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Stadtleben

»Wir müssen Strukturen erhalten und neu gestalten«

IBA-Chefin Marta Doehler-Behzadi über Stadt und Land

  »Wir müssen Strukturen erhalten und neu gestalten« | IBA-Chefin Marta Doehler-Behzadi über Stadt und Land

Die Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen, die sich in den Jahren von 2015 bis 2023 dem Thema »StadtLand« widmet, hat dieses Jahr Halbzeit. In Apolda präsentiert sie den Zwischenstand ihrer 30 Zukunftsprojekte für die Provinz. Die IBA-Geschäftsführerin Marta Doehler-Behzadi erzählt im Interview vom Unterschied zwischen Stadt und Land, von leeren Räumen und vom Selbermachen.

kreuzer: Die Zwischenpräsentation der IBA nennt sich »StadtLand«. Löst sich der Gegensatz von Stadt und Land auf?Marta Doehler-Behzadi: Die Lebensumstände der Menschen auf dem Land und in der Stadt sind sehr ähnlich geworden: Sie gehen in die gleichen Supermärkte, machen die gleichen Urlaube, treiben dieselben Sportarten, nutzen die gleichen Bildungsmöglichkeiten und so weiter. Die Städte sind längst nicht mehr stark industrialisiert, das Landleben ist kaum noch bäuerlich.

kreuzer: Aber gleich sind Stadt und Land noch nicht?Doehler-Behzadi: Man lebt auf dem Dorf nach wie vor anders als in einer größeren Stadt oder gar einer Metropole. Und es gibt bestimmte Erfahrungen in Stadt und Land, die sich unterscheiden: Das Land, wo sowieso schon Unterdruck herrschte, hat sich immer weiter entleert, während die Städte immer mehr belastet wurden. Das ist dem sozialen Frieden und dem demokratischen Zusammenhalt nicht ganz zuträglich. Deshalb erkennen wir für unser Thema auch einen gesellschaftlichen Auftrag, denn wie der ländliche Raum gemanagt werden sollte, weiß man immer noch nicht so richtig.

kreuzer: Längere Zeit wurden die größeren Städte als Leuchttürme betrachtet und der Rest als der Rest. Macht man das noch so?Doehler-Behzadi: Diese Sichtweise zeigte sich letztens erst in der Empfehlung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, im Osten vor allem in die Leuchttürme zu investieren. Das ist sicher rational begründbar, aber dieser alte Stadt-Land-Gegensatz hat schwerwiegende Folgen, nicht nur städtebaulich, infrastrukturell oder volkswirtschaftlich, sondern auch mental und politisch.

kreuzer: Gibt es bei weniger Menschen im ländlichen Raum nicht auch eine andere Infrastruktur, ein anderes Jobangebot, andere soziale Strukturen?Doehler-Behzadi: Der ländliche Raum ist recht unterschiedlich und müsste so auch wahrgenommen werden, stattdessen wird er eher oberflächlich und verallgemeinernd betrachtet. Da liegt auch das Anliegen der IBA: Man muss sich auf diese Perspektive einlassen und eine Haltung einnehmen, die dem ländlichen Raum nicht in den Rücken fällt.

kreuzer: Es gibt also zwischen den einzelnen Dörfern, Kleinstädten und Regionen auch Unterschiede?Doehler-Behzadi: Ja, denn es hängt sehr viel von den einzelnen Menschen ab, weniger davon, ob ein Dorf einen günstigen Autobahnanschluss hat. Natürlich ist 
die Infrastruktur, die das Leben erleichtern oder eben auch verschlechtern kann, nicht egal. Es ist ein Problem, wenn jemand innerhalb weniger Jahre erlebt, dass alles immer weniger wird oder verschwindet: Bahnstation, Schule, Kneipe, Frisör, Geldautomat, und dann kommt noch eine Gebietsreform. Nicht zuletzt nach den letzten Wahlergebnissen müssen wir uns als Gesellschaft genau überlegen, wie wir die Strukturen so aufrechterhalten, dass sich da jemand kümmert. Einige Transformationserscheinungen haben ein krisenhaftes Ausmaß erlangt, zum Beispiel der demografische Wandel: Die Einwohnerzahl etwa im Schwarzatal ging innerhalb kurzer Zeit massiv zurück. Dann kam, ebenfalls rasant, die Wirtschaftsstruktur im Tourismus völlig zum Erliegen. Veränderungen, die in kurzer Zeit stattfinden, sind immer schwer auszuhalten, auch für eine Gemeinschaft oder Gesellschaft. Da braucht es Strukturen, um das einfacher zu gestalten.

kreuzer: Wie könnte das aussehen?Doehler-Behzadi: Wir konzentrieren uns im Schwarzatal auf bestimmte Schwerpunkte. Es gibt dort viele zivilgesellschaftliche Initiativen, vielleicht sogar mehr als in anderen ländlichen Regionen. Die verstehen sich als ein demokratisches Netzwerk, über das sie über die Zukunftsfragen ihrer Region ins Gespräch kommen. Ein Beispiel ist die Sommerfrische (siehe Porträt Kolbmüller, Anm. d. Red.). Es kommen wieder Gäste und es siedeln sich Vereine an, eine Genossenschaft eröffnet im Juli in einem ehemaligen Bahnhof einen kleinen Laden. Diese kleinteiligen Initiativen gilt es zu stützen.


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