Ausgehen und Genuss haben in Leipzig Tradition. Trotzdem brodelt es in der Szene: Schließungen, Neueröffnungen, in Küche und Service fehlt es an Fachkräften. Zum Jahresauftakt lud die kreuzer-Redaktion eine angehende Köchin und fünf Expertinnen ein.
kreuzer: Frau Kloß, war Köchin Ihr Traumberuf?
LEONIE KLOß: Ich wollte mich eigentlich zur Erzieherin ausbilden lassen, aber da hätte ich fünf Jahre gar nichts verdient. Da ich das nicht durfte, wollte ich Köchin werden. Auf meine Bewerbungen hat sich zuerst der Ratskeller gemeldet. Ich hatte mein Vorstellungsgespräch und nach einer Woche den Ausbildungsvertrag unterschrieben.
kreuzer: Man hört oft, in den Küchen herrsche ein raues Klima. Stimmt das?
KLOß: Bei uns sind wir ziemlich lustig unterwegs und aufgeschlossen.
kreuzer: Kennen Sie Azubis, die ihre Lehre abgebrochen haben? Woran liegt das?
KLOß: Es haben schon mehrere aufgehört. Manche sind entlassen worden, anderen war es zu anstrengend. Meist liegt es daran, wie die Leute strukturiert sind und dass sie auf Arbeit vielleicht nicht so viel Lust hatten, immer etwas zu tun.
kreuzer: Spielen die Arbeitszeiten abends und am Wochenende eine Rolle?
KLOß: Also, ich finde es besser, in der Woche frei zu haben statt nur am Wochenende. Und Freunde haben auch irgendwann mal in der Woche Zeit. Aber ich wäre schon gerne mehr bei der Familie. Ich bin halt immer von 12 bis 20.45 Uhr arbeiten. Mein Zug nach Wittenberg kommt 22.14 Uhr. Gegen halb zwölf bin ich zu Hause.
kreuzer: Wie stellen Sie sich Ihre Arbeitswelt nach Abschluss der Lehre vor?
KLOß: Ich arbeite weiter als Köchin und mache nebenbei eine Umschulung zur Erzieherin.
CHRISTIAN ULLMANN: So ist die Realität!
kreuzer: Werden Sie den Köchinnen-Job aufgeben, wenn Sie Erzieherin geworden sind?
KLOß: Dann habe ich zwei Ausbildungen abgeschlossen und werde überlegen, aber ich arbeite halt gerne mit Kindern.
BIRGIT KRATOCHVIL: Vielleicht können Sie ja als Erzieherin unserer Branche treu bleiben und mit Kindern kochen!
kreuzer: Herr Ullmann, die NGG vertritt die Arbeitnehmerseite. Woran liegt es, dass die Abbrecherquote in den gastronomischen Ausbildungsberufen hoch ist?
ULLMANN: Es liegt an der Arbeitszeit, an der Bezahlung und am Arbeitsklima.
kreuzer: Es gibt Fälle von angehenden Hotelfachleuten, die nur als »Tellertaxi« im Restaurant laufen und die vorgeschriebenen Ausbildungsinhalte gar nicht vermittelt bekommen. Wer hilft ihnen, wenn der Betrieb nicht richtig ausbildet?
KRATOCHVIL: Die Aus- und Weiterbildungsberater der IHK beschäftigen sich sehr intensiv mit den Problemen von Azubis. Wir kümmern uns als Kammer durchaus um beide Seiten. Azubis, die beim ersten Lehrverhältnis nicht in einem Unternehmen gelandet sind, wo sie die Ausbildung beenden möchten, haben mit der Azubibörse oder über offene Stellen bei Kollegen durchaus die Möglichkeiten zu wechseln. Es gibt aber immer auch Azubis, die nach drei Monaten sagen: Das habe ich mir anders vorgestellt, ich wollte eigentlich bald mit Herrn Lafer vor der Kamera stehen. Da wird es schwer zu helfen. Jeder muss in bestimmten Situationen auch mal die Zähne zusammenbeißen.
kreuzer: Herr Hüpkes, wehren Sie sich als Arbeitgeber dagegen, nur negativ dargestellt zu werden?
AXEL HÜPKES: Natürlich müssen Ausbilder verlässlich sein, Arbeitszeiten einhalten und Lehrinhalte vermitteln. Wobei es auch hier eine zweite Wahrheit gibt, wenn wir Schulungen ansetzen und keiner kommt. Dem Vorwurf »schlechtes Image« halte ich gern meine persönliche Historie entgegen: Ich war fünf Jahre im Hochschwarzwald tätig. Ich habe wenig Geld verdient, aber viel gespart, weil ich gar keine Zeit hatte, es auszugeben. Die Zeiten haben sich geändert. Doch herrscht in Küche und Service eine raue Sprache, leidet das Arbeitsklima darunter. Gerade in Stresssituationen müssen wir mehr moderieren.
kreuzer: Wie sieht es mit besseren Verdienstmöglichkeiten aus?
