Viele Leipziger Lokale erleben derzeit eine Zerreißprobe. Jetzt zeigt sich aber auch die Liebe zwischen Besitzern, Lokalen und Stammgästen - und die geht längst nicht nur durch den Magen, sondern findet immer wieder neue Wege der Unterstützung. Ob Straßenverkauf oder Online-Verkostung: Der kreuzer hat sich umgehört, wie die Leipziger Gastronomen den Kontakt zu ihrer Kundschaft pflegen.
[caption id="attachment_120380" align="alignright" width="195"] Nachbarschaftsladen: Bea Wolf vom Barcelona[/caption]
Frau Fedtke steht in der Bornaischen Straße, vor der Gaststätte Waldfrieden, und schimpft ergeben: »Das ist eine Scheißzeit.« Frau Fedtke ist 94 Jahre alt und wohnt in der Nachbarschaft. Jetzt, am späten Nachmittag, wäre eigentlich ihre Zeit, Mantel und Baskenmütze abzulegen und im Waldfrieden eine Weinschorle zu trinken. Da das vorläufig nicht möglich ist, ist ihr Alltag trüber geworden. »Ich fahre manchmal ein bisschen mit der Straßenbahn rum, da bin ich mal eine Stunde woanders«, erzählt sie Sascha Pahnke. Der betreibt den Waldfrieden und ist kurz vor die Tür gekommen, um seiner Stammgästin guten Tag zu sagen, mit Mund-Nasen-Bedeckung, versteht sich. Er berichtet von einem anderen Stammgast, der jeden Tag anruft, um ein bisschen zu quatschen.
Vier Stunden am Tag hat der Waldfrieden im Lockdown light geöffnet. An je zwei Stunden mittags und abends gibt es Gerichte aus der typischen Gute-Küche-Auswahl zum Abholen, Ende November steht paniertes Schweinekotelett mit Butterschwarzwurzel auf der Wochenkarte. »Liefern lohnt sich nicht«, sagt Pahnke, das hat der erste Lockdown erwiesen. Auch das Abholgeschäft trägt sich nicht. »Aber so kann ich Kontakt zu den Leuten halten.«
Im Barcelona zeigt sich ebenfalls, dass Lokale nicht nur existieren, weil der Mensch nun einmal essen und trinken muss. Wer reinkommt, steht vor einer Holzhütte. Rechts im Regal sieht man Bier und Wein, Sekt und Limo, Milch und Hafermilch, durch das Fenster mit Scheibe reicht Betreiberin Bea Wolf, was die Küche in Gläser eingekocht oder vakuumiert hat. Ab und an kommt jemand, kauft Tapas und Hummus oder Gemüsepickles und Fleischbällchen, tauscht nebenbei – einzeln, in Winterjacke und Maske – Neuigkeiten aus. Den leeren Gastraum hinter der Hütte nutzt Wolf ebenfalls. Dort ist Platz genug für Musik, Lesungen oder Gespräche, die nach draußen gestreamt werden, mit Tix for Gigs konnte ein Modell entstehen, mit dem ein bisschen Geld bei den Aufführenden ankommt. Nach draußen, an die Endgeräte, sendet auch die Craft-Beer-Kneipe Dr. Hops in der Eichendorffstraße, wenn sie ihre Verkostung bei Youtube abhält. Die Biere dafür gibt es im Laden.
Auf bescheidenem Niveau, so sagt Wolf, kann das Barcelona als Nachbarschaftsladen, Veranstaltungsplattform und Nahversorger bis ins Frühjahr durchhalten – Kurzarbeitergeld sei Dank – und dann vielleicht einen guten Sommer mitnehmen: »Wir machen so lange weiter, wie wir gebraucht werden«, sagt Wolf. Auch Pahnke ermöglichen es die den Lockdown flankierenden Maßnahmen, weiterzumachen. Großes Thema sind im November überall die neuen Hilfen, Ende Oktober angekündigt, als die erneute Schließung unter anderem der Gastronomie beschlossen war. Mitte November gab es noch nicht einmal die Möglichkeit, diese zu beantragen. Das sind die Einzelheiten der planlos wirkenden Ausgestaltung, die, bei aller Einsicht in die Notwendigkeit, hier und da bittere Stimmung oder gar Angst verbreiten.
