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Fotografie heute


Leipzig gilt als Wiege der akademischen Fotoausbildung im Land. Wie steht es heute um die Fotografie in der Stadt und wie sieht die Zukunft aus? Eine Recherche

  Fotografie heute
 | Leipzig gilt als Wiege der akademischen Fotoausbildung im Land. Wie steht es heute um die Fotografie in der Stadt und wie sieht die Zukunft aus? Eine Recherche

Vor zehn Jahren widmeten sich drei Leipziger Museen der Fotografie in der Stadt seit 1839. Damals war hier erstmals die Weltneuheit Daguerreotypie zu sehen. Bis zur Gegenwart konnten die Arbeiten von 200 Fotografinnen und Fotografen studiert werden. Hier veröffentlichen wir die Titelgeschichte aus der Februar-Ausgabe des kreuzer.

Was ist heute von Fotografie in und aus Leipzig zu bemerken? Coronabedingt warten die Ausstellungen von Andreas Gursky und »1950–1980. Fotografie aus Leipzig« im Museum der bildenden Künste auf ihre Eröffnungen wie Fotoausstellungen an vielen anderen Orten auch (siehe S. 21). Statt Museumsbesuchen kann im Internet auf die Suche gegangen oder ein Buch zur Hand genommen werden. Wir empfehlen Instagramkanäle 
sowie Ausstellungsausflüge für später.

[caption id="attachment_121669" align="alignright" width="276"] Christiane Eisler: Mädchen im Jugendwerkhof von Crimmitschau, Teil der Diplomarbeit an der HGB, 1983[/caption]

Das Fotofestival F-Stop erfindet sich wieder neu und startet schon mal digital vor dem eigentlichen Festival, das Ende Juni beginnen soll. Was zeichnet Leipzig nun aus im Hinblick auf Fotografie? Der neue Direktor des Museums der bildenden Künste, Stefan Weppelmann, betont im kreuzer-Interview (siehe kreuzer-online) die immense Bedeutung der Fotografie, auch und besonders in der Dauerausstellung. Der kreuzer sprach mit vier Menschen aus Leipzig darüber, wie es um die aktuelle und die zukünftige Fotografie bestellt ist. Adrian Sauer hält fest: »Fotografie ist selbstverständlich.«

Bevor der Besuch von Kunsträumen wieder selbstverständlich wird, empfiehlt sich ein Spaziergang zu Fotografie im 
öffentlichen Raum. Anlässlich des siebten F-Stop im Jahr 2016 wurde in der Straße des 18. Oktober nahe der Tarostraße eine Installation zur Pionierin der Kriegsfotografie Gerda Taro (1910–1937) eröffnet. Sie wohnte von 1929 bis 1933 in der Stadt, emigrierte danach nach Paris und lernte dort André Friedmann (Robert Capa) kennen. An ihn erinnert das sogenannte Capa-Haus an der Angerbrücke. Hier nahm er die Fotografien auf, die im Life Magazine am 14. Mai 1945 unter der Überschrift »An Episode. Americans Still Died« erschienen. Auf dem Weg dahin befindet sich in der Elsterstraße Nr. 38 die Gedenktafel für die erste Berufsfotografin der Welt Bertha Wehnert-Beckmann (1815–1901).

»Ernsthaftigkeit in der Arbeit«Anstelle eines Tischgesprächs vier Fragen an Menschen in Leipzig, die sich mit Fotografie beschäftigen

1. Was zeichnet zeitgenössische, künstlerische Fotografie aus Leipzig aus, gibt es überhaupt ein Alleinstellungsmerkmal?

2. Welche Positionen würden Sie als typisch Leipziger Fotografie beschreiben?

3. Gibt es in Leipzig genügend Gelegenheiten, um sich mit Fotografie auseinanderzusetzen?

4. Wie wird die Zukunft der Fotografie aussehen?

Interview mit Christin Müller (Kuratorin)

1 Das Alleinstellungsmerkmal ist, dass es vier starke Fachklassen an der Hochschule für Grafik und Buchkunst gibt und dass die Auseinandersetzung mit Theorie wichtiger Bestandteil des Studiums ist. Wenn in diesem Jahr zwei der Foto-Professuren neu besetzt werden, ist es spannend, welche künstlerischen Haltungen und Arbeitsweisen neu in die Hochschule getragen werden.

