Wir treffen Christoph Neumann an der Thomaskirche. Für das Interview hat er das Café Kandler ausgesucht. Einer seiner Lieblingsorte in der Stadt.
kreuzer: Warum sollten Sie Oberbürgermeister von Leipzig werden?Christoph Neumann: Weil ich Leipziger bin. Leipzig hat in den letzten Jahren seine Seele, den Leipziger Geist verloren. Gemeint ist das, womit wir 1989 die Wende geschafft haben. Mir ist klar, warum wir ihn verloren haben. Mittlerweile sind 60 Prozent der Einwohner Leipzigs keine echten Leipziger mehr, sondern seit 1990 hinzugezogen. Aus aller Herren Länder. Ich möchte versuchen, Leipzig diesen Geist, dieses Gefühl und diese Seele wieder zurückzugeben.
kreuzer: Sehen Sie sich in der Tradition des Neuen Forums oder von Bündnis 90?Neumann: Nein, gar nicht. Ich sehe mich in der Form, dass es das Bürgertum war, das in den achtziger Jahren angefangen hat, die Wende herbeizuführen. Aber ich sehe mich n icht in den Fußstapfen des Neuen Forums. Das auf keinen Fall.
kreuzer: Das Neue Forum war doch daran maßgeblich beteiligt, dass es diese Entwicklung gegeben hat?Neumann: Der Anstoß kam sicher aus dem Neuen Forum, von diesen Intellektuellen, aber erst als es insgesamt gelang, dass die Masse mitmacht, erst dann konnte die Wende vollzogen werden. Da denke ich, wie viele meiner Freunde, dass wir das dann demonstrativ auf der Straße mit eingeleitet haben.
kreuzer: Waren Sie denn auf der Straße? Sie waren doch Polizist, oder?Neumann: Ja, definitiv. Beim Bundesgrenzschutz war ich damals. Ich war zum damaligen Zeitpunkt Uniformträger, das ist richtig. Aber ich bin hier mitgelaufen, mit meinen Klassenkameraden, Leipziger Freunden. Dafür habe ich damals in Berlin bei meiner Dienststelle auf den Deckel bekommen.
kreuzer: Sie waren also DDR-Grenzschützer?Neumann: Ja, genau. Später habe ich dann in Berlin das Bundespräsidialamt als Wachhabender bewacht. Da können Sie sich vorstellen, dass man in dieser Position dreimal durchleuchtet wird.
kreuzer: Was würden Sie anders machen als Burkhard Jung?Neumann: Erstens Sicherheit und Ordnung in dieser Stadt wieder durchsetzen. Das fängt bei nicht zulässigen Schmierereien an Hauswänden an. Verkehrsrowdys müssen wissen, ob Fahrrad- oder Autofahrer, dass es im Straßenverkehr Recht und Ordnung gibt. Recht und Ordnung, nicht nur beim Stichwort Connewitz. Ich rede
auch von der Eisenbahnstraße. In der Stadt, in der ich Oberbürgermeister bin, hat sich jeder an Recht und Ordnung, an den geltenden Rechtsstaat zu halten. Zweitens die Infrastruktur. Als Oberbürgermeister würde ich sagen, wir legen jetzt, bildlich gesprochen, ein Spinnennetz auf Leipzig. Wir haben dann acht Himmelsrichtungen, auf denen es jeweils große, breite Ein- und Ausfahrtstraßen gibt. Darum legen wir ein, zwei, drei Kreise, Ringstraßen an. Das heißt, Sie brauchen nicht durch das Zentrum zu fahren, sondern können den Nord- oder Südring benutzen.
kreuzer: Sie priorisieren also das Auto?Neumann: Nein. Diese Ausfahrtstraßen sollen breite Fußwege, Radwege und Parkbuchten mit Bäumen haben. Ebenso zwei Fahrspuren, damit Lieferfahrzeuge oder Rettungsfahrzeuge kurz parken können, und ein separates Tram-Bett. Damit kann der öffentliche Nahverkehr schwunghaft von A nach B fahren. Damit sind alle Verkehrsteilnehmenden paritätisch beteiligt und keiner wird benachteiligt. Das dritte Thema ist mir ganz wichtig: Das Bürgerliche soll in dieser Stadt wieder mehr Geltung bekommen. Bürgertum bedeutet für mich Bildung, Familie, Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und natürlich sehe ich auch die Handwerker.
kreuzer: Wie wollen Sie das Bürgerliche noch zu Geltung bringen?Neumann: Die Hochkultur muss noch mehr zur Geltung kommen. Das sind für mich Gewandhaus, Oper, Schauspielhaus. Von mir aus auch große Kinos, wo gute Filme liefen. Das war früher das Capitol, wo Dok-Filme laufen. Der anderen Kultur, jungen Künstlern, sage ich: Kunst kommt von Können. Bevor ein Künstler stark subventioniert wird, muss er mir erst mal zeigen, dass er wirklich was kann. Wenn er was kann, setzt er sich durch. So ist große Kunst weltweit entstanden. Diese Dauersubventionierung von Künstlern, die meinen, dass sie Künstler sind, halte ich nicht für sinnvoll. Und ich würde Schulen animieren, öfter beispielsweise ins Theater der Jungen Welt zu gehen und Kindern dort Kultur nahezubringen. Wenn sie größer sind, können sie mit ihnen auch ins Schauspielhaus oder die Oper gehen. Viele Kinder haben Oper oder Gewandhaus noch nie von innen gesehen. Dieses Erleben in schönen Räumlichkeiten, das Anstehen an der Garderobe, sich dort zu bewegen, schafft eine gewisse Aura für Menschen.
kreuzer: Ihre Antwort auf steigende Mieten in Leipzig?Neumann: Mietkauf. Ein tolles Beispiel für das, was nach der Wende versäumt wurde. Ein elementarer Fehler. Den haben Staaten des ehemaligen Ostblocks damals nicht gemacht. Die haben staatliche Wohnungen symbolisch für einen Rubel oder eine Krone verkauft. Dadurch entstand eine viel höhere Eigentumsquote. In Rumänien haben 98 Prozent der Menschen Privateigentum. Dieses Modell kann man bei Leipzigs kommunalen Wohnungen anwenden. Selbst wenn ein Mieter 200 oder 300 Euro Miete zahlt, nach 20 oder 30 Jahren gehört ihm die Wohnung.
kreuzer: Viele wohnen aber bei Privaten zur Miete.Neumann: Enteignen geht natürlich nicht, das ist klar. Ich kann nur auf das zurückgreifen, was kommunaler Bestand ist. Ich könnte aber, wenn das rechtlich machbar ist, als Kommune einem privaten Träger etwas zu einem wirtschaftlichen Preis abkaufen. Wenn das Objekt Eigentum der Stadt ist, kann ich sukzessive an die Mieter verkaufen.
kreuzer: Was würden Sie zur Chefsache machen, wenn Sie gewählt werden?Neumann: Das Erste wäre Ordnung und Sicherheit. Das ist definitiv Chefsache. Das Zweite die Infrastruktur. Ich möchte die Stadt, auch mit der digitalen Infrastruktur, für die nächsten hundert Jahre fit machen.