Das 9. Festival für Fotografie Leipzig zeigt in der Hauptausstellung viele Hände, aber wenig Neues zur Fotografie. Die Satelliten empfehlen sich durch eine gute Mischung an Themen. Bis 4. Juli kann die Ausstellung noch besichtigt werden.
Hände, Arme, Hände, Arme, Hände, Arme davon präsentiert die Werkschauhalle auf der Spinnerei reichlich. Es ist die Hauptausstellung der neunten Ausgabe des Leipziger Fotofestivals F/Stop. Die von einem Beirat ausgewählten Kuratorinnen Nina Strand und Susan Bright scheinen sich auf diese Körperteile fokussiert zu haben und wählten gleich drei Künstlerinnen aus, um so das Festival-Thema »Trust/ Vertrauen« zu bebildern. Ein schwieriges Unterfangen, wenn die Ausstellung selbst nur sieben Kunstschaffende präsentiert. Aber das allein unterscheidet das diesjährige Festival nicht nur von den bisherigen acht Ausgaben.
Neu ist vor allem, dass der Kunstraum D21 das Festival verantwortet mit einer institutionellen Förderung der Stadt. Dafür wurden Stefanie Abelmann und Christian Bodach als Leitungsteam berufen. Gemeinsam mit den Kuratorinnen entstand unter Pandemiebedingungen das Festival, das sich hauptsächlich in der Werkschauhalle, im Untergeschoss der Halle 14 und im virtuellen Raum abspielt.
In der Werkschauhalle eröffnet die im Auftrag von F/Stop entstandene Arbeit der US-amerikanischen Künstlerin Carmen Winant die Schau. Sie stellte unzählige ausgeschnittene Hand-Arm-Motive in Schwarz-Weiß auf Plakaten zusammen. Warum? Es erschließt sich nicht. Es geht um weibliches Verhalten, Körper und Norm anhand der Körperteile von Marlene Dietrich aus Filmstills, so der Wandtext. Doch wissen wir nicht seit einigen Jahrzehnten, dass es sich beim Film keinesfalls um eine authentische Abbildungsmaschinerie handelt, sondern Frau Dietrich Haltungen einnahm und Texte aufsagte, die von anderen Personen vorgegeben waren? Was sollen mir die gelisteten filmischen Gesten über Vertrauen im 21. Jahrhundert neu sagen wollen?
HGB-Absolventin Viktoria Binschtok ist mit Arbeiten aus ihrer Serie »Networked Images« vertreten. Sie ordnet durch digitale Bildsuche gefundenes Bildmaterial neu, gibt ihm eine Materialität im Raum und fragt so gleichsam skeptisch, ob uns eigentlich klar ist, welche Wirkmacht die Algorithmen über uns besitzen.
[caption id="attachment_126792" align="alignright" width="320"] Installationsansicht Viktoria Binschtok; Foto: Britt Schlehahn[/caption]
Besonders irritierend in der Halle erscheint allerdings ein Bildschirm in der Hauptachse, der alle in der Halle zu sehende Arbeiten präsentiert. Hier könnte sofort nach Benjaminscher Manier nach Reproduzierbarkeit gefragt werden oder eher schlicht - handelt es sich dabei um einen unambitionierten Platzhalter – eine Online-Ausstellungsvariante wie sich ein reales Festival selbst abschaffen kann?
Insgesamt wirkt die Hauptausstellung inhaltlich dünn, denn die große Bedeutung des Begriffs »Trust/ Vertrauen« wird doch recht einseitig in der Mehrzahl auf Körperteile reduziert. Auch wenn alle aktuell gebräuchlichen Diskursfloskeln in den Wandtexten auftauchen, die Schau vergibt sehr viel – vor allem auch hinsichtlich der gesellschaftlich-technischen Entwicklung und das Erbe der Fotografie dabei.
Die von anderen Kunstorten organisierten Satelliten gehen da erheblich weiter, weshalb ein Rundgang zu den Orten in dieser Woche sehr zu empfehlen ist.
In der Galerie Kleindienst ist Kerstin Flakes Fotoserie »Shaking Surfaces« zu sehen. Sie stellt in bewährter Art und Weise die Realität und Alltagsgegenstände auf den Kopf. Was ist eigentlich ein Foto? Was zeigt es uns und was wollen wir davon glauben?
Wenige Meter vor dem Spinnereigelände in der Karl-Heine-Straße 108 stellt das Kollektiv Unofficial Picture seine zwei Magazinausgaben »Gefährlicher Gegenstand: Eisenbahnstraße« vor. Sie gehen den Fragen nach: Wie entstehen Bilder eines Ortes und welche Bedeutung durch welche Darstellungsweisen entwickeln sich daraus?
Blubbergeräusche auf Screens, farbige Essenzen in Plastikbehältern, riesige Papierknäuel, unzählige Fotomotive an der Wand: Katarina Dubovska im Kunstraum D21 schafft einen ganz anderen Zugang zur Fotografie, in dem sie die digitale Bildsuche und -produktion aufschlüsselt. Dass das Vertrauen, in das, was zu sehen ist, immer mit Fragen zu Artefakten der Wahrnehmung, Technik und Gesellschaft verbunden werden muss, präsentiert Dubovska recht einleuchtend.
»'MERICA« lautet der Titel der Fotoinstallation und und eines Fotoessays in Zeitungsformat von Walther Le Kon im Kunstraum NygWest. Er stellt darin seine Reise zu Freunden in die USA und zahlreiche Begegnungen vor.
[caption id="attachment_126794" align="alignright" width="320"] Installationsansicht ODP-Galerie; Foto: Britt Schlehahn[/caption]
Online präsentiert der Kunstraum Barthel die Arbeiten von Jan Mamme und Falk Messerschmidt. Sie zeigen in Schwarz-Weiß unter dem Titel »Les statues meurent aussi« Spuren der französischen Kolonialgeschichte – wie die Überreste des Reliefs »Zum Ruhm der kolonialen Expansion« der Kolonialausstellung von 1907.
Eine andere künstlerische Dokumentation ist in der ODP-Galerie zu sehen. Sophia Kesting und Dana Lorenz untersuchen seit fast zehn Jahren den Wilhelm-Leuschner-Platz (siehe kreuzer 7/ 2021) und führen nun eine Auswahl ihrer Fotografien in einer Zwei-Kanal-Projektion zusammen.