2 Typisch sind die Vielfalt der künstlerischen Haltungen und Bildsprachen und eine gewisse Ernsthaftigkeit in der Arbeit. Exemplarisch könnten da aus der jüngsten Generation Katarína Dubovská, Clarita Maria und Luise Marchand mit ihren unterschiedlichen Arbeitsweisen stehen. Dubovská verschränkt in ihren Arbeiten bildgebende Verfahren des Analogen und Digitalen in komplexen Rauminstallationen. Maria reagiert auf gefundene Fotografien ihrer Mutter, die sie nur als Kleinkind kannte, mit Aufnahmen von sich selbst. Luise Marchand untersucht, wie sich das Verhältnis von privater und beruflicher Sphäre zu einem Work-Life-Blending verschiebt.

3 Es gibt in den Leipziger Museen, im Kunstverein, bei F-Stop und in der HGB bereits regelmäßig Fotografie zu sehen. Wünschenswert wäre, dass die Stadt noch mehr wechselseitig in den internationalen Fotodiskurs eingebunden wäre.

4 Gegenwärtig arbeiten die Künstlerinnen nicht nur an den Grenzen von analog und digital, sondern erweitern ihr Arbeitsfeld in den virtuellen Raum. Gleichzeitig spielen Archive eine wichtige Rolle. Wenn die Fotografie weiterhin so in die Breite und Tiefe geht, wird die Zukunft des Mediums vielgestaltig.

■ Christin Müller betreut unter anderem die Dokumentarfotografie Förderpreise der Wüstenrot Stiftung. www.christinmueller.com

Interview mit Adrian Sauer (Fotograf)

[caption id="attachment_121679" align="alignright" width="320"] Adrian Sauer, Raum für alle – Musterhaus Törten, nach einer Fotografie von Otto Wedekind, die zwischen 1926 und 1928 entstanden ist, gefunden im Bauhaus-Archiv Berlin[/caption]

1 Die HGB ist ja die älteste akademische Ausbildungsstätte für Fotografie in Deutschland. Diese Tradition hat viele Menschen angezogen, die sich explizit für fotografische Ausdrucksformen interessieren. So sind die resultierenden Arbeitsweisen zwar formal und inhaltlich vielfältig, aber von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Diskursen der Fotografie geprägt.

2 Typische Leipziger Fotografie nimmt das Erbe einer dokumentarischen Tradition an. Das heißt, sie kennt ihre Wurzeln und geht damit um. Der Blick in die Zukunft ist davon nicht verstellt, sondern informiert.

3 Mit HGB, MdbK, GfZK, F-Stop, Kunstverein gibt es viele Orte, die sich mit Fotografie auseinandersetzen. Mit Spector sitzt hier einer der auch international meist-beachteten Verlage auf diesem Gebiet. Dass dabei nichts ist, was Fotografie explizit im Namen trägt, ist vielleicht gar kein schlechtes Zeichen. Fotografie ist selbstverständlich und prägt viele Programme. Was fehlt, ist eine große und am besten öffentliche Sammlung oder wenigstens eine verbesserte Sichtbarkeit innerhalb der Sammlungen.

4 Obwohl oder gerade weil Fotografie omnipräsent ist, wird es schwerer sein, sie eindeutig als solche zu erkennen. Und nachdem das Erzeugen von Fotografien immer schon ein technischer, automatisierter Prozess war, wird die Wahrnehmung und bildliche Verarbeitung auch stärker von nicht menschlichen Akteuren übernommen werden.

