Die Debatte um Ostdeutschland wird doppelt falsch geführt – seit Jahren. Die Folgen sind eine Exotisierung auf der einen Seite und eine gleichmacherische Blockbildung auf der anderen. Es wird Zeit fürs Differenzieren.
Sicher, höhere Sympathien für rechtes Denken und Handeln in Ostdeutschland zwingen dazu, nach Gründen zu fragen. Dafür reicht es aber nicht, wenn ein Journalist mal kurz im Osten vorbeischaut, sich wundert und ein Reisebericht wie aus einem anderen Land entsteht. Derartiges gibt es schon zuhauf. Seit Pegida ist Sachsen zum Tummelplatz für solche Reportagen geworden. Nur Götz Kubitscheks Ziegenfarm zieht noch mehr Medienleute an als die Wut- und Hutbürger an der Elbe. Natürlich sind dieserart exotisierende Berichte ein Problem, das man benennen muss. Und ja, viel zu lange haben im Westen ansässige Medien zu oft nur dann in den Osten geschaut, wenn sich dort etwas Schrulliges regte. Und gelang es stets, den Ostdeutschen zu entmündigen, wenn etwa erklärt wird, er wähle Nazis aus Wut – und nicht etwa aus Überzeugung. Dabei wurden hier besonders virulente Probleme wie ungleiche Löhne, weniger Eigentum, Strukturschwäche ignoriert. Das rächte sich später, die Leute im Osten fühlen sich zum Teil zu Recht nicht ernst- und wahrgenommen.
Das zu kritisieren bedeutet aber nicht, Nazis im Osten kleinzureden und über die spezifischen Ostphänomene hinwegzugehen. Ja, hier ist das Naziproblem aus vielen Gründen größer. Und das hat in erster Linie nichts mit Treuhand und Westeliten zu tun. Das resultiert auch aus der DDR, wo die Verstrickung in den NS nie aufgearbeitet wurde. Gewaltbereitete Nazis gab es ab den achtziger Jahren in der DDR, Antisemitismus sowieso. Nur sprach und spricht keiner drüber. Wie in einem Abwehrreflex sind es heute (meist nachgewachsene) Ostdeutsche, die sich einmischen und ihr neu entdecktes »Wir« verteidigen, bei der Zeit im Osten oder den Krautreportern zum Beispiel. Der Osten wird in Schutz genommen. Statt endlich eine differenzierte Diskussion anzufangen, wird ein monolithischer Ostblock geformt, in dem jeder hier Lebende vereinnahmt wird.
[caption id="attachment_80334" align="alignright" width="154"] Tobias Prüwer ist Theaterredakteur des kreuzer.[/caption]
Und dann kann man da tolle Etiketten draufpappen wie »umbruchserfahren«, »krisengeschüttelt« et cetera. Alle paar Jahre rollen so Wellen von »Ostdeutsche als Avantgarde«, »Wir Zonenkinder« und »Dritte Generation Ost« durchs Land und behaupten Deutungshoheit. Auffällig ist immer der gleichmacherische Effekt hinter diesen Labels. Unterschiede werden nivelliert, wenn der Ostdeutsche dem Ostdeutschen beispringt – ohne überhaupt zu erklären, was »ostdeutsch« über eine Himmelsrichtungsangabe hinaus sein soll.
Was denn genau soll ich mit einem Lutz Bachmann gemein haben? Haben Sie etwas mit ihm gemein? Weil man mit den Worten Konsum und Kaufhalle aufgewachsen ist, tickt man anders als jene, die aus Supermärkten genährt wurden? Warum? Wenn man – ja: ich meine mich – eins gelernt haben kann aus der 89-Zäsur, diesem Weltbild- und Mauerfall, dann, dass solchem Wir mit energischem Unwillen zu begegnen ist. Warum Pioniere und Brigade ablehnen, aber liebend gern zu Volk, Papst, Sommermärchen, Schicksalsgemeinschaft und Ossis gemacht werden?
Reden wir also endlich auch über die Funktion des Etiketts »ostdeutsch«. Was meint das, wen schließt es ein und aus? Und brauchen wir es wirklich oder verbirgt sich dahinter Identitätskitsch? Heimat ist ein Gefühl und wer das braucht, soll sich darin einrichten. Im Politischen aber sind Emotionen gefährlich. Also lieber schauen, wer wann über wen spricht, statt das monolithisch aufgeblasene Ostdeutsche weiter den Blick verstellen zu lassen.
Dieser Text erschien zuerst um kreuzer 09/19.