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Politik

Danke, Polen!

Das osteuropäische Ausland hatte einen großen Einfluss auf den Umsturz 1989

  Danke, Polen! | Das osteuropäische Ausland hatte einen großen Einfluss auf den Umsturz 1989

Wer den Mauerfall verstehen will, darf nicht allein auf die DDR blicken. Die großen Risse im Ostblock zeigten sich zuerst in anderen Staaten, die oppositionellen Menschen in der DDR erhielten dadurch Rückenwind.

Der Mauerfall war kein nationales Ereignis: 1989 begann der Eiserne Vorhang insgesamt zu wanken. Der Ostblock wurde von Entwicklungen erfasst, ohne die die Grenzöffnung der DDR und die Vereinigung nicht denkbar gewesen wären. Diese Blickerweiterung hilft auch, heutige Besonderheiten in Ostdeutschland zu verstehen. Vom nationalen Befreiungskrieg zur deutschen Freiheitsbewegung: Übersteigerte Leipzigliebhaber spannen von den Kriegen gegen Napoleon 1813 bis zu den Montagsdemonstrationen 1989 einen roten Faden der deutschen Freiheit. Praktischerweise liegen die Symbole beider Ereignisse – Ring und Völkerschlachtdenkmal – in Leipzig und machen die Stadt zum besonderen Ort: Heldenstadt hoch zwei sozusagen. Doch auch jenseits solcher lokalpatriotischer Übertreibungen herrscht im populären 89er-Geschichtsbild eine Verengung vor, die zu Verzerrungen führt. Der Fokus auf die DDR blendet aus, dass damals ganz Mittel- und Osteuropa im Zeichen politischer und ökonomischer Umwälzungen und Umstürze standen.

Der deutschzentrische Blick beruht darauf, dass man heute die Wende von ihrem Ende her deutet: der deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Unter der – falschen – Voraussetzung, Ziel der Montagsdemonstranten sei das Entstehen eines großdeutschen Staates gewesen, wird die Interpretation von 89 als nationalem Ereignis erst plausibel. Banane und Bockwurst: endlich wieder eins, wächst zusammen, was zusammengehört. Dabei wird die Tatsache verdrängt, dass aufgrund ihrer Erfahrungen in den Ostblockjahren und später des Transformationsprozesses nach 89 die Ostdeutschen in manchen Aspekten den Osteuropäern näher stehen als Westdeutschen.

Die DDR war kein von anderen losgelöster Staat, sondern Mitglied des Warschauer Paktes. Dieser diente alsZusammenhalt und Schild für das Gesellschaftssystem, das seine Herrschenden als Sozialismus verstanden. Man wollte sich gegenseitig mit allen Mitteln unterstützen, zur Not militärisch eingreifen, wo man den Sozialismus in Gefahr glaubte. In diesen Pakt war die DDR eingebunden. Dass wirklich alle Mittel eingesetzt wurden, dafür liefern der 17. Juni 1953 in der DDR und der Prager Frühling 1968 Beweise. Russische Panzer standen gegen protestierende Bürger der DDR. Deren Führung wiederum war aggressiver Einpeitscher, was den Einmarsch der Armeen anbelangt. Auch die NVA stand an der tschechisch-slowakischen Grenze bereit, aber vorm Bild des neuerlichen Einmarsches deutscher Truppen zögerte man dann doch.

Um den Mauerfall zu verstehen, sind weitere Ostblockstaaten miteinzubeziehen. Es waren gerade die demokratischen Entwicklungen und Lockerungen in anderen Ländern, die zum Tauwetter führten und zum Beispiel die DDR-Bürgerbewegung ermutigten. Das kann man unter anderem in Ilko-Sascha Kowalczuks Geschichtsstudie »Endspiel« nachlesen, der die meisten der nachfolgenden Informationen entnommen sind. Sie trägt den bezeichnenden Untertitel »Die Revolution von 1989 in der DDR«.

Die DDR-Regierung sah sich Ende der achtziger Jahre einer zunehmenden Isolierung im Ostblock gegenüber. Das kann man an drei Zeichen im Jahr 1989 benennen. Beim Staatsbesuch in Ostberlin erklärte der kubanische Politiker Raúl Castro, dass die Probleme der DDR »in einigen sozialistischen Ländern, das heißt in unserem Rücken« lägen. Zweitens versuchte die Regierung mit dem isolierten Albanien anzubändeln und drittens stimmte auf einer Sicherheitskonferenz in Nordkorea nur Rumänien der Hardliner-Position der DDR zu. Während es in vielen anderen Ländern entweder von unten aufzubegehren begann oder die Regierungen reformistische Züge annahmen – meist traf beides zu –, blieben Honecker und Konsorten bei der Politik der harten Zügel. Natürlich merkten sie, dass die Stimmung in der Bevölkerung längst kippte, aber dem wollte man mit harter Hand gegenhalten. Der Staatsratsvorsitzende behauptete noch kurz vorm Ende trotzig: »Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.«

Die Stimmungsaufheller für die DDR-Bevölkerung kamen von außen. Die Menschen erwarteten nach den offensichtlich gefälschten Wahlen im Frühjahr natürlich eine Art Reformation oder Neuformation, die mit einem Abdanken der Honecker-Riege beginnen würde. Die Zeichen standen darauf, dass Glasnost auch in die DDR einzöge. Mit diesem Schlagwort (»Transparenz«) trat Michail Gorbatschow 1985 sein Amt als Generalsekretär im sowjetischen Zentralkomitee an. Er versprach größere Offenheit der Staatsführung gegenüber der Bevölkerung. Eine Demokratisierung hatte er nicht im Sinn, die neue Haltung sollte ein Entgegenkommen an die Bevölkerung sein.