■ Von Adrian Sauer erschien im vergangenen Jahr das Buch »Foto Arbeiten« im Kerber Verlag. www.adriansauer.de

Interview mit Jeannette Stoschek (Kuratorin)

1 Ein besonderes Merkmal der zeitgenössischen Fotografie in und aus Leipzig ist eine hohe theoretische Reflexion, die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Dokumentarischen, den formalen Strukturen des Bildes und den Bedingungen der Fotografie. Es gibt in der heutigen Zeit jedoch weder ein spezifisch bildnerisches Programm noch einen einheitlichen Stil.

2 Bezogen auf die künstlerische Fotografie und die in Leipzig in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr einflussreiche Tradition der sozialdokumentarischen Fotografie muss hier wohl an erster Stelle Evelyn Richter genannt werden, deren Schaffen auch vor 1989 bereits international wahrgenommen wurde. Ebenso aber auch ihre Weggefährtin Ursula Arnold und die Studierenden der achtziger Jahre, die unter anderem von Evelyn Richter, Arno Fischer, Harald Kirschner, Helfried Strauß, Joachim Jansong und Peter Pachnicke geprägt wurden. Nach 1992 kamen zahlreiche neue Professorinnen nach Leipzig. Genannt seien exemplarisch Tina Bara, Joachim Brohm, Astrid Klein, Christopher Muller, Peter Piller, Timm Rautert, Heidi Specker und Özlem Altin, die das Medium Fotografie in ihren Klassen neu etablierten und deren Studierende zum Teil selbst als Lehrende beziehungsweise als Künstlerinnen national und international bekannt sind.

3 Es gibt in Leipzig weder Ausstellungsorte noch öffentliche Sammlungen oder Galerien, die ausschließlich auf Fotografie spezialisiert sind. In Markkleeberg gibt es das Deutsche Fotomuseum.

Historische wie zeitgenössische Fotografie werden in Leipzig gesammelt und ausgestellt. Erwähnt seien Grassi-Museum für Angewandte Kunst, GfZK, Stadtgeschichtliches Museum oder wir im MdbK. In Galerien und den zahlreichen nichtkommerziellen Ausstellungsorten und Projekträumen werden fotografische Positionen ausgestellt. Ein wichtiger Ort, um aktuelle Fragen und Tendenzen zu erfahren, ist die HGB mit ihrem Rundgang und den weiteren vielfältigen Ausstellungen und Präsentationen. Im MdbK wurde in der Amtszeit von Hans-Werner Schmidt damit begonnen, gezielt Fotografie zu sammeln und auszustellen. Bedeutend für das Haus waren die Gründung des Evelyn-Richter-Archivs der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im November 2009 und die Gründung des Ursula-Arnold-Archivs der Sparkassenstiftung im Sommer 2016. Ein großes Konvolut von Lutz Dammbeck konnte 2015 als Vorlass erworben werden. Im letzten Jahr folgten die Vorlässe von Thomas Steinert und Ernst Goldberg. Abschließend sei gesagt, dass diese Ansätze auszubauen sind, um die hohe Qualität und die reiche Tradition der Leipziger Fotografie noch stärker zu erschließen und auch national und international zu vermitteln.

4 Aufregend und nicht wirklich vorhersehbar. Fotografie wird sowohl digital als auch analog, als Vintage- oder C-Print, im Buch oder (un)gerahmt an der Wand, in einer Vitrine, als LED-Präsentation im Raum, installativ, in den sozialen Netzwerken und neuen Medien zu sehen sein. Auf jeden Fall ist die Fotografie in ihrer gesamten medialen Bandbreite als künstlerisches Medium unverzichtbar und für die Kunst in und außerhalb von Leipzig von großer Bedeutung.

■ Jeannette Stoschek leitet das Evelyn Richter & Ursula Arnold Archiv der Ostdeutschen Sparkassenstiftung am Museum der bildenden Künste (ERUA). www.mdbk.de

Interview mit Ricarda Roggan (Fotografin)

[caption id="attachment_121674" align="alignright" width="234"] Ricarda Roggan: Aus der Serie Apparate, Bauer P7), 2018, Courtesy Galerie Eigen + Art Leipzig/Berlin, VG Bild-Kunst, Bonn[/caption]

1 Die mediale Landschaft ist insgesamt so vielfältig und gleichzeitig unübersichtlich geworden, dass Alleinstellung quasi unmöglich ist. Niemand bleibt lange allein in diesen Zeiten, und hat jemand heute Erfolg, ist es aus mit der Einsamkeit.

