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Politik

Worte des Wechsels

Aus dem kreuzer 10/2014: Die »Friedliche Revolution« war weder friedlich noch eine Revolution

  Worte des Wechsels | Aus dem kreuzer 10/2014: Die »Friedliche Revolution« war weder friedlich noch eine Revolution

Friedliche Revolution? Wende? Auf welchen begrifflichen Punkt soll man den Herbst 1989 bringen? Schaut man sich die Bezeichnungen genauer an, ist das Wort »Wende« schnell diskreditiert – und die »Friedliche Revolution« war weder friedlich noch eine Revolution.

Der Planwagen der Händlerin / Und der und man kann als Argument nachschieben, die Polizei am 7. Oktober in Ost-Berlin Tausende Eisenwagen der Genossen / Stoßen aufeinander. Was für alte Fahrzeuge, die nicht wenden können!« Mit diesen Worten eröffnete Volker Braun am 12. Oktober die 40. Spielzeit am Berliner Ensemble. »Ihre sichtbare / Schwierigkeit macht uns Mut / Zu einer andern Bewegung. Eröffnen wir / Auch das Gespräch / Über die Wende im Land.« Er trug den Text auch am 9. November in der Leipziger Neuen Szene vor und hatte bereits 1988 das Gedicht »Die Wende« verfasst, das mit den Worten endet: »Auf den Hacken / Dreht sich die Geschichte um.« Seit September 1989 forderte die Vereinigte Linke via Flugblatt: »Ein linkes alternatives Konzept für eine Wende wird immer dringlicher!« Und zwei Tage vor dem Gebrauch durch Egon Krenz hieß es auf einem Spiegel-Titel »DDR – Die Wende«. Krenz, der frisch gekürte SED-Generalsekretär, bediente sich also frank und frei bei diesen Ideen, am 18. Oktober 1989 via Fernsehen und Rundfunk: »Mit der heutigen Tagung des Zentralkomitees werden wir eine Wende einleiten ...« Er hat den Begriff verfälscht, vereinnahmt – und popularisiert. Daher wird die Benutzung des Wortes »Wende« für die Ereignisse von 1989 oft kritisiert dass eben mit Beitritt zur BRD und Auflösung der DDR nicht erfüllt wurde, was die Opposition im Herbst 89 als Wende einforderte. Zudem ramponiert allein die Wortgleichheit zu Helmut Kohls Losung der »geistig-moralischen Wende« das Wort nachhaltig.

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die »Wende« verankert, die »Friedliche Revolution« kommt weniger Menschen über die Lippen. Trotzdem ist sie die offizielle Bezeichnung und nicht weniger abwegig. Und zwar aus zwei Gründen: Das Adjektiv »friedlich« verschleiert, dass die Ereignisse nicht so gewaltfrei waren, wie es das Kind mit der Kerze auf Papas Schultern bildlich ausdrückt, mit dem das Lichtfest 2009 beworben wurde. Gewiss, es gab keine Toten, kein gigantisches Blutvergießen, aber doch Gewalt. Als am 4. Oktober der letzte Flüchtlingszug aus Prag den Dresdner Hauptbahnhof passiert, laufen Tausende Ausreisewillige und Demonstranten auf. Pflastersteine fliegen, Autos werden umgestürzt, ein Polizeiwagen angezündet.

Die Menschen plündern – wohl ein symbolischer Vorbote – einen Intershop. Die Polizei setzt Wasserwerfer und Tränengas ein. Brutal drängt die Polizei am 7. Oktober in Ost-Berlin Tausende ab, die gen Palast der Republik strömen, um ihren Protest zu den Feiernden des Republikgeburtstags zu tragen. Es gibt Übergriffe und 1.200 Gewahrsamnahmen mit teilweise physischer und psychischer Folter. Am selben Abend versuchen in Plauen Sicherheitskräfte, 15.000 (!) Demonstranten mit Feuerwehrschläuchen von der Straße zu spritzen, wobei die Berufsfeuerwehr direkt in die Menge fährt. Man könnte Plauen die eigentliche Heldenstadt nennen, würde der Titel nicht so fröstelnd machen.

Die Spannung war groß mit Hinblick auf den Montag, den 9. Oktober in Leipzig: Würde es zur »chinesischen Lösung«, also dem Einsatz von Gewehren und Panzern, kommen? Die Staatsmacht hält sich zurück und auch die Demonstranten verzichten auf Gewalt. Das Attribut »friedlich« kann folglich nur als »relativ friedlich« verstanden werden. Es ist historisch nicht richtig und lässt zudem die berechtigte Angst der Demonstrierenden unter den Tisch fallen. Von den Nazis, die sich später auf den Montagsdemonstrationen zum eigenen, gewalttätigen Block formierten, ganz zu schweigen.

Und die Revolution? Wenn ein Historiker zusammenfasst, der Herbst 1989 habe zum Zwei-plus-Vier-Abkommen geführt und »Deutschland erhielt seine volle Souveränität zurück«, spricht das nicht für die revolutionäre Tat. Geht man vom bürgerlichen Rechtsverständnis aus, dann bedeutet 89 die Restauration des Privateigentums. Das beinhaltet auch der Grundsatz »Rückgabe vor Entschädigung«. Der Revolutionsbegriff betont zu sehr die Akteure auf der Straße und blendet die Vorarbeit der Polen, die Grenzöffnung der Ungarn, Glasnost und Perestroika aus. Und verschweigt, dass Akteure der CDU-West den Slogan »Wir sind ein Volk!« auf Demonstrationen lancierten. Hannah Arendt nannte zwei Revolutionsphasen: »Das Stadium der Befreiung – von Armut oder Fremdherrschaft – und das Stadium der Gründung der Freiheit«. Runde Tische und Bürgerkomitees, Sozialund Betriebsräte, Hausbesetzungen und Zeitungsgründungen waren klare revolutionäre Elemente der Selbstermächtigung. Aber den Großteil davon blockten konservative, vereinigungsorientierte Kräfte weg. Der kurze revolutionäre Moment erlosch im Zuge der Vereinigungsforderungen. Mit dem Herrschaftswechsel und – immerhin – Erreichen bürgerlicher Freiheit standen Ziele wie Basisdemokratie und Mitsprache nicht mehr zur Debatte.

Übrigens: Die Zusammensetzung »Friedliche Revolution« verwendete zuerst Walter Momper, der damalige Bürgermeister von Berlin West. Bekannter aber ist er wegen seines roten Schals. Vielleicht ist »Mauerfall« in aller Neutralität dann doch der beste Ausdruck. Oder, wie es in mehreren osteuropäischen Ländern heißt: »Wechsel«. – »Der Weg ist nicht zu Ende, wenn das Ziel explodiert.« (Heiner Müller)


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