In der gesetzwidrigen Aufstellung der AfD-Liste für die Landtagswahl sprangen der Partei viele Kommentatoren zur Seite. In der FAZ etwa hieß es, im Umgang mit der AfD habe sich eine plumpe Ausgrenzung durchgesetzt. Doch bei der Entscheidung handelt es sich nicht um einen politischen, sondern einen juristischen Fall, kommentiert Theater-Redakteur Tobias Prüwer.
Ein Missverständnis der Demokratie reicht weit in bürgerliche Kreise hinein. Das zeigen die Reaktionen auf die jüngste Opferinszenierung der sächsischen AfD. Da sollen Rechtsstaat und demokratische Prinzipien mal einfach so gelockert werden, weil die extrem rechte Partei einen »Formfehler« beging – und mit dem Druck der Straße droht. Dabei ist gerade die Forderung, das Wahlgesetz im Ausnahmefall nicht ernst zu nehmen, eine reale Gefahr für die Demokratie. Eine solche Auffassung missversteht sogar ihr Wesen und ist demokratiefeindlich. Und das betrifft nicht allein die AfD.
Kurz sei der Fall skizziert: Die sächsische AfD hat nur einen Teil ihrer Liste für die Landtagswahl einreichen können, weil sie ihre Kandidaten auf zwei verschiedenen Veranstaltungen mit zwei verschiedenen Verfahren ermittelte. Das verstößt laut Wahlausschuss gegen das Gesetz. Die AfD wütet, was nicht überrascht. Erstaunlicherweise springen ihr viele Kommentatoren zur Seite. So war in der FAZ zu lesen: »Im Umgang mit der AfD hat sich … eine plumpe Ausgrenzung durchgesetzt, die ohne Pardon die Brücken nach ›Rechts‹ abbrechen will. Die treibenden Kräfte dahinter, Linkspartei, Grüne und SPD, müssten aber gerade in Sachsen erkennen, dass sie bisher herzlich wenig dazu beigetragen haben, die AfD zu verkleinern. Gehen sie ihren Weg auch in diesem Fall kompromisslos weiter, wird die AfD profitieren. Souverän wäre das nicht.«
[caption id="attachment_77380" align="alignright" width="136"] Tobias Prüwer ist Theaterredakteur des kreuzer.[/caption]
»In diesem Fall« bezieht sich auf die Landesliste. Der Kommentator fordert allen Ernstes einen Kompromiss – wo im Gesetz steht, dass Landeslisten zurückgewiesen werden müssen, die »den Anforderungen nicht entsprechen«. Es gibt keinen Ermessensspielraum. Das ist keine politische Entscheidung, sondern eine juristische. Und da sind keine Kompromisse möglich. Wie sollte das auch aussehen? Jemand kandidiert ohne Parteibeschluss? Eine Partei braucht weniger Unterschriften zur Zulassung als eigentlich erforderlich? Die nächste überspringt mit 4,8 Prozent die Fünfprozenthürde? Kurzum: Wer hier einen Kompromiss einfordert, verlangt Rechtsbeugung.
Die Regelungen für die Listen sollen innerparteilich demokratische Prozesse garantieren und Mauscheleien bei der Kandidatenwahl ausschließen. Das Gesetz stellt daher gerade sicher, dass alle gleichgestellt sind, statt einen Teil zu benachteiligen, wie jetzt AfD & Co. fälschlicherweise behaupten.
Überhaupt ist es demokratiepolitisch sinnvoll, dass Wahlen stark formalisiert sind. Demokratie braucht solch transparente und überprüfbare Verfahren, weil jeder vor dem Gesetz gleich ist. Darin besteht doch der historische Gewinn der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber Diktaturen oder Feudalregimen. Dass das nicht die Endhaltestelle in puncto Emanzipation ist, geschenkt. Anerkennen sollte man diesen Fortschritt schon, den die repräsentative Demokratie bereitstellt. »Die Autorisierung politischer Macht wird maßgeblich über die freie, gleiche und allgemeine Wahl politischer Parteien und Personen legitimiert«, wie die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt. »Im demokratischen Wahlakt … kommt die kollektive demokratische Selbstbestimmung zu ihrem legitimen – wenngleich auch immer nur vorläufigen – Abschluss.« Wer eine Ausnahme im Wahlakt fordert, will einen Gesetzesbruch, der den Rechtsstaat unterminiert.
Und noch etwas ist hier ganz falsch: Aus Angst vor extremen Rechten für sie das Recht zu beugen, ist ein fatales Signal. Wehrhaftigkeit sieht anders aus.
Dieser Text erschien zuerst im kreuzer 08/19.