Es gibt aber eine Form von eigener Souveränität, die sich über die letzten 20 Jahre beobachten lässt. Die personellen 
Neubesetzungen nach der Wende brachten viel Klarheit, was künstlerische Haltung, Sprachlichkeit und Ermunterung zu authentischer Perspektive betrifft. Es waren schlechte Zeiten damals für alle Formen von Kitsch, Befindlichkeitsbefragung und unklar formulierten Positionen.

Ich sehe diese Klarheit immer noch in dem, was ich mit Souveränität meine. Es ist der Umgang mit Bildern im Raum. Es gibt momentan keine Klasse für Fotografie mehr, in der es nur Fotografie gibt. Die HGB ist generell ein hervorragendes Feld für alle Spielarten von Mixed und Crossed Media, das gilt allerdings für alle Fotografie-Klassen in Deutschland. Der entscheidende Unterschied ist eine starke Tradition gut ausgebildeter Handwerkskenntnis.

2 Spontan denke ich sofort an: Stephanie Kiwitt, Adrian Sauer, Eiko Grimberg, Viktoria Binschtok, Sven Johne …

3 Leipzig und Fotografie ist natürlich nicht nur HGB. Wichtig ist das F-Stop-Festival und natürlich Spector Books als Verlag. Unterschätzt ist das Deutsche Fotomuseum, es war lange am Stadtrand wie eine Kuriosität untergebracht, erinnerte aber zuverlässig an bestimmte historische Aspekte des Mediums.

4 Lange war Fotografie mit Historie, Archiv und dem Fixieren bestimmter Momente, die umgehend Vergangenheit wurden, konnotiert. Derzeit komprimiert sich die Zeitleiste rapide zu einer gefühlt andauernden Gegenwart medialer Bilder. Ich persönlich denke, es ist an der Zeit, das Begriffspaar Fotografie und Zukunft wörtlich zu nehmen.

■ Ricarda Roggan arbeitet als Professorin für Fotografie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.
www.ricardaroggan.de

Verbeugen vor dem GegenüberEine fotografische Bilanz

Eindrucksvoll, aufwühlend und kraftvoll eröffnet eine männliche Aktaufnahme das Katalogbuch »Ost. Süd.«. Es gehört zur gleichnamigen Ausstellung des Fotografen Frank Gaudlitz, die dieser gemeinsam mit dem Potsdam Museum Ende 2020 organisierte.

Die Publikation folgt chronologisch dem Schaffensweg des Fotografen, beginnend im Osten Deutschlands in der Zeit der sogenannten »Friedlichen Revolution« und der Wende. Von dieser Phase ausgehend beschäftigte sich Gaudlitz mit dem gesellschaftlichen und politischen Zusammenbruch der Sowjetunion, woraus die sich über 30 Jahre erstreckende Werkserie »Russian Times« (1988–2018) entstand. Parallel unternahm er Reisen entlang der Donau und nach Lateinamerika, wo er Menschen in ihrer je eigenen, sehr persönlichen Lebensumwelt sowohl in Schwarz-Weiß- als auch in Farbaufnahmen porträtierte.

Der vergleichende Blick, den die retrospektive Sicht auf das Gesamtwerk des Fotografen ermöglicht, zeichnet Entwicklungsschritte und Inspirationsquellen nach. Während etwa zu Beginn Momentaufnahmen der osteuropäischen Bevölkerung im Vordergrund stehen, stellen die Fotografien der Serie »A Mazo« ganz bewusst inszenierte Porträts von Transfrauen dar. Und in den Bildern aus seinem aktuellen Projekt »Séparée« sind überhaupt keine Menschen mehr zu sehen, obwohl sie in den gezeigten Innenräumen deutlich spürbar bleiben.

