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Politik

Sorben und Sachsen: kein Gegensatz

Sächsische Geschichte ist auch sorbische Geschichte – nur wird der Teil verleugnet

  Sorben und Sachsen: kein Gegensatz | Sächsische Geschichte ist auch sorbische Geschichte – nur wird der Teil verleugnet

»So geht sächsisch«: Mit dieser Dachmarke wirbt Sachsen für sich, kittet eine sächsische Identität zusammen. Diese zeigt sich besonders exklusiv, wirkt als Mischung aus Stolz und Schmach verstärkend aus aufs Bild vom »hellen Sachsen«, der sich nichts sagen lässt. Weil Aufklärung und Kritik der erste Weg zur Besserung sein können, soll die sächsische Identitätsbildung hier in loser Folge beleuchtet und diskutiert werden. Warum fühlt man sich in Sachsen so besonders und bildet das nicht genau auch den Boden für besonders eklige Phänomene der Gegenwart? Was also sind die sächsischen Verhältnisse? Wie geht sächsisch – und warum?

Dass in Sachsen Sorben leben und mit Stanislaw Tillich einer von ihnen sogar neun Jahre lang dem Freistaat vorstand, ist kein großes Geheimnis. Kurz nach dessen Rücktritt 2017 rühmte ein sächsischer Dorfbürgermeister in einer MDR-Sendung den anwesenden Nachfolger Michael Kretschmer als »ersten sächsischen Ministerpräsidenten« (nach zweien »aus den westlichen Bundesländern […] und einem Sorben«). Die Aussage sowie die folgende Debatte zeigten bedenkliche Bewusstseinslücken, was die Rolle der Sorben in Sachsen anbelangt – sowohl bei jenen, die diesem Unsinn nicht widersprachen, als auch bei manchen, die Kretschmer und den MDR für ihre fehlende Intervention kritisierten.

Kategoriefehler

Stanislaw Tillich, kein Sachse also. Wie auch, mit einem solchen Namen? Gerade ihm, dem die CDU als erstem hier geborenen Landeschef nach 1990 den markigen Plakatspruch »Der Sachse« verliehen hatte, wird in einer Sendung des ÖRR die sächsische Bürgerschaft entzogen. Ausgestoßen. Ein Fremder, keiner »von uns«. Diese Ausgrenzung stieß auf einigen medialen Rückhall, in deutschen Medien erst Wochen später und nachdem sie Serbske Nowiny bereits thematisiert und der erwähnte Bürgermeister sich ebenda entschuldigt hatte. Unmöglich ist die Bemerkung nicht nur, weil sie einen Teil der einheimischen Bevölkerung Sachsens – und zufällig jenen mit nicht-deutscher Muttersprache – einfach mal »ausbürgert«, womit man besonders in Deutschland schon aus historischen Gründen vorsichtig sein sollte. Unmöglich auch, weil »Sachse« und »Sorbe« schlicht keine Gegensätze sind. Es handelt sich um grundverschiedene Kategorien, wobei eine territoriale Herkunft, die andere ethnische Zugehörigkeit beschreibt. Sachse ist, wer auf dem Gebiet Sachsens ansässig ist. Ob er zuhause Deutsch, »Sächsisch« oder Sorbisch spricht, ist völlig egal.

Laut Sächsischer Verfassung, Artikel 5, gehören »dem Volk des Freistaates Sachsen […] Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit an.« Gemeint sind hier Deutsche und Sorben im ethnischen Sinne, denn deutsche Staatsbürger sind Sorben natürlich auch. Und es steht bewusst »Deutsche und Sorben«, nicht etwa Sachsen, und zwar aus einem einfachen Grund: Eine »sächsische Ethnie« gibt es nicht (mehr) – und gab es auf dem Territorium des Freistaats auch nie. Der Stammesbund der Sachsen lebte historisch zwischen den Niederlanden im Westen und der Elbe im Osten. Die heutigen »Sachsen« aber stammen nicht von jenen ab, sondern zum Teil von fränkischen und thüringischen Kolonisten, die ab dem 12. Jahrhundert in die sorbisch besiedelten Gebiete zwischen Saale und Neiße einwanderten, teils von späteren Einwanderern (u.a. nach 1945) und zum großen Teil – wie man unter anderem an Familiennamen erkennt – von der sorbischen Vorbevölkerung. Da sich diese Linien über die Jahrhunderte vermischten, trifft auf die meisten wohl alles davon zu.

Schiefe Frage: Wer war zuerst da?

In deutschen Medien wurde der Spruch des Dorfbürgermeisters (in dessen Gemeinde Orte so klangvolle Namen wie Kaucklitz, Köllitsch und Triestewitz tragen) und der Ausschluss Tillichs aus dem (nicht existenten) »sächsischen Volk« in Zusammenhang gebracht mit verbreitetem »Fremdenhass«, der sich nun auch gegen die »eigene Minderheit« richte, also gegen alles »Andere« im Freistaat. Das Problem ist Folgendes: Wir Sorben sind in Sachsen weder »fremd«, noch »anders«. Wir sind Einheimische, deren Vorfahren dieses Land vor 1400 Jahren besiedelt haben.

Tillich sagte einmal, man könne darüber debattieren, wer »zuerst hier war« – Sorben oder Deutsche. Kann man nicht. Vor der Einwanderung besagter Kolonisten sprachen die Einwohner des heutigen Sachsens – Milzener, Daleminzier, Besunzane und andere – kein »Deutsch«, sondern slawische Mundarten der sorbischen Gruppe. Als Sorben slawischsprachig geblieben sind einzig einige Nachfahren der Milzener und Lusizer in der Lausitz. Was aber geschah mit dem Rest, wo sind die Nachfahren der Daleminzier und Besunzane?

