Als ich ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit die Polizei wegen einer Nazi-Tätowierung rufe, passiert: Nichts. Von der Schwierigkeit der Polizei mit neonazistischen Symbolen.
Als der Mann bemerkt, dass ich ihn beobachte, zeigt er mir den Mittelfinger. In dem Moment sind zwei Tätowierungen sehr deutlich zu sehen: Eine Lebensrune und eine Siegrune, auch bekannt als SS-Rune. Die Lebensrune ist ein nicht so bekanntes Erkennungszeichen unter Rechtsextremen, das öffentliche Zeigen der SS-Rune steht sogar unter Strafe. Deswegen rufe ich noch im Zug die Polizei.
Der Mann und ich steigen in Leipzig aus und zusammen mit einer Streife der Bundespolizei finden wir ihn wieder. »Das ist keine SS-Rune, du Arschloch«, kommentiert er, als er auf die Tätowierung angesprochen wird. Dabei zeigt er mir nochmal deutlich seinen Unterarm, sodass ich wieder deutlich erkennen kann: Ein Schild und darauf die Siegrune. So sieht es für mich aus. Die Polizei entscheidet anders. Sie sahen in dem Tattoo keine Siegrune, erklärt mir die Bundespolizei auf Anfrage.
Der Fall zeigt: Wer die Polizei ruft und neonazistische Tätowierungen meldet, wird oft enttäuscht, denn der Ermessensspielraum für die Polizisten ist groß.
Fragt man bei der Bundespolizei nach, erklärt die, dass man sehr gut auf solche Situationen vorbereitet sei. Auf den Smartphones der Beamten gäbe es ein Portal, mit dem sie verfassungsfeindliche Zeichen abgleichen und entsprechend handeln können. Auch gebe es Schulungen, in denen auf Symbole eingegangen würde. Im Übrigen seien die Beamten am Hauptbahnhof sehr sensibel, was die Thematik angehe und würden auch von sich aus immer wieder Personen ansprechen.
Und ja, manche Symbole erinnern nur an neonazistische Zeichen, sind nur in bestimmten Situationen oder eben gar nicht strafbar. Für die Polizei bleibt bei der Entscheidung dann eine Restunsicherheit.
Trotzdem bin ich mir sehr sicher, dass es sich bei dem Symbol um eine Siegrune gehandelt hat. Zusammen mit der Lebensrune, hätte die Polizei handeln können und zumindest eine Strafanzeige stellen können. Dann hätte die Staatsanwaltschaft oder auch ein Gericht entschieden, inwieweit das Zeigen der Tätowierung ein Strafbestand war.
»Viele Rechtsextremisten werten Schweigen und Wegsehen als Zustimmung und fühlen sich dadurch zu weiteren und häufig folgenschweren Angriffen auf Schwache und Minderheiten herausgefordert.« So schreibt es ausgerechnet der Verfassungsschutz in einer Broschüre zu Symbolen der Rechtsextremen. Am Hauptbahnhof ist aber genau das passiert.