Der Zoo-Aufsichtsrat soll sich zum kolonialen Erbe positionieren. Ein im Auftrag des Zoos erstelltes Gutachten ist problematisch und lässt die saubere Argumentation vermissen.
Geht der Leipziger Zoo angemessen mit seiner kolonialen Vergangenheit um? Werden die damals veranstalteten rassistischen »Völkerschauen« ausreichend thematisiert? Und was bedeutet das für die heutige Gestaltung des Zoos als Ort des »Exotischen«? Diese Fragen kursieren schon lange in der Stadt – sicherlich nicht laut genug. Im vergangenen Jahr wurden Stimmen vehementer, die sich eine intensivere Auseinandersetzung der Zooleitung mit der damaligen Zur-Schau-Stellung »exotischer« Menschengruppen wünschen. Dazu soll sich der Aufsichtsrat – der Zoo ist eine städtische Einrichtung – am Dienstag positionieren. Dessen Mitgliedern hat die Zoo-Leitung vor einer Woche ein 50-seitiges Papier geschickt, das Zoo-Chef Jörg Junhold in einer Mail so ankündigt: »Um die Diskussion versachlichen zu können, haben wir den renommierten Historiker Dr. Mustafa Haikal beauftragt, eine wissenschaftlich fundierte Abhandlung zu dem Thema zu erstellen.« Das Gutachten, das dem kreuzer vorliegt, ist problematisch, weil es unsachliche Anklagen und Vorwürfe enthält und nicht explizit wird, in welcher Beziehung der Verfasser zum Zoo steht.
Junhold erwähnt nämlich nicht, dass Mustafa Haikal Verfasser der Schrift zum Zoo-Jubiläum ist, die beide zusammen herausgegeben haben. Man kann Haikal so etwas wie den Haushistoriker des Zoos nennen. Die suggerierte Unabhängigkeit, die in der Regel mit solchen Gutachten einhergeht, fehlt hier folglich. Zumal sich Textteile im Gutachten bereits in der Selbstdarstellung auf der Zoo-Website finden, was für ein unabhängiges Gutachten unüblich ist. Zudem behauptet Haikal, der Zoo habe sich ausführlich bereits mit den Völkerschauen auseinandergesetzt. Aber ein entsprechender Beitrag ist erst im Herbst 2020 auf der Zoo-Website erschienen – Monate, nachdem die Kritik laut wurde. Man hielt das eigene Verhalten also mindestens für ergänzungswürdig.
Haikals Gutachten beginnt mit der Delegitimierung der Gegner: »Die Debatte über die koloniale Vergangenheit der Stadt ist in vielerlei Hinsicht symptomatisch. Von einer kleinen Gruppe initiiert, wurde sie von zahlreichen regionalen und überregionalen Medien aufgegriffen und breit kommentiert.« Und: »Aus gutem Grunde hat der [...] Historiker Sebastian Conrad darauf aufmerksam gemacht, dass der Impuls zur Erinnerung an die koloniale Vergangenheit, der zu einer Konjunktur der Beschäftigung mit der Kolonialgeschichte geführt habe, nicht so sehr von der Vergangenheit selbst ausgegangen sei, sondern von den Problemen der Gegenwart.«
Dass Geschichtswissenschaft und das Ringen mit Geschichte immer auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Gegenwart darstellt, ist eine Binse. Für Haikal sind es also »Probleme« im Heute, die die koloniale Praxis kritikwürdig machen. Die Auseinandersetzung mit Rassismus würde demnach den Blick anleiten – das klingt so, als ob da die postkoloniale Kritik irgendwie künstliche Aufregung ist. Darauf weist auch die Bezeichnung »eine kleine Gruppe« hin, die wohl einer Mehrheit gegenübersteht und höchstens ein Partikularinteresse vertritt. Damit ist die AG Postkolonial gemeint, besser: die heutigen Mitglieder dieser vor über zehn Jahren gegründeten Gruppe. Über sie weiß Haikal: »In den Medien nicht selten als Experten für Kolonialgeschichte vorgestellt, haben sie indes bislang keine eigenständigen Beiträge zur Kolonialgeschichte in Leipzig publiziert und nutzen im Wesentlichen die von ihren Vorgängern erarbeiteten Materialien.« Danach nimmt er direkt die Position des Zoos ein, wenn er über die AG schreibt: »Der Zoo wird hier und in anderen Veröffentlichungen auf grundsätzliche Weise angegriffen. Wenn die Autorin zu dem Schluss kommt, der heutige Zoo sei selbst eine ›Manifestation des Postkolonialismus‹, so dürfen sich die Mitglieder der AG nicht wundern, wenn die Verantwortlichen des Unternehmens keinen Spielraum für irgendeine Form der Zusammenarbeit sehen.« Das klingt nicht nach Versachlichung.
