In den letzten Wochen klagten in Leipzig viele Soloselbstständige über die beschlossene Soforthilfe. Wenn sie damit keine Lebenserhaltungskosten bezahlen könnten, wäre sie nutzlos. Die Antwort der Regierenden fiel bürokratisch aus: Dafür sei Hartz IV da
»Der Maßstab kann nicht ›Hartz IV für alle‹ sein«, fasst ein Stern-Kommentator prägnant ein allgemeines Rumoren unter Kulturschaffenden zusammen. »Das ›Aus‹ für den künstlerischen Mittelstand droht.« Freiberufler sähen sich alleingelassen vom Staat und ungerechterweise ins Arbeitslosengeld II, also Hartz IV, gedrängt. Dabei haben sie doch bisher viel geleistet und seien wichtig für die Gesellschaft. Das formulierten deutschlandweit Künstler in einem offenen Brief und auch von Kulturschaffenden aus Leipzig sind solche Töne zu vernehmen. So richtig die Kritik an fehlender Unterstützung ist, so falsch ist das Argument, wertvoller als andere zu sein.
Ja, es ist ungerecht, dass Soloselbstständige, von denen viele im Kulturbereich arbeiten, nicht von staatlichen Unterstützungsmaßnahmen aufgefangen werden. Gerade angesichts dessen, dass andere millionenschwere Förderungspakete erhalten. Erschwert wird die Situation, dass sich die Situation in den nächsten Monaten nicht normalisieren wird. Eine Saison ohne Open-Airs, Freilufttheater, Sommerkino wird vielen vollends das ökonomische Genick brechen. Es ist verständlich und berechtigt, wenn die hier Tätigen auf besondere Hilfe hoffen, gerade wenn sie längere Einbußen als andere Sparten hinnehmen. Immerhin dient ihre Zwangspause dem Gesundheitsschutz der Gesamtgesellschaft. Allein das sollte als Argument für staatliche Unterstützung ausreichen.
Und richtig, dass das sogenannte »Sozialschutzpaket« nur einen kaschierten Hartz-IV-Bezug darstellt, ist ein Skandal. Aber nicht, weil hier Künstler und Hartz-IV-Bezieher gleichgesetzt werden, sondern weil Hartz-IV ein Skandal ist. Denn es ist eben nicht, wie behauptet, eine Grundsicherung. Dass ein Erwerbsloser nicht verhungern und unter der Brücke wohnen muss, wird jedoch nicht als selbstverständliches Recht begriffen, sondern an Bedingungen, Gebote und Verbote geknüpft, denen volljährige Menschen unter Strafandrohung Folge zu leisten haben. Das ist der Skandal.
Und diesen verdecken Künstler, wenn sie argumentieren, wichtiger, wertvoller und wertschöpfender zu sein als jene, die bereits vor der Corona-Krise Hartz-IV bezogen. Auch das Argument, schuldlos zu sein, ist falsch. Denn es wiederholt den Trugschluss, dass Menschen in Hartz-IV für ihre Lage allein verantwortlich seien und einfach nicht arbeiten wollen. Letztlich steckt dahinter das immer wieder von Politikern – gern auch der SPD – bediente Stigma: »Hartzer = Schmarotzer«.
Menschen mit Hartz-IV-Bezug sind, wie andere Arme auch, besonders von dieser Krise betroffen. Ihnen fehlen die Mittel, zu hamstern, stehen im Zweifelsfall vor leer gekauften Regalen. Die derzeit höheren Lebensmittelpreise machen ihnen zu schaffen, während Suppenküchennothilfen wie die Tafeln und andere Unterstützungen wegbrechen. Für den digitalen Unterricht der Kinder fehlen oft Computer oder Tablets, ergo: Sie haben derzeit erst recht schlechtere Bildungschancen. Das gilt es zu erkennen und auch für Hartz-IV-Empfänger eine Corona-bedingte Finanzhilfe einzufordern.
Es ist nicht leicht, an alle zu denken, wenn man den eigenen Existenzkampf führen muss. Aber genau dieses Auseinander-Dividieren des gesellschaftlichen Zusammenhalts und diese Vereinzelung steckt hinter dem Prinzip Hartz IV. Das ist gewollte Ellenbogenmentalität. Es wäre an der Zeit, sich davon zu verabschieden. Und das geht nur gemeinsam. Also: Ja, die Soloselbständigen brauchen unbedingt finanzielle Hilfe genauso wie kurzfristig Hartz-IV-Empfänger mehr Geld brauchen, um die Krise abzufedern. Und dann kümmern wir uns langfristig darum, Selbstausbeutung im Kulturbereich zu beenden, hier Mindestlöhne einzuführen und Hartz IV insgesamt abzuschaffen.