Am Mittwochabend eröffnete die neue Konsum-Filiale im Westwerk. 250 ausgewählten Gästen wurde ein erster Bummel durch den Laden gewährt. Die Veranstaltung soll die »zarte Sanierung« der Halle widerspiegeln: Exklusivität trifft auf Graffiti und Supermarktsortiment.
Der Stich kündigte sich bereits vor einigen Tagen an, als sich an der Fassade des Westwerks plötzlich etwas tat. Der Bau von 1951, für Kenner eine Perle der Ostmoderne, wurde mit Leuchtreklame für die neue Konsum-Zentrale versehen. Die rot-blauen Schriftzüge wirken an den Wänden der alten Industriehalle wie eine Fotomontage aus den 2000ern. Wie eine Dystopie, die zeigen will, wie schlimm alles einmal werden könnte.
Ein Jahr wurde in der alten Produktionshalle des Gebäudes an dem 500 Quadratmeter großen Würfel gebaut, der »den Spagat wagt zwischen Ultramoderne und Architektur des frühen 20. Jahrhunderts«, wie Konsum-Vorstand Dirk Thärichen am Mittwoch bei der Voreröffnung sagte. Man sei richtig stolz auf diesen »Flagship-Store«, auf dieses »architektonische Kunstwerk, das sich so gut einfügt in diese Kathedrale der Architektur«, so Thärichen.
Am Abend vor dem Verkaufsstart an der Karl-Heine-Straße stehen die Einkaufswägen in Reih und Glied, die Regale sind dicht befüllt, Schweinemedaillons und marinierte Putenschnitzel konkurrieren um den hübscheren Glanz in der Auslage. 250 ausgewählte Gäste dürfen durch die neue Filiale schlendern, in der Vorhalle spielt ein DJ loungige Musik, es werden Häppchen gereicht, es gibt einen roten Teppich, der eigentlich kein Teppich ist, sondern Graffiti und der eigentlich nicht rot ist, sondern pink.
[caption id="attachment_76107" align="alignright" width="208"] Foto: Nadja Neqqache[/caption]
Peter Sterzing, Verwalter des Westwerks, hatte vor zwei Jahren in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung gesagt, er setze auf eine »zarte Sanierung«. In der Umsetzung heißt das jetzt: Der Supermarktwürfel wurde mit restaurierten Industrielampen des Westwerk-Mieters Wolf Konrad Roscher veredelt. Der Künstler Peter Freund besprühte die Wände hinter der Obst- und Gemüseauslage mit Graffiti, Spirituosen und Wein wurden in separaten Regaltürmen verstaut, deren Spitzen ebenfalls mit Kunst verziert sind.
Als Sterzing 2017 die Sanierung der Halle ankündigte, blieb es nicht lange ruhig. Es gründete sich die Initiative »Westwerk retten«, die die freie Kunst- und Kulturszene im Westen bedroht sah. »Das Westwerk steht symbolisch für einen kreativen und auch subversiven Charakter des Leipziger Westens, der dieses Viertel so lebenswert macht, aber zunehmend verloren geht«, hieß es in einem Demo-Aufruf im Februar 2017. Die Aktionsgruppe brachte mehr als 1000 Menschen auf die Straße – geholfen hat es nichts, der Supermarkt wurde realisiert.
Nur ein halbes Jahr nach der Eröffnung des Rewe City auf dem Areal des Felsenkellers, hat lediglich 750 Meter weiter am Donnerstagmorgen die neue Konsum-Filiale im Westwerk den Betrieb aufgenommen. Es ist gleichzeitig ein Jubiläum: Vor 135 Jahren gründete sich nur wenige Hundert Meter entfernt die Konsum-Genossenschaft. Thärichen betont seine Freude darüber, dass diese Geschäftsstelle »nur einen Steinwurf entfernt von der ersten Warenausgabestelle« umgesetzt werden konnte.
Der Glanz der Eröffnung hielt keine 24 Stunden an. Die letzten Gläser waren geleert, die Büffetreste verzehrt, als in der Nacht zu Donnerstag Unbekannte 52 Scheiben der Halle an der Karl-Heine-Straße einschlugen. Wie die Polizei mitteilte, konnten die Angreifer unerkannt flüchten. Auf welche Summe sich der Schaden beläuft ist noch nicht klar. Die Filiale öffnete trotzdem. Seit Donnerstagmorgen, 8 Uhr, hat Plagwitz also einen weiteren Supermarkt.