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Politik

Prekäre Daueraufgabe

  Prekäre Daueraufgabe |

Jährlich geben Bund und Länder Millionen aus, um Projekte zu fördern, die sich der Vermittlung jüdischer Geschichte, Religion und Kultur oder der Bekämpfung von Antisemitismus widmen. Tiefgreifende gesellschaftliche Aufgaben können damit kaum bewältigt werden. Initiativen und Wissenschaftlerinnen fordern eine Dauerfinanzierung.

Mit einem Festjahr zu 1.700 Jahren jüdisches Leben in Deutschland wurden bundesweite Förderprogramme ins Leben gerufen. Rund 22 Millionen Euro stellte allein das Bundesinnenministerium von Horst Seehofer (CSU) zur Verfügung. Vom Land Sachsen wurden im Rahmen des Förderprogramms Weltoffenes Sachsen zusätzlich zwei Millionen Euro aufgebracht. Im Mai dieses Jahres wurde in Sachsen noch einmal eine Zusatzförderung auf den Weg gebracht.

Sichtlich zufrieden erklärt der Beauftragte der Sächsischen Staatsregierung für das Jüdische Leben Thomas Feist (CDU): »Ich sehe es als eine große Leistung an, dass es gelungen ist, angesichts der angespannten Haushaltslage diese zusätzlichen Mittel erhalten zu können. Dafür habe ich von verschiedenen Seiten große Unterstützung erfahren.« Ähnlich klingt es auch aus dem Sächsischen Sozialministerium von Petra Köpping (SPD): »Die große Resonanz zeigt, dass die sächsische Zivilgesellschaft die demokratische Kultur im Freistaat Sachsen aktiv und engagiert mitgestalten möchte und darüber hinaus auch flexibel und ideenreich ist.«

Insgesamt sollen sich Angaben des Sächsischen Sozialministeriums zufolge 45 Projekte um eine neuerliche Förderung beworben haben, davon seien 26 bewilligt worden. Unter diesen Projekten war auch ein Antrag des Leipziger Vereins Netzwerk Jüdisches Leben. Eigentlich hatte der Verein zu Chanukka eine Veranstaltung geplant. Er wollte damit vor allem ehemalige Gemeindemitglieder aus der DDR wieder einmal zu einer gemeinsamen Feier mit heutigen Akteuren zusammenbringen, erklärt die Vereinsvorständin und Verlegerin Nora Pester im Gespräch mit dem kreuzer.

Doch daraus wird erst mal nichts. Der Verein hat seinen Förderantrag zurückgezogen, weil die bürokratischen Hürden zu hoch seien. Laut Pester sei die Ausschreibung erst am 10. Mai beim Verein eingegangen, die Bewerbungsfrist endete bereits am 31. Mai. Außerdem seien die Abrechnungsmodalitäten viel zu aufwendig. »Allein die Eingangsbestätigung umfasst sechs Seiten«, erklärt Pester. »Bei kleinen Anträgen lohnt sich der Aufwand für ehrenamtliche Vereine einfach nicht«, kritisiert sie.

In einem Brief an die Landesregierung und die Sächsische Aufbaubank, der dem kreuzer vorliegt, fordert der Verein darum eine Entbürokratisierung der Förderstrukturen. »Es ist bedauerlich, wenn wir und andere Akteure keine zielgenaue und unbürokratische Unterstützung erfahren, insbesondere angesichts aktueller globaler Herausforderungen und im Sinne unserer demokratischen Zukunftsfähigkeit«, bemängelt der Verein in seinem Brief. »Solche Förderprogramme sind Ausdruck politischen Gestaltungswillens. Unsere Projekte werden durch die bestehenden Förderstrukturen aber eher behindert«, heißt es drastisch. »Eine langfristige Planung ist so nahezu unmöglich«, erklärt Pester zudem.

Die Kritik kann das Sozialministerium Sachsen nur bedingt nachvollziehen: »Gerade im Rahmen dieses Aufrufs ist es uns gelungen, einen einfachen verkürzten Antrag zu verwenden«, reagiert es in einer Stellungnahme auf die Kritik. Auch Politiker Feist kann die Einwände nicht nachvollziehen: »Ich kenne kein Förderprogramm, das ohne ein bestimmtes Maß an Bürokratie auskommt – das liegt in der Natur der Sache, wenn öffentliche Gelder ausgegeben werden«, erklärt er.

Die Kritik, dass eine langfristige Planung unmöglich sei, weist er auch zurück: »Projektförderung ist immer eine auf Zeit angelegte Förderung.« Eine langfristig angelegte Finanzierung würde dagegen »neue, innovative Ansätze eher erschweren, da eine institutionelle Förderung auch nur einem ausgewählten Kreis der Zuwendungsempfänger zugutekommt und dauerhaft andere ausschließen würde«, erklärt er.

