Wenn die sächsische Polizei kommuniziert, erreicht sie Hunderttausende und kann bundesweite Reaktionen auslösen. Die Ereignisse um Silvester in Connewitz haben gezeigt, wie schnell das nach hinten losgehen kann. Pascal Ziehm leitet die Stabsstelle Kommunikation der Polizei im Sächsischen Innenministerium. Wir haben mit ihm über sachliche Kommunikationsarbeit und unsachliche Polizeimeldungen gesprochen.
kreuzer: Fangen wir mit dem Elefanten im Raum an. »Es gab klar Fehler in der Kommunikation der Polizei«, erklärte Sachsens Innenminister Roland Wöller nach der Silvesternacht in Connewitz, zwei Leipziger Polizeisprecher mussten nach den Ereignissen ihre Posten räumen. Was war da los?
PASCAL ZIEHM: Ich glaube, der Einsatz in der Silvesternacht hat sich für alle Beteiligten mit einer gewissen Dramatik dargestellt. Es sind Kollegen verletzt worden und einer davon so schwer, dass er bewusstlos war und am Schluss eine Operation notwendig war. Aber wenn wir uns die Frage stellen, was gute Kommunikationsarbeit der Polizei ausmacht, war die Silvesternacht nicht unbedingt ein Glanzstück. Da wurde ein Narrativ reingebracht, das einer ohnehin schon dramatischen Situation eine zusätzliche Dramatik verliehen hat, der es nicht bedurft hätte. Wir wären gut bedient gewesen, so wie wir es sonst auch machen, sachlich und neutral wiederzugeben, was zu dem Zeitpunkt bekannt war.
kreuzer: Man hätte dieses Narrativ doch korrigieren können, oder? Sie haben ja mitbekommen, was für eine mediale Reaktion das ausgelöst hat.
ZIEHM: Genau, da sind wir beim Thema Verantwortung. Die Mediendebatte, die sich angeschlossen hatte, da muss ich am Ende des Tages sagen, ist in gewisser Weise eine Luxusdebatte. Denn ich diskutiere lieber und gerne auch kritisch darüber, was gute Polizeikommunikation ausmacht und was Journalisten und Bürger von uns in der Kommunikation erwarten können, als darüber zu streiten, wie ein Einsatz so eskalieren konnte, dass Kollegen schwer verletzt wurden. Insofern sollten wir selbstkritisch bereit sein, eine Debatte zu führen, was gute Kommunikation ausmacht.
kreuzer: Dazu würde auch zählen, eine Polizeimeldung im Zweifelsfall öffentlich zu korrigieren?
ZIEHM: Notfalls auch das, wenn sich bestimmte Ereignisse später in einem anderen Licht darstellen. In so einem Einsatz herrscht eine hochkomplexe Informationslage. Da brechen wir uns keinen Zacken aus der Krone, wenn wir entsprechende Meldungen auch korrigieren.
»Wenn wir uns die Frage stellen, was gute Kommunikationsarbeit der Polizei ausmacht, war die Silvesternacht nicht unbedingt ein Glanzstück«
kreuzer: Ist die Absolutheit, mit der Sachsens Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar nach der Silvesternacht erklärt hat, »die Polizei wird niemals Falschmeldungen verbreiten« nicht etwas zu hoch gegriffen?
ZIEHM: Der Anspruch sollte definitiv so hoch sein. Wir hatten im Nachgang zur Silvesternacht auch die Debatte, ob die Polizei überhaupt eine privilegierte Quelle sei oder nicht. Natürlich ist das unser Anspruch. Der Silvester-Einsatz hat gezeigt, dass in dem Moment, in dem die Polizei eine Meldung rausgibt, diese von Medien eins zu eins übernommen wird. Aber diesem Anspruch müssen wir auch gerecht werden. Wenn der Landespolizeipräsident sagt, dass natürlich keine Falschmeldungen von der Polizei ausgehen dürfen …
kreuzer: ... er hat ja nicht gesagt, die Polizei dürfe keine Falschmeldungen verbreiten, sondern erklärt, sie mache es generell nicht.
