Zerborstene Schaufensterscheiben, schwefelige Rauchschwaden, archaisches Gebrüll. Ein lauter Knall folgt auf den nächsten. Was wie ein eskalativer Jahreswechsel klingt, war ein geplanter rechter Angriff.
Connewitz schafft es häufiger in die Presse, doch am 11. Januar 2016 waren es nicht Scharmützel zwischen Autonomen und der Polizei, die Schlagzeilen machten. Während in der Innenstadt eine Jubiläumsveranstaltung des Leipziger »Pegida«-Ablegers »Legida« stattfand, für welche prominente Rechtsextremisten, wie die Band »Kategorie C«, anreisten, nutzten andere von ihnen die Gunst der Stunde. Weil die Aufmerksamkeit an diesem Tag vor allem auf der Veranstaltung in der Innenstadt lag, wurde Connewitz für sie zur Zielscheibe.
Etwa 250 gewaltbereite rechte Hooligans und organisierte Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet marschierten in den frühen Abendstunden die Wolfgang-Heinze-Straße entlang. Auf ihrem Weg zerschlugen sie diverse Fensterscheiben. Mindestens 23 Ladengeschäfte wurden beschädigt, mindestens 16 Autos in Mitleidenschaft gezogen, ein Sprengsatz wurde in einen gut besuchten Imbiss geworfen und detonierte dort. Angestellte und Gäste konnten sich rechtzeitig in einen hinteren Raum retten. Drei weitere Menschen wurden an anderen Stellen verletzt. Mit einiger Verzögerung stellte die überrumpelte Polizei die Angreifer schließlich in der Auerbachstraße. Etliche von ihnen konnten trotzdem über Hinterhöfe entkommen. Die Bilanz laut Leipziger Staatsanwaltschaft: schätzungsweise 112.000 Euro Sachschaden.
Infolge des Angriffes erhob sie Anklage gegen 204 Personen, denen allesamt schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen wurde. Aufgrund der großen Anzahl von Beschuldigten wurde ein sogenannter »Gruppenprozess« eröffnet, bei welchem zumeist gegen zwei Beschuldigte zur gleichen Zeit verhandelt wird. Bis zum Januar 2021 wurden 124 Angeklagte wegen besonders schwerem Landfriedensbruch rechtskräftig verurteilt.
In der Kritik stand jedoch schon früh, dass sich der Beginn des Verfahrens derart verzögerte. So dauerte es über zweieinhalb Jahre bis zum ersten Prozesstermin im August 2018. Auch die Dauer des Prozesses steht in der Kritik. So liegt der Vorfall mittlerweile fünf Jahre zurück, während nach Auskunft der Leipziger Staatsanwaltschaft weiterhin 66 Verfahren ausstehen und 13 Urteile nach wie vor nicht rechtskräftig sind. Ein Ende der Aufarbeitung liegt nicht in greifbarer Nähe.
Unverständnis seitens der Prozessbeobachtung
Die schiere Anzahl sowie die Dauer der Verfahren mögen zum Teil Grund für die Urteilssprüche der Richter und Richterinnen sein. Allerdings hat es sich etabliert, dass Angeklagte, welche eine Teilnahme am Angriff auf Connewitz zugaben, mit einer Bewährungsstrafe belegt wurden. Auch Zeugen und Zeuginnen werden somit kaum mehr gehört. Beobachter und Beobachterinnen des Prozesses beunruhigt dies. »Unser Eindruck als Prozessbegleitung dieses Verfahrens deckt sich mit dem des Richters Marcus Pirk: Die Justiz ist völlig überfordert mit der juristischen Aufarbeitung des Überfalls«, schildert Paul Zschocke von Chronik.LE, einer Dokumentationsstelle für rassistische, rechtsextremistische und diskriminierende Ereignisse in Leipzig. Auch Zschocke kritisiert die nunmehr gängige Verfahrensweise. »Die Hintergründe des Angriffs, also etwa die Ermittlung von Personen, die diesen maßgeblich planten, bleiben so schleierhaft. Das ist fatal und in diesem Moment eine Kapitulation des Rechtsstaates, denn Neonazis wird so das Gefühl vermittelt, dass sie machen können was sie wollen«, erklärt der Soziologe.
Aufmarschiert war an diesem Januarabend nämlich nicht irgendwer: rechte Hooligans, etwa aus dem Umfeld des 1. FC Lokomotive Leipzig, Neonazikader der NPD, Mitglieder freier Kameradschaften. Unter ihnen auch ein Rechtsreferendar des Landes Sachsen sowie ein sächsischer Justizbeamter. Schon früh wurden zudem zehn Ermittlungsverfahren an die Dresdner Staatsanwaltschaft abgegeben, da gegen die Angeklagten, Mitglieder einer freien Kameradschaft, zum Zeitpunkt des Angriffs bereits ein »Strukturermittlungsverfahren« lief.
Stimmen, die eine Unterschätzung des politischen Charakters des Angriffes fürchteten, regten sich bereits früh. Die Leipziger Staatsanwaltschaft äußerte sich auf Nachfrage nicht dazu, inwiefern die politische Motivation der Täter bei der juristischen Aufarbeitung des Überfalls eine Rolle spielt. Dass jedoch eine Melange aus rechten Hooligans und organisierten Neonazis weiterhin in Leipzig aktiv ist, wurde spätestens am 7. November 2020 bei den Ausschreitungen rund um die »Querdenken«-Demonstration erneut sichtbar. »Wir haben es hier mit einem sehr ähnlichen Milieu zutun wie damals bei dem Angriff auf Connewitz«, sagt Paul Zschocke.
Olaf Hoppe, Sprecher der Polizei Leipzig bestätigt diesen Eindruck: »Es gibt Erkenntnisse darüber, dass Personen, die am 11. Januar 2016 am Angriff auf Connewitz beteiligt waren, auch am 7. November als Teil gewaltbereiter Gruppen an der Querdenker-Demonstration teilgenommen haben.«