Immer mehr Normaluhren verschwinden, weil sie keine zeitgemäßen Reklameflächen liefern. Mit ihnen fehlen nicht nur markante Orientierungspunkte im öffentlichen Raum, sondern auch wichtige Zeugen der Moderne.
Wer heute den Johannisplatz quert, dem fällt vielleicht die einsame Säule am Straßenrand der Nürnberger Straße auf. Bis vor wenigen Wochen thronten auf ihr vier Werbflächen und darüber vier Uhren, um aus allen Richtungen die Zeit von ihren Ziffernblättern ablesen zu können. Andere Uhren im Stadtraum zeigen seit mehreren Wochen fünf Minuten vor zwölf Uhr an und das ist – wenn es um Normaluhren in Leipzig geht – nicht mal eine billige Metapher, denn Normaluhren sind mehr als nur Werbeträger.
Präzise ModerneErst nach 1800 verloren Sonnenuhren ihre Bedeutung als Zeitmesser im öffentlichen Raum. Da die Kirchturmuhren oftmals nicht exakt gingen, beauftragte beispielsweise die Berliner Akademie der Wissenschaften den Hofuhrmacher Christian Möllinger mit dem Bau einer Uhr. Die so genannte Akademieuhr befand sich ab 1787 an der Außenwand des Akademiegebäudes Unter den Linden. So konnten sich die Passanten an der genauen Uhrzeit orientieren. 1893 wurde die Normalzeit im Deutschen Reich eingeführt, um einen reibungsfreien Zugverkehr nach einheitlichen Zugfahrplänen zu gewährleisten. Dafür mussten alle Uhren gleich gehen. Damit auch alle davon Kenntnis nehmen konnten, wurden um öffentlichen Raum Uhren mit der Normalzeit aufgestellt – die Normaluhren, die so einerseits als ein Zeichen gegen Kleinstaaterei gelesen werden können und andererseits auch als Mittel der Repräsentation in Form und Platzanordnung.
[caption id="attachment_82067" align="alignright" width="212"] Merkuruhr am The Westin Hotel. Foto: Britt Schlehahn[/caption]
Besondere UhrenBerlin feierte vor wenigen Wochen den 50. Geburtstag der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz. Sie stammt vom Berliner Formgestalter Erich John, der 1977 auch eine Weltzeituhr für Leipzig geplant hatte. Aus Kostengründen wurde die 13 Meter hohe Uhrenkonstruktion nicht auf der ehemaligen Grünfläche zwischen Brühl und Richard-Wagner-Straße vor dem ehemaligen Brühlpelz aufgestellt. Auch in Weimar findet sich ein besonderes Exemplar. Die Stadtuhr nahe des Theaterplatzes gestaltete Hendryk Spanier im Auftrag des VEB Uhrenwerk Weimar. Die Normaluhr besitzt vier Uhren und zeigt zusätzlich die Temperatur, Feuchtigkeit und Luftdruck an. 1987 wurde sie als besonders gelungenes Beispiel auf der letzten DDR-Kunstausstellung präsentiert. Aufgrund der hohen Kosten fand sie keine Nacheiferer. In Leipzig kann zumindest die Uhr vor dem 1981 als Interhotel Merkur (heute The Westin Hotel) etwas mithalten.
Normale UhrenDie Normaluhr war keineswegs ein Luxusgeschöpf, sondern streng funktional. Heute findet sich das unter Denkmalschutz stehende Modell noch am Eingang des Zoos. Auf einem viereckigen Grundriss sind acht Glasflächen angeordnet, denen vier Uhren folgen. Metallbau Werner aus Leipzig fertigte die Stahlrahmen, die die Normaluhr insgesamt zusammenhalten. So eine Konstruktion ragte wie ein Leuchtturm im Stadtraum auf.
[caption id="attachment_82068" align="alignleft" width="188"] Nur die Kiesfläche zeugt davon, dass an der Petersstraße bis vor Kurzem eine Normaluhr stand. Foto: Britt Schlehahn[/caption]
Die Normaluhr in der Grimmaischen Straße/Universitätsstraße zeigt es heute noch. Von den vor zwei Jahren noch 17 auf Sockel sich befindlichen Uhren sind lediglich zwei erhalten geblieben. Ein prominentes Beispiel in der Petersstraße zwischen Messehof und ehemaligem Lichtspieltheater »Capitol« verschwand im Sommer. Heute ist das ehemalige Fundament mit Kieselsteinen aufgefüllt.
Die Uhren betreibt die zur Stöer-Gruppe gehörenden Werbefirma Deutsche Städte Medien GmbH (DSM). Neue Verträge vom 1. Januar 2017 führten zu einer ersten Welle des Verschwindens von Uhren – unter anderem auch an der Kreuzung Thomaskirche/Gottschedstraße. Von einem Tag auf den anderen verschwand auch die Normaluhr in der Georg-Schumann-Straße nahe der Lindenthaler Straße. So bleibt das Gemälde »Straßenszene mit Normaluhr« aus dem Jahre 1981 des Leipziger Malers Günter Thiele. Darauf ist die Uhr zu sehen mit einer Spee-Werbung und um sich herum hastenden Menschen zu sehen.
Gestaltungsordnung der StadtAuch die etwas anders gestalteten Uhren verschwanden – wie etwa an der Gerberstraße. Sie stand wie die meisten Uhren auf einer Säule. Das Gehäuse war grün angestrichen, römische Zahlen gaben auf dem Zifferblatt die Zeit an und zum Abschluss gab es noch eine kleine Bekrönung.
Dem voraus hatte der Stadtrat 2015 das Ausschreibungsverfahren von 32 auf 20 Uhren reduziert. Für die noch vorhandenen Uhren besteht ein Vertrag bis zum 31. Dezember 2032.
Das ist etwas irritierend, denn die Stadt hat sich eigentlich in ihrer Gestaltungsordnung selbst vorgenommen, dass sie sich um die Denkmale der Produktions- und Verkehrsgeschichte – vor allem historische Anlagen der Versorgung – wie Handschwengelpumpen, Normaluhren und Uhrensäulen kümmern möchte.