Denn auch in der Sowjetunion waren solche Gärprozesse längst im Gange, auch wenn sie zunächst noch gewaltsam unterdrückt wurden. Gegen Ausschreitungen 1988 in Armenien und Aserbaidschan reagierte Moskau hart, Menschen starben. Im gleichen Jahr demonstrierten am Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes von 1939 – am 23. August – Litauer, Esten und Letten zu Hunderttausenden für ihre Unabhängigkeit. Der Beginn vom Ende zeichnete sich zumindest ab. Auch die Gewalt der von Gorbatschow eingesetzten Militärtruppen schreckte die Leute nicht. Am 26. August 1989 bildeten 1,25 Millionen Menschen eine Kette von Tallinn über Riga nach Vilnius.

Auch in anderen Ostblockstaaten regte sich der Unmut von unten, reagierte man mit Reformen von oben. So trat der ungarische Parteichef im Frühjahr 1988 zurück. Im Land, das ohnehin bereits eine leise Öffnungspolitik betrieb, diskutierte das Zentralkomitee jetzt konstruktiv über die Einführung eines Mehrparteiensystems. Im Sommer 1989 verhandelten Regierung und Opposition schließlich am Runden Tisch über die Einführung der Republik mit freien Wahlen. In Polen hatte sich seit 1980 die unabhängige Gewerkschaft Solidarność zu einer Massenbewegung entwickelt. Mit großen Streiks zwang sie die Regierung immer wieder, mit ihr in Dialog zu treten. Am Runden Tisch wurde das Regime schrittweise auf dem Verhandlungsweg rückgebaut. Bei der halbfreien Wahl im Juni gewann die Solidarność alle zu holenden Sitze, Ministerpräsident wurde ein Gewerkschaftsberater. Das polnische Beispiel beflügelte alle Freiheitshoffenden in der DDR und war Horror für die dortige politische Führung, auch wenn hier eine verankerte Massenopposition fehlte.

Im Juli schuf ein beachtlicher Beschluss der Warschauer-Pakt-Staaten Realitäten: Sie beschlossen die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Staaten. Es war seit dem Prager Frühling das Prinzip, einzugreifen, wo man den Sozialismus bedroht sah. Mit russischen Panzern mussten die Oppositionellen nicht mehr rechnen – aber sicher atmete angesichts der »chinesischen Lösung«, die auch andernorts im Raum des Möglichen stand, niemand auf.

Den Schlussstein in diesen Bogen des Umbruchs setzte Ungarn mit der Ankündigung, die Grenzbefestigungen zu Österreich abzubauen. Der Eiserne Vorhang wurde löchrig, was die Massenfluchtbewegung von DDR-Bürgern auslöste. Über Ungarn flüchteten Zehntausende – ein Faktor, der mit für den Mauerfall sorgte.

In diesem Rahmen muss man die inneren Ereignisse in der DDR denken, muss sie ins Verhältnis setzen. Geschichte geht auf Taubenfüßen, monokausal sind Ereignisse nie. Die großen Risse im Ostblock zeigten sich zuerst in anderen Staaten, die oppositionellen Menschen in der DDR erhielten dadurch Rückenwind. Diese Einflüsse und Wirkungen von außen anzuerkennen, bedeutet keineswegs, den Mut der Leute auf den Straßen der DDR zu schmälern. Ihre Montagsdemonstrationen haben mit dafür gesorgt, den Mauerfall herbeizuführen. Aber wie die Konzentration auf die Demonstranten andere 89er-Faktoren wie die Ausreisewelle und wirtschaftliche Schwäche ausblendet, so verkürzt die Interpretation der deutschen Revolution die Geschichtssicht.

Das ist historisch falsch und liefert ein wackeliges Bild. Dieses ist auch für die Sicht auf die Gegenwart und daraus abgeleitete Schlüsse gefährlich. Denn für die Frage, warum Ostdeutschland anfällig ist für rechtes Denken und Handeln, lohnt die Zusammenschau mit anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks. Die Menschen dort machten und machen ähnliche Transformationsprozesse durch; die Entwicklung ist ja noch nicht abgeschlossen. Auch das gilt es als Mythos zu entlarven. Der wache Blick auf Osteuropa mag helfen zu verstehen, warum eine ostdeutsche Teilbevölkerung so rechtsoffen ist – und dass das noch einige Zeit andauern wird, solange der Transformationsprozess weiter läuft. 


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