Die klaffende Lücke in den Hilfsprogrammen für Kulturschaffende wird immer deutlicher. Nun berichten Leipziger Soloselbstständige über die konkreten Folgen für ihren Lebensalltag: über fehlende Gleichbehandlung, das Kleingedruckte in Anträgen und die Verklärung von Kulturarbeit als Hobby
»Wo ist denn diese Bazooka für uns?« Judith van Waterkant ist fassungslos. »Ich verstehe nicht, warum die Regierung nicht an uns Soloselbstständige gedacht hat.« Die Musikerin und DJ fühlt sich und viele andere Freiberufler bei der Corona-Soforthilfe im Stich gelassen. Denn die in Berlin großzügig versprochene Absicherung greift nicht bei Soloselbstständigen wie van Waterkant. Sie werden gezwungen, Arbeitslosengeld II (Hartz IV) zu beantragen.
Das Problem liegt darin, dass die Corona-Soforthilfe die Kosten für Wohnung und Lebenshaltung nicht abdeckt. Gerade für Soloselbstständige im Kulturbereich, die derzeit oft vom hochgelobten Home-Office aus arbeiten, sind es wesentliche Ausgaben. Der Leipziger Oboist Markus Müller bringt das Problem in einem offenen Brief an Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf den Punkt: »Die derzeit aufgestellten Hilfspakete gehen völlig an unserer Lebens- und Arbeitswirklichkeit vorbei. Sie nutzen uns nichts, da wir keine Betriebsstätten oder etwa Leasingwagen und somit keine hohen Betriebskosten haben. Was glaubt man in Ministerien, wovon Soloselbständige leben sollen, wenn die sogenannten Rettungs-Pakete lediglich durchzureichende Betriebskosten beinhalten? Diese kommen wieder nur den großen Playern zugute.« Das sieht auch die Gewerkschaft Verdi so: »Von einer Gleichbehandlung zwischen großen Unternehmen und Konzernen auf der einen, sowie abhängig und selbstständig Erwerbstätigen bzw. persönlich haftenden Personengesellschafter auf der anderen Seite kann allerdings keine Rede sein.«
Ein Problem dabei ist auch die Unsicherheit, wie Maximilian Mertens sie erfahren hat, der im Messebau und in der Montage tätig ist. »Ich bekam erst im Kleingedruckten bei der Bewilligung mit, dass ich die Soforthilfe gar nicht verwenden kann.« Die Beantragung bei der Sächsischen Aufbaubank sei unkompliziert gewesen. Berufsgruppe und Bedarf habe er angeben müssen und eine Kopie des Personalausweises einreichen. Nach wenigen Tagen war das Geld überwiesen, das er nun nicht anrührt. »Bei der Bank riet man mir tatsächlich, das Geld erst einmal zu verwenden, sagte aber, die Verwendung werde später geprüft.« Eine Rückforderung des Betrags sei wahrscheinlich, wann das passiere, wisse man nicht. Diese Drohung könnte in den nächsten Jahren über ihm schweben, so Mertens. »Ich muss doch irgendwie planen können.« Er habe jetzt Hartz-IV beantragt. Ob und wie die unangetastete Soforthilfe damit verrechnet wird, konnte ihm auch noch niemand mitteilen. »Rückblickend hätte ich die Hilfe lieber nicht beantragt.«
Fehlende Anerkennung
Judith van Waterkant ärgert sich nicht allein über die finanzielle Situation. Denn dahinter sieht sie eine doppelte Nicht-Anerkennung ihrer aller Arbeit: eine staatliche und eine gesellschaftliche. Die eine hinterlässt – ob durch Unwissen oder Ignoranz – eine Lücke und schickt Menschen, die von ihrer Arbeit bis Corona leben konnten, ohne Absicherung in Hartz IV. »Die angepasste Hartz-IV-Grundsicherung, die nun die Lösung sein soll, gilt nur bis zum Sommer«, sagt die DJ. »Da beginnt eigentlich die Festivalsaison, ich glaube aber nicht, dass sie dieses Jahr stattfindet. Ich werde sicher kaum bis gar nicht auflegen können.« Und es sei »nicht fair, dass manche sagen, Hartz IV sei doch ein Grundeinkommen. Man unterschreibt einen Eingliederungsvertrag und gilt offiziell als arbeitssuchend. Außerdem soll man auch Angaben zur Bedarfsgemeinschaft machen, was bedeutet, dass einige sich von ihren Partnern finanzieren lassen sollen, wenn sie zusammen leben.«
Die gesellschaftliche Nicht-Anerkennung bekommt van Waterkant zu spüren, wenn Kulturarbeit als Hobby und Liebhaberei abgetan wird. Und nun soll sie sich rechtfertigen, weil sie das öffentlich thematisiert hat. »Es kränkt mich und macht mich traurig, dass viele Leute unsere Hilferufe als unnötig abtun, während sie zum Beispiel Musik von uns Künstlern hören, die jetzt oder bald in finanzieller Not sind. Mir rechnen Leute vor, wie weit sie mit 9.000 Euro kämen. Ich solle aufhören, mich zu beklagen. Die denken, ich mache mir eine feine Zeit zu Hause. Dabei verstehen sie nicht, dass wir Soloselbständigen keinen Anspruch auf die Unterstützung haben.«
Das hat Judith van Waterkant auch beim Jobcenter erfahren. Dort meinte eine Mitarbeiterin zu ihr: »Augen auf bei der Berufswahl.« Als ob Festanstellung der einzige richtige Berufsweg ist. »Ich habe ja nicht nur Honorar verloren, sondern auch sinngebende Arbeit.« Gerade jetzt müssten die Menschen doch merken, dass Kultur kein Luxus, sondern wichtig ist und gebraucht wird, hofft sie. »Sie sitzen in Quarantäne und hören Musik, lesen Bücher, schauen Filme. Vieles davon wird von Selbstständigen produziert.«
Offensichtlich ist der Gesetzgeber aufgefordert, hier die Regelung für die Corona-Soforthilfe zu ändern. Entsprechende Signale aus Berlin sind derzeit nicht zu vernehmen, das Problem scheinen viele noch gar nicht wahrgenommen haben. Auch darum hat sich van Waterkant an die Öffentlichkeit gewandt. Die Sächsische Landesregierung hat am Dienstag bekannt gegeben, ein »neues, unbürokratisches Stipendienprogramm« in Höhe von zehn Millionen Euro aufzulegen, um damit Kulturschaffende zu unterstützen. Konkret wurde die Pressemitteilung nicht. Über das »Denkzeit« genannte Vorhaben muss der Landtag noch abstimmen.
Auch die Stadt Leipzig will eine Lösung für die Soloselbstständigen finden. Das erklärte ein Sprecher der Stadt auf kreuzer-Anfrage. Die Stadtverwaltung erarbeitet derzeit eine Vorlage, um genau dieses Problem anzugehen. Welche Maßnahmen und Verfahrensweise diese beinhalten wird, müsse erst beraten werden. Der Sprecher bittet um Geduld bis nach Ostern. »Problem erkannt, noch nicht gebannt. Noch nicht.«