Die Klimaaktivistinnen von Extinction Rebellion Leipzig (XR) veranstalteten am Black Friday in der Leipziger Innenstadt Kunstperformances. In einer symbolischen Auktion wurden die Ressourcen der Erde an Großkonzerne versteigert. Sie kämpfen für eine Welt ohne Umweltzerstörung. Es gibt aber auch Kritik.
»Höre ich da zwanzigtausend? Wer gibt mir dreißigtausend? Ich sehe REW, Vattenfall und Shell. Fünfzigtausend? RWE! Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten — verkauft an RWE! Herzlichen Glückwunsch.« Die Klimaaktivistin von Extinction Rebellion (XR) schwingt den Hammer, um die symbolische Versteigerung der nicht erneuerbaren Ressource zu besiegeln. An vier Orten in der Leipziger Innenstadt führten die Aktivistinnen von XR am Freitag den 26. November diese Performance vor. Der Tag ist nicht zufällig gewählt: Es ist Black Friday, der Tag des großen Sales, des großen Kaufens, den Greenpeace auf Twitter »Nightmare Friday for the Planet« nennt.
Der Appell von XR richtet sich nicht an individuelle Konsumentscheidungen, sondern an die Struktur, in denen diese Entscheidungen getroffen werden. Die Klimaaktivistin Luise Ebenbeck erklärt: »Wir wollen ein Lieferkettengesetz, um Transparenz herzustellen. Momentan ist es für Konsumentinnen nicht möglich, zu überblicken, welche Umweltfolgen ihr Konsum nach sich zieht, weil Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen von den Konzernen gerne verschleiert werden.« Ihr zweites Anliegen ist ein Ökozidgesetz. Damit ließe sich Umweltzerstörung strafbar machen. Die Aktivistin Ebenbeck, Jahrgang 1983, hat für den klimapolitischen Protest sogar ihren Job gekündigt und einige Monate lang Vollzeitaktivismus betrieben. »Ich habe zuvor auch an Projekte im Umweltbereich gearbeitet, aber da werden oft Berichte für die Schublade produziert«, sagt sie.
Die Lobby der Konzerne scheint immer ein bisschen größerAls an diesem Freitag alle Ressourcen der Erde versteigert sind, wird noch der Erdball selbst angeboten. Für einen Schnäppchenpreis darf eine der Bieterinnen ihn mitnehmen. Ein paar Passantinnen bleiben stehen, die meisten sind jedoch damit beschäftigt, von A nach B zu kommen. Ein älterer Passant findet die Aktion gut: »Vom Prinzip alles richtig«, sagt er. »Aber leider ändert sich nichts.« Optimistisch und widerständig bleiben scheint schwer, trotzdem zeigt XR, wie es geht.
[caption id="attachment_119760" align="alignright" width="320"] Die Erde in der Hand; Foto: Leonie Ziem[/caption]
Die Leipziger Ortsgruppe musste sich jedoch auch Kritik gefallen lassen. Im April erschien ein Artikel bei heise online, in dem Herbert Meyer, der nicht wirklich so heißt und lieber anonym bleiben möchte, der Leipziger Ortsgruppe von XR viele Vorwürfe machte: Demokratiedefizite, zu wenig Abgrenzung von rechts, unwissenschaftliche Grundlagen und Fehlverhalten der Leipziger Gruppe im Umgang mit ihm als Kritiker. Zwei dampfende Tassen Tee stehen zwischen uns, als ich ihn im Oktober treffe. Sie bleiben ungetrunken, denn mit Masken lässt es sich nicht so gut trinken. Nach all den antisemitischen Vorfällen, will ich wissen, wie Meyer die Bewegung erlebt hat. Einer der XR-Gründer Rogar Hallam verharmloste 2019 in einem Interview mit der ZEIT den Holocaust, in Köln schändeten Aktivistinnen der Animal Rebellion, eine Strömung von XR, vor vier Monaten den Löwenbrunnen des Lern- und Gedenkortes Jawne. Die Aktivistinnen färbten den Brunnen mit roter Farbe, der an das Blut von Tieren in der Fleischindustrie erinnern soll. Der Löwenbrunnen gedenkt Jüdinnen und Juden, die während des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden.
Keine Zeit für AntirassismusExtinction Rebellion Köln entschuldigte sich und XR Deutschland distanzierte sich von Roger Hallam. Die Vorfälle zeigen aber auch: Klimabewegungen sind nicht immun gegen rechts. Grund und Boden-Ideologien tragen oft ein grünes Etikett. Die Klimafrage ist automatisch auch eine Klimagerechtigkeitsfrage. Den globalen Süden trifft es härter. Die UNO Flüchtlingshilfe spricht von 250 Millionen bis eine Milliarde Menschen, die in den nächsten 50 Jahren gezwungen sein werden, ihre Heimat zu verlassen. Diese Menschen tauchen weniger im XR-Narrativ auf. Die Aktivistin Ebenbeck erklärt sich das dadurch, dass Extinction Rebellion 2018 in Großbritanien entstanden ist und dort von Menschen geprägt wurde, die nicht unbedingt aus dem klassisch linken Spektrum kommen. »Die Bewegung baut auf Massenmobilisation. Ich finde, es ist ein Erfolg und Mehrwert, so viele Leute zu mobilisieren, die vorher nicht aktivistisch unterwegs waren. Gleichzeitig ist dies auch ein Nachteil, da viel politische Bildungsarbeit notwendig ist, um zu zeigen: Es geht jetzt nicht nur um unseren eigenen Hintern.« Ebenbeck hat klare Worte zu der antisemitischen symbolischen Gewalt in Köln: »Das war eine richtig beschissene Aktion.«
»Extinction Rebellion ist ausdrücklich nicht links«, problematisiert Herbert Meyer. »Und da kommen wieder die vielen Paradoxien ins Spiel. Wenn du mit XR-Aktvistinnen sprichst, werden sich die meisten als links definieren und positionieren. Sie sehen links aus und verfügen über eine linke Sprechweise, sind außerdem in linken Strukturen. Aber sie sind in einer Bewegung, die ausdrücklich nicht links sein will, und zwar aus einem – wie mir erklärt wurde – taktischen Grund: Man braucht, um die 3,5 Prozent der Bevölkerung (ein Ziel von XR, Anm. d. Red.) zu erreichen, auch Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft. Die will man nicht abschrecken. Man ist also links, aber sagt es nicht.« Unklar bleibt dabei, ob das Problem das fehlende Etikett ist oder die tatsächliche Weigerung, sich in der Praxis von klassisch linken Positionen wie Antirassismus abzugrenzen.
Wie ist inzwischen der Umgang mit Antisemitismus? Ebenbeck berichtet, dass sie während der ersten Corona-Welle ein Seminar zum Thema jüdisches Leben in Deutschland und Antisemitismus hatten. »Ich muss gestehen, dass dies nicht so regelmäßig geschieht, wie es wünschenswert wäre, weil der Fokus stets darauf liegt, die nächste Aktion zu organisieren. Aber gerade in der Leipziger Ortsgruppe haben wir viele Menschen, die in linken Kreisen unterwegs sind. Ich habe großes Vertrauen, dass in unserer Ortsgruppe nichts wie in Köln passieren wird«, sagt sie. Eine Forderung nach Klimagerechtigkeit ist bei XR inzwischen im Gespräch.