ZIEHM: Ja, das ist der hohe Anspruch. Das ist auch mein Anspruch und der aller Kolleginnen und Kollegen, die mit viel Hingabe in der Kommunikation der Polizei arbeiten. Der Anspruch sollte sein, keinen Fehler zweimal zu machen und die Dinge beim Namen zu nennen.
kreuzer: Warum kommuniziert die Polizei überhaupt direkt an die Öffentlichkeit, das ist doch gar nicht deren Aufgabe?
ZIEHM: Unsere Welt hat sich medial weitergedreht. Heute ist jeder nicht nur Empfänger, sondern auch Sender, der oft gar keine klassischen Medien mehr rezipiert. Vieles findet über Social Media statt. Wir erleben immer häufiger, dass man mit Objektivität und mit Fakten nur schwer an gefühlsbasierte Wahrnehmungen rankommt, die sich bei manchen verfestigt haben. Hinzu kommt, dass Polizeieinsätze heute bewertet werden wie Fußballspiele. Wenn dann aber Ausschnitte ohne journalistische Einordnung von Nutzern über Social Media verbreitet werden, ist es gut, wenn die Polizei sich dort selbst erklären kann. Wir setzen aber nicht nur auf unsere eigene Social-Media-Arbeit, sondern wollen auch für Journalisten ein verlässlicher Partner sein. Das eine schließt das andere für uns definitiv nicht aus. Das letzte was wir wollen, ist Journalisten ihre Arbeit streitig machen. Es gab in der Vergangenheit Versuche, in denen sich die Polizei selbst interviewt hat, das als Video online gestellt hat und anfragende Medienvertreter darauf verwiesen wurden. Davon halte ich in der Regel nichts. Je professioneller unsere Social-Media-Kommunikation ist, genauso gut muss unser Austausch mit Medienvertretern sein.
kreuzer: Ist die Auswahl der Fälle in Polizeimeldungen repräsentativ? Der Rechercheverbund Correctiv hatte am Beispiel Wien nachgewiesen, dass dort jeder fünfte Handtaschenraub in den Pressemitteilungen landete, aber nur jede 43. Vergewaltigung.
ZIEHM: Natürlich ist eine Medieninformation immer nur eine Auswahl dessen, was tagtäglich passiert. Vermutlich weniger als zehn Prozent der Sachverhalte schafft es in die Medieninformationen. Ein Grund dafür ist beispielsweise, dass eine Tat in der Öffentlichkeit stattgefunden hat, also ohnehin bekannt ist. Oder die Schwere der Tat kann entscheidend sein. Ein geklauter Lippenstift schafft es vermutlich nicht in die Zeitung.
»Auszuwählen, was in die Öffentlichkeit kommt, gibt es sicherlich auch schon als Vorstufe bei der Polizei«
kreuzer: Aber es landen doch auch regelmäßig Betäubungsmittelfunde in geringen Höhen in den Polizeimeldungen?
ZIEHM: Da sind wir im präventiven Bereich, auch das spielt eine Rolle. In dem Zusammenhang landen auch Betrugsfälle wie der »Enkeltrick« in den Meldungen, also wenn sich gewisse Sachverhalte häufen und wir in der Hinsicht Informationsbedarf bei der Öffentlichkeit sehen.
kreuzer: Der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl kritisiert, die Polizei habe die Herrschaft über die Wirklichkeit, die sie transportiert. Gewalt aus der Mitte der Gesellschaft spiele in Polizeimeldungen oft keine Rolle, weil sie nicht in die Wahrnehmung des rechtschaffenen Polizeibeamten passe.
ZIEHM: Das ist erstmal ‘ne Ansage. Ad hoc verifizieren kann ich das nicht. Aber ich kann zumindest erklären, warum wir über gewisse Dinge nicht berichten, auch wenn sie, wie etwa häusliche Gewalt, leider tagtäglich vorkommen: Zum einen, um Geschädigte zu schützen, in anderen Fällen berichten wir nicht, um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden und bei Schutzbedürftigen, also bei Kindern und Jugendlichen setzen wir ebenfalls andere Maßstäbe an. Schlussendlich ist aber auch die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens für die Kommunikation zuständig. Aber ich gebe ihm grundsätzlich recht. Als Kommunikationswissenschaftler ist mir das nicht fremd. Die Gatekeeper-Funktion, wie sie bei Journalisten essentiell ist – also auszuwählen, was in die Öffentlichkeit kommt –, gibt es sicherlich auch schon als Vorstufe bei der Polizei.
kreuzer: Auch dadurch, wie die Polizei kommuniziert, beeinflusst sie die öffentliche Wahrnehmung. Der Tagesspiegel hat das am Beispiel von Berichten über Unfälle von Autofahrern mit Fußgängern und Radfahrern nachgezeichnet, die mehrheitlich aus der Perspektive eines »verständnisvollen Beifahrers« verfasst sind.