Den Werkserien sind Textpassagen vorangestellt, die einerseits wertvolle Informationen über die Arbeits- und Herangehensweise des Fotografen liefern. Andererseits schicken sie eine schriftliche Codierung der Fotografien voraus, die dem Betrachter einen ersten unvoreingenommenen Blick erschwert. In Zeiten wie diesen, in denen Ausstellungen ohne Publikum stattfinden, ist dieser Bildband eine tröstende Alternative, sich dennoch mit den Fotografien von Gaudlitz auseinandersetzen zu können.

HANNA SCHNECK

■ Frank Gaudlitz und Jutta Götzmann (Hg.): OST. SÜD. Frank Gaudlitz. Fotografien 1986–2020. Bielefeld, Berlin: Kerber Verlag 2020. 175 S., 45 €

Folgt nicht Influencern, folgt Fotografen!Fünf Leipziger Instagram-Accounts

Auf Instagram tummeln sich etablierte Künstler und eine bunte Mischung hervorragender Amateurfotografen. Neben werbefinanzierten Inhalten, vermittelt durch die penetrante Inszenierung von Privatleben, gibt Instagram auch der Kunst eine Chance. Längst haben sogar die Wolfgang Tillmanns dieser Welt einen Account. Sie stehen neben Heerscharen von Hobbyfotografen, deren Sujets manchmal Tausende Follower begeistern. Die Masse von Bildern lässt erahnen, wie groß der Graubereich ist zwischen Kunst und Knipserei. Fotografie-Interessierte sollten diese Plattformen nutzen, um ihre Vorstellung von dem, was betrachtenswert ist, zu hinterfragen und zu erweitern. Leute, für die Fotografie auf dem Smartphone grundsätzlich ein Graus ist, können sich damit trösten: Hier erfährt man am schnellsten, wann es die Arbeiten mal in echt zu sehen gibt. Aus Leipzig empfehle ich diese fünf Fotografinnen und Fotografen – sie sind Autodidakten, die ihre Bildsprache gefunden haben: Auf dem Account @naive.kunst finden sich urbane Farbfotografien, die sich in die Tradition der New Topographics stellen: Ob das Blümchen im Fenster einer Plattenbausiedlung oder der Regenschutz einer Marienskulptur – seinen Blick richtet der Fotograf auf die vom Menschen veränderte Welt. Wer schon einmal die starken Ankündigungsfotos der Leipziger Cammerspiele bewundert hat, sollte der Urheberin Mim Schneider folgen. Unter @m.i.m.s.k.i. postet sie neben Theaterarbeiten auch Schauspielerporträts. Zwei hutzelige alte Frauen mit Kopftüchern sitzen in einem mit Jesusbildchen vollgestopften Wohnraum und blicken nachdenklich in die Ferne – Ruslan Hrushchaks preisgekrönte Porträtserie zeigt Menschen aus der Ukraine in ihrer privaten Umgebung. Antje Kröger präsentiert ihr umfangreiches Portfolio aus Künstlerporträts, Selbstporträts und Reise-Reportagen. Herzstück ihrer Arbeit ist die Beschäftigung mit Körpern jenseits der Norm. Auch Calin Kruses analoge Schwarz-Weiß-Fotografien heben Grenzen auf. Ob Akte oder Landschaften, sein Blick kippt immer wieder ins Voyeuristische. Die Schnappschuss-Ästhetik führt ganz nah heran an Augenblicke voll düsterer Intensität.

JENNIFER RESSEL

■ Auf Instagram: @antjekroeger.fotografin, @calinkruse, @m.i.m.s.k.i., @naive.kunst

Fotografieförderung auf Tour – nicht ohne Leipziger
Die Förderpreisträger für Dokumentarfotografie der Wüstenrot-Stiftung

Die Wüstenrot-Stiftung vergibt alle zwei Jahre zusammen mit dem Museum Folkwang Essen vier Förderpreise für Dokumentarfotografie. Die Wanderausstellung steuert 2021 die letzte Station an, nämlich die Kunsthalle Erfurt in der Leipziger Nachbarschaft. Kuratorin ist Christin Müller aus Leipzig.

