Vernebelt der Kampf gegen Rechts das ganze Ausmaß linker Gewalt? Nach den Krawallen in Connewitz scheinen manche dies zu glauben – die Realität sieht aber anders aus.
Komisch ist er schon, der eigentümliche Rückgriff auf eine angeblich zu starke »Fokussierung auf Rechts« als Ursache für Ausschreitungen wie die der letzten Tage in Leipzig. So geschehen beispielsweise im Kommentar der LVZ vom 07.09.2020. Dort heißt es, die Berichte über »linke Chaoten«, die »brandstiftend und Steine werfend durch Connewitz« marodierten, seien »Bilder einer Stadt, die einmal mehr zeigen, wie die Fokussierung auf Rechts die Gefahren von Linksaußen vernebelt«.
Erst mal möchte man natürlich fragen, was genau hier »vernebelt« wird, wo doch die Berichterstattung über solche Krawalle bundesweit – und erst recht in Leipziger Tageszeitungen – titelblattfüllend daherkommt und die Ereignisse breit kommentiert werden. Sogar die Tagesschau war da. Welche »Gefahren« liegen da noch mal im »Nebel«? Gibt es etwa noch viel mehr Schlimmes, geplant und verübt von Linken – von dem nur die LVZ weiß? Warum schreibt sie dann nichts über diese nebulösen Untaten verborgener Akteure, die sich hinter jener »Fokussierung auf Rechts« verstecken? Und man möchte auch fragen, was denn die Konsequenz wäre: »Fokussieren wir doch weniger auf Rechts – dann treten die Gefahren von Linksaußen endlich aus dem Nebel!«?
Von der Wirrheit dieser Argumentation mal abgesehen – natürlich ist es ein populäres Narrativ rechter Akteure, gebetsmühlenartig zu lamentieren, sie seien ja gar nicht rechts und sowieso sei alle Kritik an ihrem Tun völlig übertrieben. Alles sei ganz ungefährlich. Man solle sich also nicht so sehr auf »Rechts« fokussieren, sondern lieber mal auf die linken Brandschatzer und ausländischen Mordbanden schauen. Gegen die würde der Staat nämlich nichts tun. Und auch die Medien würden über linke Gewalt nie richtig berichten. Tja, wenn man das tagtäglich hört, kann man auch als Journalist schon mal ins Grübeln kommen. Aber muss man das darum gleich so in die Zeitung schreiben – in Zeiten rechtsmotivierter Terroranschläge und Massenmorde?
Ein kleines bisschen abwegig wird jene Argumentation nämlich, wenn man sich mal die tatsächliche Arbeit der sächsischen Sicherheitsbehörden anschaut in puncto Linksextremismus. Die ist nämlich durchaus umfangreich, in Spitzen sogar ausufernd und von dem Phänomen gekennzeichnet, dass am Ende nichts herauskommt. Linke Terrornetzwerke: Fehlanzeige. Nur ein Beispiel: Jahrelang überwachten sächsische Behörden heimlich tausende Telefonate angeblich linker Fußballfans untereinander, aber auch Gespräche mit Anwälten, Journalisten und offenbar sogar Ärzten.
Die Verdächtigen wurden zudem observiert, Charakterdossiers inklusive Essgewohnheiten und Freundeskreisen wurden erstellt (in denen es angeblich auch darum ging, wer mit wem ins Bett stieg). Politisch motivierte Gewalt- oder gar Terrornetzwerke wurden aber nicht ermittelt, musste im Frühling 2017 zugegeben werden. Seit vielen Jahren gibt es solche umfangreichen Strukturermittlungsverfahren gegen den Linksextremismus. Linke Mordbanden wurden allerdings nie gefunden. Das Problem an der Sache ist, dass währenddessen eine rechte Terrorgruppe, der NSU, jahrelang unerkannt mordete – und auch nur durch einen dummen Zufall aufflog, als sie einen Banküberfall versemmelte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Bei Lichte betrachtet, ist die These, ausgerechnet die sächsischen Behörden seien auf dem linken Auge blind, jedenfalls ziemlich schwach. Es ist ein mangelhaftes Narrativ, das hier verbreitet wird. Die noch viel abenteuerlichere Folgethese, dass linke Gewalt deswegen »vernebelt« bleiben würde, weil alle nur auf Rechts fokussiert sind, gehört schließlich vollends ins Land der Märchenerzähler.
Allerdings: Sie macht sich gut als Überschrift. Aber das nur nebenbei.