ZIEHM: Da bin ich über die Diskussion sehr dankbar, wenn geschaut wird, wie man einen Sachverhalt darstellt. Wie man mit Begriffen vorsichtig und akkurat umgeht. Das ist definitiv ein Thema, was wir uns noch genauer anschauen werden. Der Aspekt mit Fahrradfahrern war mir bislang neu, das würde ich auf jeden Fall als Thema aufgreifen wollen. Grundsätzlich ist es aber ein wichtiges Thema, wie neutral wir Sachverhalte beschreiben. Also mit welchem Tenor, mit welchem Zungenschlag. Da sind mir auch Beispiele aus der Vergangenheit bekannt, die uns eher als Bad-Practice-Beispiele dienen können.
kreuzer: So wie die Leipziger Polizeimeldung über »Straftatenbegehung als Form der Begrüßungshandlung« bei einem libyschen Tatverdächtigen oder Erörterungen über das Frauenbild im Islam unter der Überschrift »Artikel 3 und 4 Grundgesetz vs. Sure 4:34«?
ZIEHM: Ja, ich glaube da sind wir uns einig, dass das nicht dem Anspruch entspricht, den wir an sachlich-neutrale Kommunikation haben. Ich sehe es auch nicht als Aufgabe einer Polizeipressestelle, eine gesamtgesellschaftliche Einordnung treffen zu müssen. Das erste Beispiel ist mir noch gut bekannt, da haben wir intern sehr intensiv diskutiert. Es gab auch mal ein Gedicht über einen Verkehrsunfall mit einem Wildschwein als Pressemitteilung. Ich habe großes Verständnis, dass so etwas Menschen ärgert. Wenn man sich in die Situation des Geschädigten versetzt, sind wir gut beraten, wenn wir unsere Kommunikation sachlich ausrichten und nicht versuchen, einen Witz oder sonstigen Zungenschlag in einen Sachverhalt reinzubringen. Das steht uns schlicht und ergreifend nicht zu.
»Ich käme persönlich nicht als erstes auf die Frage, wo ein Tatverdächtiger denn herkomme, aber sie begegnet uns im größten Teil aus der Mitte der Gesellschaft«
kreuzer: In Sachsen soll seit diesem Januar in jeder Polizeimeldung die Nationalität von Tatverdächtigen genannt werden. Warum?
ZIEHM: Wir haben uns das gesamte letzte Jahr sehr intensiv damit beschäftigt, auch mit Staatsanwälten und Journalisten diskutiert, wie eine einheitliche Lösung aussehen soll. Wir benennen jetzt, abgesehen von einigen Ausnahmeregelungen, stets die Staatsangehörigkeit eines Tatverdächtigen. Uns geht es darum, einheitlich zu kommunizieren. In der Vergangenheit haben das alle Dienststellen unterschiedlich gehandhabt, was mitunter zu Verwirrungen geführt hat. Die sächsische Polizei sollte da einheitlich vorgehen. Wir hatten das Problem davor auch in der anderen Richtung: Wenn wir beispielsweise über einen »Freitaler« geschrieben haben, hat es dann Diskussionen in sozialen Medien gegeben, was das bedeutet und ob es sich wirklich um einen deutschen Staatsangehörigen handelt. Wir versuchen da jetzt mit größerem Fingerspitzengefühl ranzugehen.
kreuzer: Der Polizeiwissenschaftler Tobias Singelnstein nannte diese Strategie »falsch und gefährlich«, weil damit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Staatsangehörigkeit und Kriminalität impliziert werde.
