Der Ökolöwe machte im Februar das 365-Euro-Jahresticket nach Wiener Modell zum Thema: Ein Ticket für Bus und Bahn, das am Tag einen Euro kostet. Tino Supplies, beim Ökolöwen Experte für nachhaltige Mobilität und Stadtentwicklung, erklärt, welche Vorteile das Modell hat, wie es sich finanzieren lässt und warum es gerade jetzt Thema ist.
kreuzer: Warum gibt es die Idee des 365-Euro-Jahrestickets?
TINO SUPPLIES: Das Ticket kombiniert attraktiven Nahverkehr und erschwingliche Preise. Das sind zwei wesentliche Dinge, denn weder nützt billiger Nahverkehr allein, noch ist ein gut ausgestatteter Nahverkehr sinnvoll, wenn er sehr teuer ist.
kreuzer: Angenommen, das Ticket ist eingeführt und es nutzen mehr Leute das Jahres-Abo als jetzt. Das bedeutet mehr Ausgaben, weil dann ja mehr Straßenbahnen fahren müssten. Wie lässt sich das 365-Euro-Jahresticket finanzieren?
SUPPLIES: In Wien erhöhte sich die Zahl derer, die Jahreskarten kauften, deutlich. Nach zwei Jahren waren die Einnahmen höher als mit dem teureren Ticket davor. Damit war das Modell refinanziert. Diese Phase könnte in Leipzig länger dauern, weil der Preisunterschied größer ist. Zu den Kosten durch das erweiterte Angebot: Der Stadtrat beschloss im letzten Jahr, die über viele Jahre bei 45 Millionen Euro im Jahr eingefrorenen Betriebskostenzuschüsse für die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) anzuheben – bis auf 80 bis 90 Millionen im Jahr 2030. Die Einführungsphase lässt sich vom Bund und vom Land finanzieren.
kreuzer: Gibt es für mehr Fahrgäste eigentlich die nötige Infrastruktur in Leipzig?
SUPPLIES: Wir müssen für das 365-Euro-Jahresticket begleitend die Infrastruktur ausbauen, das Angebot erweitern und Takte verdichten. Das muss aber sowieso geschehen: Die LVB hatten seit 2004 eine Zuwachs an Fahrgästen von 40 Prozent. Dieses Mehr an Kapazitäten ist unabhängig vom 365-Euro-Jahresticket schon geplant.
Da das 365-Euro-Jahresticket nicht kostenlos ist, also eine gewisse Preishürde darstellt, ist kein explosionsartiger Ansturm zu erwarten. Das Mehr an Fahrgästen wird sich schrittweise einstellen, das war auch in Wien zu beobachten. Außerdem ist die Zahl der verkauften Jahrestickets nicht gleichbedeutend mit der Zahl täglicher Fahrgäste. Wer eine Jahreskarte fürs Fitnessstudio hat, geht auch nicht jeden Tag trainieren.
kreuzer: Warum ist das Thema jetzt so dringend?
SUPPLIES: Weil jetzt das Fenster der Möglichkeiten geöffnet ist. Jetzt gibt es das »Sofortprogramm Saubere Luft« der Bundesregierung, da braucht es ein starkes Signal aus Leipzig, um in das Förderprogramm aufgenommen zu werden. Die Bundesregierung schnürt derzeit das Paket für den Kohleausstieg und in dem Zusammenhang die Strukturförderung des Öffentlichen Personennahverkehrs – Leipzig kann als Pilotregion für vorbildlichen Nahverkehr auf die Förderliste der Kohlekommission. Dafür muss man sich aber entschließen und schnell beginnen. Die Einführung des Tickets und der Ausbau der Infrastruktur müssen zeitgleich und jetzt starten. Es gibt Stimmen, die zum Abwarten mahnen, weil es noch so viel vorzubereiten gebe. Das wäre der falsche Weg. Dann ist es vielleicht 2030, wenn die Einführung wirklich mal startet.
Dieser Text erschien zuerst in der kreuzer-Ausgabe 04/19.