Sorbische Namen wie Noack und Kretschmer

Fast das ganze Territorium Sachsens – abgesehen vom Südrand – hat auch eine sorbische Geschichte. Nur ist sie zumeist schon länger her als in der Lausitz, wo noch um 1900 in manchen Orten kaum jemand Deutsch sprach. Dass Orte hier sorbischstämmige Namen wie Dresden (»Auenbewohner«), Chemnitz (»Steinbach«) oder Oelsnitz (»Erlenbach«) tragen, ist ja kein Zufall. Es liegt daran, dass sich diese Städte aus sorbischen Dörfern entwickelten. Eben darum sind auch slawischstämmige Familiennamen wie Noack, Pietsch oder eben Kretschmer weit verbreitet.

Nun sind die Sorben von Dresden, Chemnitz und Oelsnitz nicht einfach verschwunden, wurden nicht vertrieben oder »ethnisch gesäubert« und durch Deutsche ersetzt. Sie haben schlicht im Laufe der letzten acht Jahrhunderte ihre Sprache abgelegt und wurden zu Deutschen. Ja, Ethnie und Sprache lassen sich wechseln. Aus Sorben können Deutsche werden – und umgekehrt. Das lässt sich in bis nach dem Zweiten Weltkrieg mehrheitlich sorbischsprachigen Orten wie Malschwitz oder Neschwitz bis heute beobachten. Heute leben dort nur noch ein paar einzelne Sorben, was nicht heißt, dass die anderen ausgewandert wären. Nein, sie sind schlicht die Vorfahren der meisten heutigen Bewohner. Das zeigt, dass die Debatte darüber, wer „eher da war“, einigermaßen sinnlos ist. Es ist zweifelsfrei so, dass hier zuerst Sorbisch und später (mancherorts erst im 19. Jahrhundert) auch Deutsch gesprochen wurde.

Die Frage, wer Erster war, ist auch generell irreführend, eben weil die Mehrheit der heutigen Sachsen zumindest zum Teil von der sorbischen Vorbevölkerung abstammt, auch wenn ihr das nicht bewusst ist. Hier führt auch die sächsische Verfassung in die Irre, die die Existenz zweier getrennter Staatsvölker nahelegt. Tatsächlich ist ja sowohl der Wechsel von einer in die andere Gruppe als auch eine doppelte Identifizierung ohne Weiteres möglich, man könnte also auch von einem Staatsvolk sprechen, dessen kleinerer Teil bis heute Sorbisch spricht, während der größere die Sprache irgendwann im Lauf der letzten 45 Generationen gewechselt hat. 

Folkloristisches Sorbenbild

Ein Problem bleibt, dass dieser Teil der Geschichte den wenigsten im Freistaat bekannt ist. Als Sorben kennen sie jenes bunt gekleidete Völkchen in der Lausitz, das zu Ostern durch die Gegend reitet und Eier bemalt. Dass diese Leute und ihre »fremde« Sprache irgendwas mit ihnen, ihrer Heimat, ihrer Familiengeschichte zu tun haben könnten, kommt ihnen nicht in den Sinn. Schon der Heimatkundeunterricht beschränkt sich oft auf genau dieses Sorbenbild, anstatt zu erwähnen, woher die Namen beinahe aller größeren Städte und ein Großteil der Familiennamen stammen. Dass sich der MDR mit einer halben Stunde sorbischen Fernsehens monatlich begnügt, macht es nicht besser. Ein Lichtblick war da der Film »Die Slawen – unsere geheimnisvollen Vorfahren«, auch wenn sorbische Wissenschaftler nur in der sorbischsprachigen Filmversion zu Wort kamen. Vielleicht würde ein größeres Bewusstsein über die slawischen Wurzeln dieses Landes auch politischen Debatten um Erhalt und Entwicklung sorbischer Sprache und Kultur einen anderen Ton – und eine andere Wichtigkeit – verleihen.

Sorbische Sprache und Kultur sind untrennbar mit Sachsen verbunden und haben dessen Geschichte und Bewohner über lange Zeit mitgeprägt – in der Lausitz bis heute. Dass man diesen Teil der eigenen Identität, die besonders in Sachsen ja gerne hochgehalten wird, des Öfteren vergisst oder gar verleugnet, ist erstaunlich in einem Land, das nur zu oft darauf bedacht ist, seine Eigenheiten hervorzuheben. Dass dazu auch zählt, dass der Großteil des Landes und seiner Bevölkerung eben nicht nur eine deutsche Geschichte hat, gehört den Sachsen ins Stammbuch geschrieben. Vielleicht lassen sich dann auch einige andere Probleme etwas entspannter angehen. Im kürzlich erschienenen Mosaik-Sonderheft anlässlich 30 Jahre Sachsen werden die Sorben übrigens mit keinem Wort erwähnt.


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2 Kommentar(e)

Joschka 21.11.2020 | um 21:13 Uhr

Ich staune, dass man im 21. Jahrhundert immer noch so viel Wert auf ethnische(?) Monokultur legt. Wir in Deutschland könnten uns doch über Diversität mehr freuen. Dieses ewige Deutschsein mit germanischem Stammbaum usw. finde ich richtig öde. In anderen europäischen Ländern läuft das definitiv besser. In Frankreich gehört Diversität zur Staatsraison: alle sind unterschiedlich, aber alle sind Franzosen.

Julian Nyča 22.12.2020 | um 00:23 Uhr

Nun ist allerdings gerade Frankreich kein besonders glückliches Beispiel, was die Anerkennung von autochthonen regionalen Minderheiten anging. Und was die Frage angeht, wer Franzose ist, sieht das zumindest der Front National meines Wissens auch ein bisschen anders.