[caption id="attachment_121678" align="alignright" width="320"] Jens Klein: Aus der Serie Sunset, Archiv des BStU, 2019[/caption]

Leipzig ist überhaupt stark positioniert, denn drei der Stipendiaten studierten beziehungsweise leben hier. Die Prämierten entwickelten eigens Projektarbeiten, die sich in der Installation oder im Tableau erschließen. Der dokumentierende Blick wirft immer wieder Fragen auf: Warum diese klischeehaften Urlaubsidyllen? Wozu Fotos von Erdlöchern? Und diese leeren Gesichter?

Jens Klein, er lebt und arbeitet in Leipzig, montierte Schwarz-Weiß-Fotografien gruseliger Winkel. Sie entpuppen sich als Orte, an denen DDR-Bürger angeblich ihre Flucht planten. »Sunset« basiert auf Aufnahmen der DDR-Staatssicherheit aus dem Stasiunterlagen-Archiv. Im Westen geht die Sonne unter, die auf den Fotos nie scheint; aber was verheißt sie den Fluchtwilligen und ihren Verfolgern? Klein studierte Fotografie an der HGB Leipzig und war dort Meisterschüler. Der ebenfalls in Leipzig lebende Christian Kasners beobachtete in »Nová Evropa« ein Tschechien mit für Europa demonstrierenden Massen und Menschen im schnöden Alltag, der mit Plakaten nationalistischer Politiker gespickt ist. Der öffentliche Raum ist zwar sichtlich Podium der Bürger, aber der private ist tief ideologisch durchtränkt. In »Nexus« porträtiert der in Amsterdam arbeitende Joscha Steffens Jugendliche, die beim Computerspielen in Welten abtauchen, in denen sie als mächtige Avatare ein überwältigendes Gemeinschaftserlebnis erfahren. Steffens erfasst den tragischen Moment, in dem sie aus dem Spielrausch in die banale Realität zurückkehren. Auch er studierte an der HGB. Die in Berlin lebende Jiwon Kim suchte für »Paradise Complex« in Costa Rica nach dem schönsten Ort auf Erden. Aber der ist vielleicht idealerweise transportabel dank palmenbedrucktem Rucksack und Kaffeebecher mit Strandbild?

[caption id="attachment_121677" align="alignright" width="266"] Jens Klein: Aus der Serie Sunset, Archiv des BStU, 2019[/caption]

Pandemiebedingt stehen die Termine nicht fest. Parallel soll in Erfurt die Ausstellung der Foto-Agentur Ostkreuz »Kontinent – Auf der Suche nach Europa« zu sehen sein. Und beim 13. Förderpreis haben gar drei der Stipendiaten in Leipzig studiert.

HEIDI STECKER

Buntes GrauEin Foto-Text-Buch über die DDR und die Zeit danach

Volkspolizisten stehen an einem typischen DDR-Zeitungskiosk. Das Straßenschild hinter ihnen gibt Auskunft, wo sie sich befinden: »Bornholmer Straße« im ehemaligen Grenzgebiet, in dem zu Beginn der neunziger Jahre gleich nebenan ein Bild-Zeitungsverkäufer steht. »Zwischen Anarchie und D-Mark« lautet der Untertitel des Foto-Text-Buches »Graubunt« von Jürgen Hohmuth. Geboren 1960 in Berlin, studierte er von 1986 bis 1991 Fotografie an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst – unter anderem bei Arno Fischer.Seine Aufnahmen von Ostdeutschland aus den Jahren 1989 bis 1994 aus Leipzig, Jena, Berlin und Dresden sind in der Mehrzahl Schwarz-Weiß-Fotografien, denen Farbaufnahmen beigefügt sind. Sie erzählen von verfallenen Städten, Hausbesetzern, Arbeitsalltag im ehemaligen DDR-Kombinat, Grenz- und Braunkohlelandschaften, Hütchenspielern. Ihnen stehen Texte von mehr als dreißig Autoren – wie Thomas Brasch, Christoph Hein oder Peter Wensierski – gegenüber: Ein unaufgeregter, aber sehr detailreicher Blick auf Zeit und Raum.