HÜPKES: Wenn die Löhne steigen, wird alles teurer. Und wenn eine Frau Klöckner (Bundeslandwirtschaftsministerin, d. Red.) sagt: Wir wollen alles frisch und die Möhre soll pur geschnitten werden, gebe ich ihr recht, das möchten wir! Wenn aber auf der anderen Seite nicht gewollt ist, dass inder Schule dann das Mittagessen 2,70 Euro statt 2,40 Euro kostet, trennt sich die Spreu vom Weizen. Unseren Zulieferern sage ich auch immer, dass wir in den gastronomischen Betrieben nicht die Chancehaben, eine Anfahrtspauschale zu nehmen.
THOMAS MARBACH: Aber diese Chancen haben wir in Zukunft! Wir müssen generell den Mut haben, das auszusprechen. Sonst kommen wir tatsächlich in eine Situation, wo das Fachkräftethema alles dominiert. Konzepte haben ihren Preis – das müssen wir den Gästen vermitteln. Im Eventbereich funktioniert das schon ganz gut. Aber wir müssen die kleineren Betriebe abholen.
HOLM RETSCH: Den Fachkräftemangel haben wir seit mindestens zehn Jahren. Trotzdem habe ich in meinem Verbandsgebiet mit knapp siebenhundert Dehoga-Mitgliedsbetrieben sehr fähige Unternehmer, bei denen sich immer wieder Azubis und Mitarbeiter bewerben, weil sie gehört haben, dass sie zwar straff arbeiten und Qualität liefern müssen, aber auch angemessen bezahlt und ordentlich behandelt werden.
kreuzer: Gibt es zu viele »schwarze Schafe«?
RETSCH: Es gibt sie leider immer noch. Bei der Gemengelage von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und unterschiedlichen Gästen hat es jeder mehr oder weniger in der Hand, richtig oder falsch zu handeln. Die Wertschätzung unserer Branche gegenüber ist unterschiedlich. Es ist schwer, es immer allen recht zu machen.
KRATOCHVIL: Wir haben ganz viele kleine Gaststätten, Vereinslokale, Gartenkantinen. Dort geht es um die Problematik mit dem Arbeitszeitgesetz, denn gerade in kleineren Lokalen konzentrieren sich Arbeitszeit und Nachfrage meist aufs Wochenende. Es gibt viele Unternehmen, die jetzt ihre Nachfolge regeln müssten, aber nach 30, 35 Jahren erstens keinen Nachfolger finden und zweitens teilweise für sich selbst weder Krankenkasse noch Rentenversicherung mehr bezahlen, weil sie es einfach nicht können. Für die Mitarbeiter müssen sie das, aber sie sparen an sich selbst. Die haben gar keinen Mut, die Preise anzuheben, einfach aus Angst, dass dann der letzte Gast noch geht.
MARBACH: Das geht dennoch grundsätzlich mit Qualität und fachlichen Inhalten einher, wo wir wieder bei diesem Negativkreislauf sind: Die Industrie bringt immer mehr vorgefertigte Produkte auf den Markt.Die sind zwar zeitsparender zuzubereiten, letztendlich aber ungesünder – und sie entziehen unserem Handwerk die Grundlagen. Wer sie einsetzt, verlernt das Kochen. Daran sind andere Faktoren wie Saisonalität oder Regionalität gekoppelt. Was mache ich denn jetzt aus den Resten? Diese Kreativität geht ebenfalls verloren.
kreuzer: Wie ist das mit den gesetzlichen Arbeitszeiten?
KRATOCHVIL: Das Arbeitszeitgesetz müsste flexibler gehandhabt werden. Es ist eben wirklich so, dass es in kleineren Lokalen, beispielsweise mit Saalbetrieb für Feiern, zu Problemen kommt, wenn die Mitarbeiter ihren Arbeitsstundensatz schon erfüllt haben.
ULLMANN: Aber dafür gibt es Personalagenturen und Leihköche, die die Stammbelegschaft aufstocken können. Ich habe kürzlich geheiratet, und meine Hochzeit musste nicht abgebrochen werden. Da war genügend Personal – ich habe extra nachgefragt, jeder hatte seine Arbeitszeit eingehalten.
kreuzer: Das ist halt dieses Differenzierte in der Gastronomie. Jede Veranstaltung ist ein Sonderfall. Es gibt Ausflugslokale auf dem Land, deren Mitarbeiter wegen der langen Arbeitswege lieber drei, vier Tage am Stück, aber täglich länger arbeiten würden, um den Rest der Woche frei zu haben. Reicht die flexible Wochenarbeitszeit dafür aus?
