Amtsdeutsch ist nie schön und zuweilen gar vollkommen unverständlich. Ulrike Leistner hat in ihrer Doktorarbeit für die HTWK Leipzig die Ursachen von Verständigungsbarrieren zwischen Jobcenter und Erwerbslosen untersucht. Sie analysierte Beratungsgespräche und befragte über 200 Sozialarbeiter in unabhängigen Beratungsstellen. Heute arbeitet sie als Koordinatorin für kommunale Gesundheit bei der Stadt Leipzig.
kreuzer: Wie unverständlich ist Post vom Jobcenter?LEISTNER: Pauschal kann ich das nicht sagen. Ich habe mir eine bestimmte Klientel von Erwerbslosen angeschaut und analysiert, wie sie mit den Behördenschreiben umgehen. Für diese Menschen, die deswegen Beratungsstellen aufsuchen, sind die Schreiben einfach nicht verständlich. Das sollte 2009 mit einer bundesweiten Reform der Schreiben hinsichtlich ihrer Formulierungen verbessert werden. Das war der Anlass meiner Untersuchung, die ergab: Verbessert hat sich nichts. Manche unabhängige Stellen sprechen von Verschlimmbesserung bis Verschleierung. Aber nicht nur die Schreiben sind problematisch.
kreuzer: Die Verständigungshemmnisse liegen nicht allein am Amtsdeutsch und den Textbausteinen?LEISTNER: Doch, auch. Der Text ist durch eine hohe Regelungsdichte des Gesetzes nicht einfach formuliert. In meiner Feldstudie in unabhängigen Beratungsstellen konnte ich beobachten, dass auch die dort zuständigen Berater zum Teil erst herumrätseln mussten, welche Posten in den Leistungsbescheiden aufgeführt waren. Aber der Text ist nur ein Teil, den ich betrachtet habe. Ich wollte die gesamte Kommunikationssituation untersuchen.
kreuzer: Also nicht nur die Stilistik?LEISTNER: Genau. Vorherige Studien haben nur auf die Schriftsprache geachtet, die reale Kommunikationssituation drumherum aber vernachlässigt. Aber die Empfänger befinden sich in einer besonderen Situation. Sie sind existentiell abhängig von den Jobcentern, Fehlverhalten wird mit Sanktionen bestraft, so können zwischen 30 und 100 Prozent ihrer Leistungen gekürzt werden. Damit sind die Leistungsempfänger abhängig davon, die Schreiben auch verstehen zu können und natürlich begegnen viele den Jobcentern mit einem gewissen Misstrauen. Denn sie können dort niemanden direkt erreichen. Es gibt keine offen einsehbaren Listen mit den Telefonnummern von Sachbearbeitern, an die sie sich mit einer Frage wenden können. Die Menschen werden allein gelassen, diese Nichterreichbarkeit ist ein großes Problem.
kreuzer: Welche Folgen hat das?LEISTNER: Die sind gravierend. Da ist natürlich der generelle psychische Druck, der auf den Betroffenen lastet. Ich kenne einen Fall, da hat eine Frau die ganze Post vom Jobcenter geschreddert – ungeöffnet natürlich. Das schaffte ihr kurzfristig Entlastung, aber auf lange Sicht nur Probleme. Bei den vielen Aufstockern, die am Existenzminimum leben, können unverständliche oder fehlerhafte Schreiben schnell zu Schuldenfalle werden, wenn plötzlich größere Summen vom Amt zurückgefordert werden. Ein Mann, der sein Einkommen immer gemeldet hatte, sollte plötzlich Tausende Euros zurückzahlen. Obwohl er alles richtig gemacht hatte, brachte das Amt ihn in die Verschuldung.
kreuzer: Hat die von Ihnen beschriebene Kommunikation System?LEISTNER: Ja. Das liegt am Menschenbild, das Hartz IV zugrunde liegt. In den unabhängigen Beratungszentren musste den Betroffenen immer zuerst erklärt werden, dass sie nicht selbst Schuld sind an ihrer Erwerbslosigkeit. Das wird ihnen vom Jobcenter immer suggeriert und ist die Logik dahinter: Jeder Mensch ist für seine Situation und den Zeitpukt seines Jobeintritts selbst verantwortlich. Nicht ohne Grund steht das Fordern vor dem Fördern. Dementsprechend werden die Menschen behandelt.
kreuzer: Was müsste sich Ihrer Analyse nach verbessern?LEISTNER: Es müsste eine bessere Beratungssituation geben in den Jobcentern, direkte Ansprechpartner mit Informationskompetenz. Und es muss weiterhin externe, unabhängige Beratungen geben etwa durch die Sozialverbände. Gerade hier besteht eine große Diskrepanz zwischen Stadt und Land. Im ländlichen Raum sind die Betroffenen besonders stark auf sich gestellt.
kreuzer: Jetzt sind sie selbst in der Verwaltung, beim Gesundheitsamt, gelandet. Was machen sie auf der Koordinierungsstelle kommunale Gesundheit?LEISTNER: Das war zunächst ein Forschungsprojekt, das dann in die Praxis überführt wurde. Wir fördern die Gesundheitsprojekte in bestimmten Stadtteilen. Früher mussten solche bei jeder Krankenkasse einzeln beantragt werden und die Anträge umfassten bis zu 17 Seiten. Wir bündeln die Krankenkassengelder in einem Fonds und ich konnte den Antrag auf einen Umfang von drei Seiten schrumpfen. Und ich bin vor Ort, um die Menschen zu beraten.
kreuzer: Sie können ihre Erkenntnisse über die Behördenkommunikation nun umsetzen?LEISTNER: Ja. So sollte es doch mit der Wissenschaft immer sein, dass sie praktisch wird. Wir werden jetzt auch ein Projekt mit Erwerbslosen starten, um ihnen direkt helfen zu können.