BRITT SCHLEHAHN

■ Jürgen Hohmuth: Graubunt. Zwischen Anarchie und D-Mark – Ostdeutschland in den frühen 90er Jahren. Berlin: Edition Braus 2020. 152 S., 29,95 €

Vertrauen
Im Sommer findet die 9. Ausgabe des Fotofestivals F-Stop statt

[caption id="attachment_121680" align="alignright" width="163"] Christian Bodach, Foto: Michael Moser[/caption]

[caption id="attachment_121681" align="alignright" width="163"] Stefanie Abelmann, Foto: Michael Moser[/caption]

Die Geschichte von F-Stop begann 2007. Das Festival für Fotografie in Leipzig fand bis 2010 alljährlich statt und lädt seit 2012 alle zwei Jahre auf die Spinnerei und an viele andere Orte in der Stadt, um das Potenzial der aktuellen Bildproduktion zu besprechen, zu präsentieren oder einfach nur zum Anschauen.

Nun sind fast drei Jahre seit dem letzten F-Stop vergangen und einiges änderte sich. Neu ist, dass das Festival nun als Teil des in Lindenau befindlichen Kunstraum D 21 von der Stadt institutionell gefördert wird. Im ersten Schritt wurde ein Organisationsteam gesucht. Stefanie Abelmann und Christian Bodach bilden die Festivalleitung und organisieren nun im Lockdown ein Festival, das sich selbst wieder neu erfinden muss. Die bisherigen Formen des Aufeinandertreffens scheinen 2021 so nicht mehr gegeben. Eine Chance besteht daher in einer neuen Nachhaltigkeit über das bloße Event von Ende Juni bis Anfang Juli hinaus, berichten Abelmann und Bodach dem kreuzer.

Ebenfalls neu ist ein künstlerischer Beirat in beratender Funktion. Er besteht unter anderem aus Kathrin Schönegg (Kuratorin C/O Galerie Berlin), Steffen Siegel (Professor für Theorie und Geschichte der Fotografie an der Folkwang Universität der Künste Essen) und Spector-Books-Herausgeber sowie Kurator der letzten zwei F-Stop-Ausgaben Jan Wenzel. Sie wählten als 2021er-Team Susan Bright (eine britische Autorin und Kuratorin, unter anderem Gastkuratorin von Photo España 2019) und Nina Strand (Autorin und Fotografin, Mitbegründerin des Kunstmagazins Objektiv in Oslo) mit dem Thema »Trust/Vertrauen« aus. Das sehr aktuelle Thema wird von lokalen und internationalen Perspektiven beleuchtet. Bereits begonnen hat auf der F-Stop-Homepage »Digital Wondering« ein Journal. In der ersten Ausgabe erklären die Kuratorinnen ihre Herangehensweise: »For f/stop we will be looking more closely into the local situation as well as internationally when considering the display and dissemination of images.«

BRITT SCHLEHAHN

■ 25.6.–4.7. 9. Fotofestival F-Stop »Trust/Vertrauen«■ www.f-stop-leipzig.de


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1 Kommentar(e)

Christian 31.01.2021 | um 22:22 Uhr

Wir wollten kurz als Leipziger *Shopsystem für Fotografinnen und Fotografen* auch mal "Hallo" sagen. Hallo! Mit vielen Leipziger Fotobegeisterten sind wir hier vernetzt und freuen uns sehr sehr sehr über diesen aktuellen Kreuzer!!! Danke und echt cooles Thema in dieser doch etwas tristen Zeit! Ein Hoch auf die Fotografie im Allgemeinen und auf Fotografie in Leipzig im Speziellen! Haltet durch.