Seit 21. August und noch bis 27. September beschwören zahlreiche Leipziger Clubs und Kulturschaffende auf der Festwiese echte Festival-Gefühle. Das Outside bietet ein buntes Programm mit Konzerten, Clubveranstaltungen, Kabarett und vielem mehr. Am Mittwoch sorgte die Lesebühne Schkeuditzer Kreuz für einen vergnügten Abend.
Tief einatmen, genau hinsehen, sich anschmiegen. Den Sommer aufsaugen. Wer weiß, wie lange das noch geht. Es ist Mitte September, ein Mittwochabend mitten im Corona-Jahr 2020 – und auf der Festwiese vor dem Zentralstadion herrscht richtige Festival-Atmosphäre! Wobei »herrschen« natürlich das völlig falsche Wort ist für dieses herrlich entspannte Laissez-Faire, das man auf Festivals sonst nur tagsüber erlebt, wenn die Hälfte der Gäste noch im Zelt oder am See zu sich kommt. Eine von Sommer und Sohlen plattgelatschte Wiese, Holzpalettenmöbel, ein Sonnensegel fürs Relaxen im Schatten, Getränke, Grillgut, alles da. Es gibt sogar Toiletten. Und einen Kaffeestand direkt neben der Bühne, bei dem man sich fragt, warum da nicht schon mal eher jemand draufgekommen ist. Aus dem benachbarten Stadion drehen drei Kräne neidisch ihre langen Hälse rüber, der Himmel bemüht sich redlich um Abendstimmung. Herrlich. Der innere Turnbeutel hüpft vor Freude.
Geteilte Bühne, geteilte Freude
Normalerweise ist die Lesebühne Schkeuditzer Kreuz im Werk 2 zuhause, wo aber genau wie in vielen anderen Kulturorten der Stadt seit Monaten kein regulärer Betrieb möglich ist. Seit 21. August bespielen deshalb einige von ihnen die Festwiese mit Konzerten, Clubveranstaltungen, Kabarett und vielem mehr. Für das Outside, haben sich Dasistleipzig, Livekommbinat Leipzig, Leipzig Plus Kultur und Kreatives Leipzig mit der Unterstützung der Stadt Leipzig sowie der Arena und den Firmen Gangart, Stage to go und Ultraschall-PA zusammengetan. Statt im eigenen Club teilen sich nun Läden wie das Werk 2, das UT Connewitz und das Elipamanoke hier eine Open-Air-Bühne, um den Einnahmeausfällen aus nun schon sechs Monaten, aber auch der Tristesse dieser Zeit entgegenzutreten. »Unser Anliegen ist es, dass jede Veranstaltung unter Einhaltung der Maßnahmen zum Schutz vor einer Covid-19-Ansteckung abläuft, unsere Gäste trotzdem wieder Kultur erleben können und wir unser geliebtes Leipzig wieder mit Kultur beleben«, heißt es dazu vom Livekommbinat Leipzig.
Fünf im neuen Gewand
In der Abendstimmung auf der Festwiese hüpfen nun fünf Herren auf die Bühne. Fünf Herren? Ja, die Lesebühne Schkeuditzer Kreuz ist an diesem Abend nicht ganz vollzählig: Franziska Wilhelm fehlt entschuldigt. Ihren Platz neben Hauke von Grimm, Kurt Mondaugen, André Herrmann und Julius Fischer besetzt diesmal Jason Bartsch, Poetry-Slammer und Musiker aus Bochum. »Und der Wind ist unser Frisör«, schallt die Lesebühnen-Hymne vom Band, »Schkeeeeuuuuditzer Kreuz!« das bunt gemischte Publikum freut sich in seinen Corona-Logen (Absperrgitter-Boxen). Dass das hier André Herrmanns letzter Lesebühnen-Auftritt ist, wird von Anfang an nicht allzu ernst genommen. Und der 34-Jährige macht es dem Publikum auch nicht so schwer – mit einem mittelmäßigen Stand-up-Comedy-Teil zu Beginn und seinen mittelprächtigen »Roasts der Woche« am Ende. Witze übers L1 und Nachtcafé, über Lisa Eckhart und Dieter Nuhr, übers Grillen und, jenseits von gut und böse, »Das Sommerhaus der Stars«, das sind Comedy im gestrigen TV-referentiellen »Kennt ihr diese Leute, die...«-System, gähn. Lustig wird es, als er die Grenzen seiner Toleranz umschreibt: Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität – alles egal, aber: »wenn jemand nach dem Trinken die Cola-Flasche nur so halb zudreht: Raus aus Deutschland!« Zum Abschied überreicht Kurt Mondaugen Herrmann ein signiertes Verkehrsschild und ein gülden gerahmtes Foto. Julius Fischer »singt«, nein: »rappt« ihm den 90er-Jahre-Gruselhit »Verpiss dich« der 90er-Jahre-Gruselband Tic Tac Toe.
Comedy mit menschlicher Untermalung
Bademeister Hauke von Grimm übernimmt in der Runde den ruhigen, ernsten Part. In seiner Parabel »A Forest« findet ein Ich aus einem düsteren, stillen Wald und aus dem Wir heraus, untermalt vom Plärren, das der Wind von der Kleinmesse herüberweht.
Julius Fischer gibt den Julius Fischer, moderiert und witzelt und ist nett und gut gelaunt. Er liest aus »Ich hasse Menschen«: ein junger Leipziger fährt darin gern Bus und erbt eine Kneipe in der ostsächsischen Provinz. In die verschlägt es auch Kurt Mondaugen mit seinem Text »Urlaub an der B96«, in dem drei Dutzend Plagwitzer aus ihrer Blase heraustreten und in einem einwöchigen Workshop ihr »inneres Volk« suchen, um sich am folgenden Sonntag zusammen mit reichsbeflaggten ostsächsischen Ureinwohnern an die Bundesstraße zu stellen. Der Weg dahin führt erstaunlich stringent von »Natascha-Lou, ich kann mein inneres Volk nicht finden!« über »Atme tief in dieses Bockwurst-Gefühl« zu »Werde diese Bockwurst!«.
Die Schau stiehlt ihnen allen aber Jason Bartsch, der Gast, mit dem Bilderbuch-und-Gott-sei-Dank-nicht-Prinzen-artigen »Fahrrad«-Song oder dem Kraftklub-und-Gott-sei-Dank-nicht-Grönemeyer-Lied »Bochum 2«, das dann doch noch in grönemeyersches Hühnergegacker führt. Große Freude. Und Pause. Und gleich noch größere Freude, weil die Technik »Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist« abspielt. Nicht zu vergleichen allerdings mit dem Gekicher und Gefeixe, das das Publikum erfasst, als Bartsch nach der Pause sein »Hundelied« und »Katzenlied« singt. Das eine schlimmer Deutschpop und »Gassi gehen, Gassi gehen, was für eine geile Idee!«, »Oh, ein Stock – oh, wie geil!« und »Meine Hobbys sind Enten im Park«, das andere ultracooler Hip-Hop und Trap und ein lässiges Miau. Sehr gut.
Bis 27. September gibt es noch ein paar sehr unterschiedliche Gelegenheiten, Festival-Atmosphäre beim Outside zu schnuppern – siehe unten. Und das Beste daran: Man muss danach nicht im Zelt schlafen, sondern kann ganz gemütlich nach Hause radeln.