Das bewertet Pester vom Verein Netzwerk Jüdisches Leben anders: Die aus ihrer Sicht viel zu kurzfristige und unverhältnismäßig aufwendige Förderstruktur »untergräbt Innovation und zieht Energie, das kritisiere ich als Unternehmerin und auch aus Perspektive unseres Vereins«, sagt Pester.

Dem schließt sich auch Christian Kleindienst an. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Leipzig, einer bundesweit ehrenamtlich tätigen Organisation, die sich unter anderem auf die Bekämpfung von Antisemitismus konzentriert. Aus seiner Sicht »sind Projektmittel überhaupt nicht geeignet, um Daueraufgaben wie die Arbeit gegen Antisemitismus zu bewältigen. Das überfordert nicht nur ehrenamtliche Strukturen, sondern schafft prekäre Verhältnisse, in denen Teams immer wieder neu eingearbeitet werden müssen«, bemängelt er.

Die Antisemitismusforscherin Dana Ionescu erklärt dazu: »Die meisten Menschen halten sich selbst nicht für antisemitisch und reagieren mit Abwehr und Verharmlosung, wenn sie für antisemitische Äußerungen oder Taten kritisiert werden. Daher ist es wichtig, eigene Gefühls- und Denkmuster zu hinterfragen. Das ist eine Herausforderung für die politische Bildung und eine gesellschaftliche Daueraufgabe.« Diese Aufgabe sei auf dauerhafte Finanzierung, fachlich qualifiziertes Personal und Kontinuität geradezu angewiesen.

Nur langsam tut sich hier etwas in Sachsen. So wurde vor einem Jahr das Else-Frenkel-Brunswik-Institut in Leipzig gegründet, das auch aus Landesmitteln finanziert wird und einen Schwerpunkt auf die Erforschung von Antisemitismus legt. »Antisemitische Narrative und Vorurteile sind sehr weit verbreitet. Sie gehen durch alle Bevölkerungsschichten hindurch und werden auch über Stadt und Land oder andere Differenzen hinweg geteilt«, erklärt der Soziologe und stellvertretende Direktor des Instituts Johannes Kiess auf Anfrage.

Um dieses Problem in seiner gesellschaftlichen Tragweite anzugehen, wurde im Juli dieses Jahres zudem eine Meldestelle für antisemitische Vorfälle in Sachsen ausgeschrieben. Sie soll in den nächsten Monaten ihre Arbeit aufnehmen. Eigentlich hätte das schon Anfang des Jahres passieren sollen. Die Verzögerung sei durch Prestigegründe zustande gekommen, heißt es aus internen Kreisen. Es habe Standortstreitigkeiten zwischen Dresden und Leipzig gegeben.

Doch bei aller Kritik an der gegenwärtigen Förderstruktur erfährt sie durchaus auch Zuspruch. Sowohl die Höhe der Fördersummen als auch, dass über das Programm Weltoffenes Sachsen weitere Projekte gefördert werden, halten die Initiativen für wichtig. »In Sachsen wurde jahrelang auch von politischer Seite der Rechtsradikalismus geleugnet, wir stehen hier vor einer riesigen Aufgabe«, unterstreicht Kleindienst. Dass mittlerweile auch das Thema Antiziganismus in den Blick genommen wird, sei ein wichtiger Schritt, findet er.

Verlegerin Pester teilt diese Einschätzung, warnt allerdings, dass »inhaltlich nicht alles in einen Topf gehört«. »Ich will keine Priorisierung vornehmen«, sagt sie, »aber es ist hochproblematisch, dass jüdisches Leben von vielen immer noch unter Integration gefasst wird.« Das zeige, dass es nach wie vor in erster Linie als Problem wahrgenommen werde. Durch die unmittelbare Verknüpfung mit Antisemitismus, auch in der Förderlandschaft, sei es stets belastet, bedauert Pester.

Die Frage danach, ob und inwiefern die Förderung von jüdischem Leben in Deutschland auch unabhängig vom Kampf gegen Antisemitismus verstärkt werden soll, bewertet Feist anders: »Meine Rückmeldungen aus den Gemeinden sagen mir, dass jüdisches Leben in Sachsen immer auch im Kontext antisemitischer Bedrohungen gesehen werden muss – leider ist das eine Tatsache.«

Seine Einschätzung scheint sich durch die Notwendigkeit erhöhter Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von Jüdinnen und Juden und von jüdischen Einrichtungen in Deutschland zu bestätigen. Das unterstreicht aber eher Pesters Forderung, die Förderung von jüdischem Leben sowie von Projekten gegen Antisemitismus zu erleichtern und die finanziellen Mittel auf lange Sicht zu verstetigen. Sonst dürfte es schwer werden, etwas daran zu ändern, dass der Diskurs über Jüdinnen und Juden maßgeblich von weit verbreiteten antisemitischen Gefühlen und Denkweisen geprägt wird.

Dieser Text erschien zuerst in der Oktober-Ausgabe des kreuzer 10/21.


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