Dann stellt er die Völkerschauen als relativ unproblematisch dar: Sie seien eben Phänomene des damaligen Zeitgeistes. Es habe solche Veranstaltungen in vielen Orten gegeben und auch schon vor der Existenz des Zoos. Das sei eben so gewesen, dass man sich an »exotischen« Menschen in zooartigen Ausstellungen ergötzt hat und sich das rassistische Weltbild dadurch bestätigen ließ. Der Zoo Leipzig sei da ein Normalfall und die Behörden hätten nichts zu beanstanden gehabt. Außerdem habe der damalige Zoo-Chef Ernst Pinkert gar keine Wahl gehabt: »Dabei führte an dem Mix von Tierhaltung und Veranstaltungen aller Art kein Weg vorbei, konnte Pinkert kaum wählerisch sein. Im Unterschied zu den zoologischen Aktiengesellschaften anderer Städte, die sich den Völkerschauen und Vergnügungen verschiedenster Art nur zögernd öffneten, musste er jede Gelegenheit ergreifen, die Finanzierung des Zoos abzusichern.« Der habe nur aus Geschäftssinn gehandelt. Eine rassistische Gesinnung hätte nicht hinter dieser rassistischen Praxis – Haikal nennt die Völkerschauen andernorts selbst so – gestanden. Außerdem sei Pinkert ein hart arbeitender Mann gewesen. Und wenn Leipzig sich schon mit der Kolonialvergangenheit auseinandersetzen will, dann doch bitte woanders – zum Beispiel vorm Völkerkundemuseum – aber nicht im Zoo.
Dass die Kolonialgesellschaft an sich auf Rassismus und Ressentiment fußte, sollte gerade kein Anlass sein, bei ihren Teilaspekten – wie eben den Völkerschauen – mit den Schultern zu zucken. Aber genau das schlägt Haikal in seiner schrägen Argumentation vor. Zudem lässt er das Phänomen Zoo an sich seltsam unterbelichtet, obwohl die Zoos damals ja auch eine ideologische Funktion erfüllten. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielerorts entstehenden Tiergärten knüpften an die adlige Tradition des »Sammelns« von Tieren an. Sie waren Orte fürs bürgerliche Volksvergnügen. Neben der Zerstreuung rechtfertigte diese Art der Freizeitgestaltung nicht zuletzt den menschlichen Führungsanspruch als »Krone der Schöpfung«. Und mit dem Ausstellen von indigenen Menschen als lebendige Objekte (und ihrer Darstellung »Barbaren«) konnte sich der Mensch des »Westens« als kultiviert und höherwertig inszenieren. Mit dieser Tradition muss sich eine städtische Institution wie der Zoo auseinandersetzen – was ja auch schon passiert ist. Ob das genügt, darüber wird eben gestritten. Das sollte mit Argumenten geschehen, nicht mit der Verächtlichmachung der Kritiker.
Historiker Mustafa Haikal betont zwar, dass kein Gespräch möglich sei, sucht am Ende seines Gutachtens aber doch noch das Gespräch. Das wäre ein Anfang. Der kreuzer wird ihn, Jörg Junhold und die AG Postkolonial um Stellungnahmen bitten. Und dass Kritik doch etwas erreicht – und deswegen entgegen Haikals Äußerungen doch notwendig ist –, beweist die Ergänzung auf der Homepage, zu der sich Zoo offensichtlich im Herbst genötigt sah. Geschichte und ihre Bewertung ist nie abgeschlossen – auch das ist eine Binse, was die Aussage aber nicht weniger wahr macht.