HÜPKES: Nein, und hier hätte ich gerne die NGG ein Stück weiter mit im Boot. Mir ist die Aussage, stärker an die Gesundheit zu denken, teilweise zu dünn. Wir wollen das Personal nicht knechten. Aber es sollte keine Ausnahmen geben wie beim Oktoberfest in Bayern. Die Mitarbeiter dort arbeiten zweieinhalb Wochen durch und weit länger als acht Stunden täglich. Ausgerechnet da erteilt die Politik eine Ausnahmegenehmigung. Aber wenn eine Serviererin die ganze Zeit dreizehn Kilo Maß auf dem Arm schleppt, und das vierzehn bis sechzehn Stunden, hat das mit Gesundheit nichts zu tun.
kreuzer: Also fehlt es bei allen Beteiligten an Empathie für das Machbare?
HÜPKES: Wir müssen Empathie bei uns und bei unseren Gästen wecken, damit sie darüber nachdenken, was passiert, wenn sie zum Beispiel reservierte Tische nicht absagen. Mittlerweile gibt es Wirte, die sagen, zu bestimmten Anlässen müssen die Leute …
RETSCH: … die Hälfte anzahlen. Das ist der richtige Weg.
HÜPKES: Anderes Beispiel: Als Ende 2019 ein Bundesparteitag auf der Messe stattfand, hatte ich auch Gäste von der Partei. Die kamen nachts aus der Innenstadt wieder und waren ganz verwundert, dass die Hotelbar zu ist. Wir haben sie bis ein Uhr geöffnet, gern mal bis halb zwei oder drei, lassen unsere Mitarbeiter dann später kommen. Aber Fakt ist: Die Nachtstunde Arbeit kostet Zuschlag. Normal müssten wir das Bier sogar teurer verkaufen. Selbst wenn der G20-Gipfel bis morgens um vier tagt, kriegen die noch was zu essen. Da fragt keiner, wo es herkommt. Bei einem Frühstück in der Staatskanzlei saß neben mir ein Politiker, der klagte, dass er gestern Abend um halb zehn in einer Gaststätte nichts mehr zu essen bekommen habe. Das sind die Geister, die ich rief …
RETSCH: Gut, dass er das mal merkt!
MARBACH: Diese Bürokratisierung, auch die des Tariflohnes, ist heutzutage aus meiner Sicht völliger Quatsch, weil der Markt das regeln wird. Der Unternehmer, der seinem Personal das Bessere bietet, wird die besseren Leute haben. Köche sollten Wanderjahre absolvieren, durch die Welt ziehen und andere Kulturen anschauen, in denen wirklich ganz anders gearbeitet wird – ohne große Gesetze, sondern wie es der Markt verlangt. Das erlaubt so eine Art Freiheit, bei der jeder mit seinem Arbeitgeber einen Deal machen kann.
kreuzer: Herr Ullmann, was spricht aus Ihrer Sicht gegen Flexibilisierung?
ULLMANN: Das aktuelle Arbeitszeitgesetz ist ja nicht ganz neu. Was haben dann die Wirte früher gemacht? Massiv dagegen verstoßen! Und wenn ich gegen Gesetze verstoße, erhöht das nicht die Attraktivität für zukünftig Beschäftigte. Die sogenannte Generation Z heute trennt ganz stringent zwischen Arbeits- und Privatleben. Die Leute wollen maximal acht Stunden arbeiten. Da sollte man als Arbeitgeber die Schulungen besser in die Arbeitszeit legen.
KRATOCHVIL: Da möchte ich widersprechen. Sicher gibt es Azubis, die so denken, aber es gibt auch ganz viele junge Leute, die sagen, ich mache Wanderjahre, nehme in der Schweiz oder in Österreich einen Saisonarbeitsplatz. Sie finden es richtig cool, im Hotel zu sein, abrufbar, die Anerkennung dafür. Die ziehen ein halbes Jahr durch und dann weiter.
kreuzer: Das Problem liegt also tiefer?
ULLMANN: Früher wurde über Bedarf ausgebildet, da ist nicht aufgefallen, dass die Abbrecherquote bei den Köchen oder Hotelfachleuten um 50 Prozent lag. Ich rede viel mit Azubis. Die Jungs und Mädels müssen oft nach der Berufsschule in den Betrieb kommen und weiterarbeiten. Bei Minderjährigen werden die Nachtzeiten nicht eingehalten. Das ist für mich der Punkt, warum ich von Flexibilität nichts halte. Wir haben doch schon die Fünf-Tage-Woche, sogar die Möglichkeit eines Arbeitszeitkontos ist per Tarifvertrag geschaffen.
