Die sächsische Landeszentrale für politische Bildung und die Leipziger Volkszeitung luden am Montag zum Wahlforum ein. Dabei stellten sich die Direktkandidierenden des Wahlkreises Leipzig-Nord vor – und einander ruhig.
Es fängt gleich gut an: Ein Mann aus der ersten Reihe empört sich, dass nicht alle 16 Direktkandidierenden eingeladen wurden. Die hier anwesenden hätten eh sichere Chancen auf den Bundestag durch die Landeslisten. Nina Treu (Die Linke) entgegnet: Sie und Marie Müser (Grüne) hätten keineswegs sichere Listenplätze.
Das erste Thema ist das Klima. Das spielt AfD-Mann Christoph Neumann nicht gerade in die Karten, leugnet er doch den menschengemachten Klimawandel. Für die Frage, wie es die anderen Kandidierenden schaffen wollen, Vulkanausbrüche zu verhindern, erntet er ein paar Lacher. Was er vielleicht nicht merkt: Sie gelten ihm persönlich. Auch CDU-Kandidat und Mandatsinhaber Jens Lehmann sorgt für Vergnügen in der Runde, als er sagt, er könne nichts Kritikwürdiges an der Klimapolitik der Regierung in den vergangenen 16 Jahren erkennen. Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich auch lachen, denkt sich vermutlich Marie Müser, die daraufhin einwirft, dass das Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz als unzureichend und in Teilen nicht mit den Grundrechten vereinbar verurteilte.
Bei der Frage, wie sie persönlich das Klima schützen, übertrumpfen sich die Herren der Runde (SPD, CDU, FDP, AfD), indem sie mutmaßen, wer in seinem Leben bisher mehr Bäume gepflanzt hat – während Nina Treu aussieht, als würde sie gleich losschreien wollen. Statt einer konstruktiven Diskussion, wie wir die Klimakrise denn nun am besten bewältigen können, löst sich das Gespräch nicht von den üblichen Vorwürfen (der eine verbiete zu viel, der andere bremse, man müsse die Menschen auch mitnehmen). Es dominieren Klarstellungen – »So hab ich das aber nicht gemeint« –, als Zuhörerin beschleicht einen langsam der Gedanke, ob sich die Kandidierenden eigentlich absichtlich missverstehen.
Dafür setzt sich die Diskussion zwischen zwei Männern in der letzten Reihe fort, ein älterer und ein jüngerer (Stichwort Generationenkonflikt), die scheinbar zufällig auf den Plätzen nebeneinander gelandet sind. Der Ältere redet sich in Rage, während der Jüngere schon die Blicke auf sich spürt und nur noch leise zurückzischt. Der Ältere wirft ihm noch ein paar Wörter an den Kopf, dann verlässt er die Veranstaltung. Auch der Rest des Publikums befindet sich bereits jetzt zwischen beherztem Klatschen, ungeduldigen Wortmeldungen, Kopfschütteln und Haareraufen.
Beim zweiten Thema des Abends – Gesundheit, Arbeit und Soziales – geht es eigentlich nur um Corona. Während die Kandidierenden erläutern, ob die Pandemiepolitik der Regierung gelungen oder eben gescheitert ist, sitzen vor ihnen im geschlossenen Saal etwa 90 Menschen, etwa ein Drittel trägt eine Maske. Ob sie geimpft, getestet oder genesen sind, hat sie niemand gefragt. Einmal wird AfD-Neumann von Moderator Björn Meine zurechtgewiesen: Es sei »leider« nicht wissenschaftlich bewiesen, dass langes Maskentragen schädlich für das Gehirn ist, weil man die ausgeatmete Luft wieder einatmet. Moderatorin Lydia Haferkorn kippt inzwischen hastig ihr Wasserglas herunter.
Am Ende jeder Themenrunde dürfen die Zuschauerinnen und Zuschauer Fragen ans Podium stellen. Dabei scheinen manche Kandidierende zu vergessen, dass sie gerade mit potenziellen Wählerinnen und Wählern sprechen und nicht mehr mit ihren Konkurrentinnen. Eine junge Frau will wissen, wie Lehmann, Neumann und Holger Mann (SPD) mit ihren anderen politischen Mandaten umgehen würden, falls sie gewählt werden sollten, und verpasst Lehmann dabei gleich noch einen Seitenhieb: Sie habe den Eindruck, der Stadtrat würde bei ihm an zweiter Stelle stehen. Das reicht, um diesen aus der Fassung und in den Verteidigungsmodus zu bringen: »Ich weiß ja nicht, ob Sie es mitbekommen haben, aber es war Pandemie.« Er berichtet von seinem Alltag mit den digitalen Sitzungen und zeichnet dabei ein bizarres Bild: Lehmann im Homeoffice, auf der einen Hälfte des Computerbildschirms Angela Merkel, Bundestag, auf der anderen Bürgermeister Heiko Rosenthal, Leipziger Sportausschuss.
Nach zwei Stunden ist Schluss, die Zeit reicht nicht mehr für das dritte Thema, und das ist vielleicht auch gut so, denn so manche Zuschauerin sieht aus wie nach einem verlorenen WM-Finale: den Kopf in den Händen verborgen, die Ellenbogen auf die Knie gestützt. »Das hätten wir uns ja auch sparen können«, sagt ein Mann zu seiner Frau, als sie danach an der Haltestelle auf ihren Bus warten.