mit den Unterschriften mehrere Sticker klebten. Einer der Aufkleber wird als Protestbekundung gewertet.
Am Mittwoch soll im sächsischen Landtag über das neue Polizeigesetz für den Freistaat entschieden werden. Die Gesetzesnovelle ist stark umstritten. Noch am Montag gingen in Dresden rund 1.000 Menschen auf die Straße, um dagegen zu protestieren, dass sächsische Polizisten mit Maschinenpistolen und Handgranaten ausgestattet werden oder im halben Bundesland Personen ohne konkreten Verdacht durchsuchen dürfen – zur Abwehr »grenzüberschreitender Kriminalität«. Verfassungsrechtler Ralph Zimmermann erklärte im kreuzer, dass die neuen Regelungen sogar so weit gehen, dass zukünftig jeder Mensch, der ein sächsisches Einkaufszentrum mit einem Rucksack betritt, als potentieller Ladendieb videoüberwacht werden darf.
Erschwerend kommt hinzu, dass sächsische Polizisten sich erfolgreich den Ruf erkämpft haben, gerne mal etwas weiter rechts zu stehen, als es die politische Neutralität gebietet. Die Liste der Skandale ist lang: Chatnachrichten mit Rechtsradikalen, Panzerfahrzeuge mit Nazi-Deko oder Beamte, die sich für einen Einsatz den Decknamen »Uwe Böhnhardt« geben.
Dieser Polizei nun noch mehr Befugnisse zu geben, halten keineswegs alle Menschen in Sachsen für eine gute Idee. Rund 21.000 Menschen unterschrieben daher eine Petition gegen das neue Polizeigesetz. Am 13. März hat die Initiative für Versammlungsfreiheit die gesammelten Unterschriften dem sächsischen Landtagspräsidenten übergeben, nun bekam einer der Überbringer exakt einen Tag vor der entscheidenden Abstimmung überraschend Post. In dem Schreiben wird dem Leipziger Fotografen Marco Santos vorgeworfen, er habe versucht, »Einfluss auf die politische Meinungs- und Willensbildung« zu nehmen und damit gegen die Hausordnung des Landtags verstoßen.
»Akronym ›ACAB‹ gut im Raum sichtbar«
Denn auf dem Karton, in der die Unterschriften transportiert wurden, war laut Schreiben »u.a. ein großformatiger Aufkleber mit der Aufschrift ›ACAB – Kein Freund, Kein Helfer‹ aufgebracht«. Weil Santos die Kiste mit den Unterschriften so auf den Tisch gestellt haben soll, dass der Aufkleber »gut im Raum sichtbar war«, droht ihm nun ein Bußgeld bis zu 5.000 Euro.
Das Akronym ACAB wird in der Regel als Abkürzung für »All Cops Are Bastards« gelesen, doch auch humoristische Lesarten wie »All Cats Are Beautiful« oder »Acht Cola, acht Bier« werden häufig angeführt. Ein Autor der Nürnberger Zeitung war sogar überzeugt, Acab sei ein türkischer Vorname und beschwerte sich über Sprayer, die »einfach nur ihren Namen hinschreiben«. Strafbar ist die Parole übrigens nicht – auch wenn sich bereits mehrfach Gerichte damit befassen mussten.
https://twitter.com/SDemokratie/status/1105870880264110080
Besonders entrüstet zeigt sich der Sächsische Landtag anscheinend darüber, böswillig getäuscht worden zu sein. So führt das Schreiben gleich zu Beginn aus, dass Santos beim Betreten des Gebäudes klar gefragt wurde, ob er »Plakate« mitführt. »Diese Frage verneinten Sie«, heißt es weiter. Anscheinend gelten in Sachsen bereits wenige Zentimeter große Aufkleber als Plakate.
Den weiteren Verlauf der Übergabe schildert das Schreiben, als sei in letzter Sekunde eine Katastrophe abgewendet worden: Der Sicherheitsbeamte intervenierte und entfernte die Kiste mit dem umstrittenen Aufkleber aus dem Raum. Der MDR begleitete die Übergabe mit einem Kamerateam, im Fernsehbericht war die strittige Szene nicht zu sehen.
»Ausdruck des sächsischen Demokratieverständnisses«
Den für das Polizeigesetz zuständigen Innenausschuss haben die gesammelten Unterschriften anscheinend gar nicht erreicht. Die letzte Sitzung bevor das Gesetz verabschiedet wird, fand am 28. März statt, also rund zwei Wochen nach der Übergabe. »Die Ausschussmitglieder wurden erst am Nachmittag des 27. März via E-Mail über die Petition in Kenntnis gesetzt«, kritisiert die Initiative. Eine Erweiterung der Tagesordnung sei so kurzfristig nicht mehr möglich gewesen.
Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns wirft dem Landtagspräsidenten deshalb vor, das Anliegen von über 21.000 Menschen werde »einfach missachtet, ausgesessen und ignoriert«. Oltmanns war zur Wendezeit tragende Organisatorin der ersten Montagsdemonstrationen, arbeitet in mehreren politischen Bildungsprojekten und kämpft nun als Teil der Initiative für Versammlungsfreiheit gegen das neue Polizeigesetz. Aus ihrer Sicht zeichnet sich bei den Ereignissen eine eindeutige Linie ab: »Der Umgang mit unserer Petition ist Ausdruck des sächsischen Demokratieverständnisses«.