HÜPKES: Na, Sie müssen eine Sondergenehmigung einholen.
ULLMANN: Aber man kann variabel arbeiten. Nur manche Arbeitgeber halten sich nicht daran.
HÜPKES: Ich hätte gerne, dass sich alle Dehoga-Mitglieder der Tariftreue verbinden. Wenn ich Betriebe besuche und es um Abschlüsse von Azubi-Verträgen geht, liegt man mit 710 Euro sogar knapp 200 Euro über der geforderten Mindestausbildungsgrenze. Also so schlecht sind wir hier nicht unterwegs. Der Mindestlohn hat ja nicht dazu geführt, dass jene im unteren Lohnbereich auf einmal reich geworden wären. Die Brötchen wurden teurer, der Friseur … Hier hat die kalte Progression gegriffen: Die paar Euro fünfzig, die jemand mehr netto hatte, war er eigentlich gleich wieder los.
ULLMANN: Tarifverträge bauen darauf, dass für Arbeitnehmer nicht nur die Löhne steigen, sondern ihre Gesamtstellung verbessert wird.
RETSCH: Eine Herausforderung wird es dabei sein, Migranten für die Dienstleistungsbranche zu interessieren. Das haben wir uns weit oben auf die Fahne geschrieben, um die Menschen zu integrieren und den Arbeitskräftemangel ein Stück weit zu minimieren.
kreuzer: Themenwechsel. In Leipzig werden Hotels gebaut ohne Ende, in zwei, drei Jahren haben wir laut Planung 23.000 Betten in der Stadt. Die Übernachtungszahlen steigen ebenfalls …
HÜPKES: … aber nicht proportional!
kreuzer: Was nützt dieser Boom der Hotellerie und ganz speziell der Stadt?
HÜPKES: Das Konkurrenzdenken wird sich verschärfen, die Qualität verbessern. Ich hätte mir gewünscht, dass man stärker auf den sozialen Wohnungsbau setzt.
RETSCH: Die Zeiten sind vorbei, wo zu Buchmesse oder Wave-Gotik-Treffen alle Hotels ausgebucht waren. Das passiert nur an 30, vielleicht 35 Tagen im Jahr. Wir brauchen auf jeden Fall ein weiteres Kongress-center. Gerade im Tagungsbereich gibt es Saisonzeiten. Da kommt keiner, wann wir es gerne hätten. Viele Termine überschneiden sich.
kreuzer: Befürchten Sie, dass der Hotelbauboom ins Gegenteil umschlagen wird, weil es an Infrastruktur und Services fehlt?
KRATOCHVIL: Leipzig hat mit der Schaffung der zweckgebundenen Steuer »Gästetaxe« für Übernachtungsgäste die Chance, nicht nur für den Geschäfts-, sondern auch für den Individualtouristen und sogar den Leipziger etwas zu tun, um die Stadt als auch das Umland attraktiver zu machen. Dazu gehören Toiletten- und Wegekonzepte, WLAN an touristischen Hotspots und ein Gästecard-System, aber auch Informations- und Leitsysteme und vor allem ein anderes ÖPNV-Angebot. Wir wollen grün sein …
kreuzer: … besser vernetzt.
KRATOCHVIL: Alle Akteure im Tourismus müssen über den Tellerrand hinaussehen, damit sich Gäste wohlfühlen und wiederkommen. Davon profitieren nicht nur Hotels und Gastronomie, sondern ebenso Einzelhandel, Dienstleistungen, Kulturanbieter und alle ringsherum.
RETSCH: Infrastrukturell werden wir einen Kollaps bekommen, wenn nicht kurzfristig alle an einen Tisch kommen und den Verkehr in die richtigen Bahnen lenken.
MARBACH: In anderen großen Städten imponiert mir, wenn der Fokus nicht nur auf der City, sondern mehr auf den Stadtteilen liegt. In Berlin passiert das in Kreuzberg, Prenzlauer Berg … Das birgt Potenzial!
KRATOCHVIL: Wir haben in Leipzig mit rund 2.000 gastronomischen Betrieben eine gute Mischung. Was ich in den letzten fünf bis zehn Jahren erlebe, sind sehr kreative, interessante Konzepte, die sowohl verschiedene Ernährungsformen als auch regionale Küche oder den Kochberuf in den Fokus stellen. Wenn wir es dann noch schaffen, die Leistungen bedarfsgerecht anzubieten, sollte uns um die Zukunft der Branche nicht bange sein.
HÜPKES: Ich wünsche mir gerade in der Zusammenarbeit mit der NGG, dass wir unsere Branche mehr gemeinsam vertreten.
ULLMANN: Da gebe ich Ihnen recht.