[caption id="attachment_120381" align="alignleft" width="195"] Heißgetränke statt Cocktails: Lukas Adolphi vom Nepomuk[/caption]
Denn die Rücklagen sind in der Branche nicht unbedingt üppig. Etwa 2.200 gastronomische Betriebe gibt es in der Stadt, darunter Imbisse und Bistros, Restaurants und Kneipen, Cocktailbars und Cafés. So unterschiedlich die Konzepte, so unterschiedlich sind die Möglichkeiten, im Lockdown zumindest ein Lebenszeichen nach außen zu senden und daran zu erinnern, das der Einzelhandel keine Geselligkeit verkauft. Nach Sonnenuntergang liegen die typischen Kneipenmeilen dunkel, umso auffälliger sind die wenigen erhellten Fenster. Im Barfußgäßchen, das Fußgänger üblicherweise nur mit großer Entschlossenheit passieren können, ist der Fußweg erkennbar. An der verlassenen Tür vom Killiwilly in der Karl-Liebknecht-Straße klärt ein Zettel potenzielle Einbrecher darüber auf, dass außer Überwachungskameras nichts zu holen ist. Der Olive Tree im selben Häuserblock pulsiert, Kundschaft trägt Pizzakartons und Döner nach Hause. Auch Kumpir, gebackene und gefüllte Kartoffeln, eignen sich gut dafür, aus dem Fenster verkauft und nach Hause gebracht zu werden. Entsprechend wird das Don Kichot in der Karl-Heine-Straße zum Anlaufpunkt. Solche Punkte bilden auch das Restaurant Fela, das Hotel Seeblick in der Südvorstadt oder das Green Soul, das vegetarisch-vegane Restaurant in der Johannisallee.
[caption id="attachment_120378" align="alignright" width="195"] Die Kneipe bleibt zu: Marcel Viola vom Peter K.[/caption]
Nicht jedes Gericht ist für den Straßenverkauf gemacht, Cocktails schon gar nicht. Lukas Adolphi betreibt in der Zschocherschen Straße die Bar Nepomuk: »Das ist nicht im PET-Becher transportierbar, den die Leute in der Kälte leer trinken. Das Konzept lebt vom Raum und natürlich von guten Spirituosen in passenden Gläsern mit schöner Garnitur.« Stattdessen können Passanten am Wochenende Heißgetränke mitnehmen. In die Kasse kommt nur ein Viertel vom sonstigen Umsatz, wichtig ist die Solidarität von Stammgästen und Freunden. »Die Unterstützung durch jeden Einzelnen war nie so wichtig wie jetzt.« Adolphis Appell: »Unterstützt die kleine inhabergeführte Gastronomie!«
Ebenfalls nicht transportierbar ist das Konzept des Peter K., der Kneipe in Neustadt-Neuschönefeld. Weil Betreiber Marcel Viola eine Raucherinnenkneipe ohne dicke Luft wollte, ist dort ohnehin eine überdimensionierte Lüftungsanlage verbaut. Zusätzlich haben er und seine Co-Betreiberin Hepa-14-Filter aufgestellt, wie sie das Robert-Koch-Institut für Schulklassen empfiehlt, und zwischen den Tischen für größere Abstände als vorgeschrieben gesorgt: »Das Ansteckungsrisiko ist so auf den jeweiligen Tisch minimiert.« Minimiert sind freilich auch die Einnahmen, wenn fast die Hälfte der Plätze fehlt, die beiden haben sich eine Weile schon keinen Lohn ausgezahlt. »Über den Sommer haben wir aber in Vorbereitung ein bisschen gespart und können als Firma noch ein bisschen durchhalten«, sagt Viola.
Die Gastronomie ist auch ohne Pandemie ein Sektor mit relativ viel Fluktuation, mit häufigen Schließungen und Neueröffnungen. Aber es ist nicht egal, wer oder was da schließt und eventuell neu öffnet. Pahnke warnt vor Konzentrationsprozessen, wenn kleinere Lokale dichtmachen müssen. Wolf weist darauf hin, dass eine Schließung nicht nur wirtschaftliche, sondern auch psychische und zwischenmenschliche Verwerfungen bedeutet. Und davon dürften die Gäste nicht ausgenommen sein.