ZIEHM: Wir sind uns einig, dass Kriminalität ein ubiquitäres Phänomen ist. Es richtet sich nicht am Alter, am Geschlecht oder an der Staatsangehörigkeit aus. Wir können uns aber auch der Nachfrage danach nicht verschließen. Auch viele Journalisten haben bei uns regelmäßig nachgefragt, wenn Staatsangehörigkeiten nicht genannt wurden. Da habe ich auch keinen Grund, diese Auskunft zu verweigern. Wir können natürlich auch philosophieren, was jemand impliziert, der unbedingt wissen will, wo ein Tatverdächtiger denn herkomme. Ich käme persönlich nicht als erstes auf diese Frage, aber sie begegnet uns im größten Teil aus der Mitte der Gesellschaft. Aber auch hier ist es wieder wichtig, wie man so etwas schreibt: Wenn ich die Staatsangehörigkeit schon in die Überschrift setze, sind wir ganz schnell wieder bei den Negativbeispielen, die wir bereits angesprochen haben. Das hat für mich nichts mit Sachlichkeit zu tun.
kreuzer: Das Social-Media-Team der Polizei Sachsen wurde ursprünglich zur Nachwuchswerbung ins Leben gerufen. Wo verläuft die Grenze zwischen Information und Werbung?
ZIEHM: Viele Menschen kommen mit der Polizei ja kaum in Berührung. Und wenn man mit der Polizei zu tun hat, ist es in der Regel kein erfreulicher Anlass. Wir wollen uns aber als der Freund und Helfer, der wir sein wollen, natürlich den Menschen gegenüber öffnen und Fragen zum Polizeiberuf beantworten. Für viele ist der Beruf stark medial geprägt, egal ob durch Fernsehformate wie den »Tatort« oder »Alarm für Cobra 11«. Da ist es für uns natürlich wichtig, den Polizeiberuf mit all seinen Facetten, Rechten und Pflichten darzustellen. Dieses Bild wollen wir gerne realitätsgetreu transportieren. Ich selbst bin kein Polizist und lerne jeden Tag neu dazu, was es bei der Polizei für spannende Aufgabenbereiche gibt. Zugleich gilt aber auch, dass Polizeiarbeit nie so transparent war: Wenn wir über Social Media mit Sachverhalten konfrontiert werden, ist da vieles durchaus für die Reputation der Polizei relevant. Ein Klassiker ist das Polizeiauto, das vor dem Imbiss auf dem Fahrradweg steht. Wenn uns jemand so ein Bild schickt, dann antworten wir nicht einfach und haken das ab, sondern geben das auch intern weiter und bitten die Kollegen um entsprechende Sensibilisierung.
kreuzer: Was kritikwürdig an der Polizei erscheint, landet meist als persönlicher Vorwurf bei Menschen im Social-Media-Team. Welche Auswirkungen hat das?
ZIEHM: Das macht natürlich was mit einem Menschen. Ein anonymer Organisations-Account lässt sich für viele relativ leicht beschimpfen. So sehr ich an Social Media glaube, lässt es mich manchmal auch schaudern, mit welcher sprachlichen Brutalität dort Kritik vorgetragen wird. Mir tun Pauschalurteile über die gesamte sächsische Polizei mit über 11.000 Bediensteten wirklich weh. Und natürlich auch meinen Kolleginnen und Kollegen im Social-Media-Team, denen vieles dann zuweilen noch persönlich angelastet wird.
kreuzer: Ärgert man sich da nicht manchmal über Kollegen, für deren mögliche Verfehlungen man selbst den Shitstorm erhält?
ZIEHM: Es sind ja alles unterschiedliche Sachverhalte, die wir für uns auch erst einmal aufklären müssen. Wir sind nicht einfach nur ein Schön-Wetter-Account, sondern nehmen auf, was uns erreicht und besprechen das mit den Kollegen vor Ort. Vor wenigen Wochen hatten wir erst die Situation mit dem Hitler-Double auf der Augustusburg, wo ein anwesender Polizist das Ganze mit seinem Handy gefilmt hat. Da hat Social Media so funktioniert, wie es sollte. Das Ganze wurde definitiv kritisch an uns herangetragen. Es war Sonntagabend und wir haben sofort mit der zuständigen Polizeidirektion Kontakt aufgenommen und Rücksprache gehalten. Wir haben uns klar öffentlich positioniert. Und am Montag gab es bereits ein Gespräch mit dem filmenden Kollegen, worüber auch wieder kommuniziert wurde. Da hatten wir genau den Fall, dass ein Thema über Social Media an uns herangetragen wurde, wir darauf reagiert haben und das Thema dann in Medienberichten fortgeführt wurde.