anzeige
anzeige
Kultur

Getippte Welten

Das Lindenau-Museum Altenburg präsentiert das künstlerische Universum von Ruth Wolf-Rehfeldt

  Getippte Welten | Das Lindenau-Museum Altenburg präsentiert das künstlerische Universum von Ruth Wolf-Rehfeldt

Der 23. Gerhard-Altenbourg-Preis ging 2021 an die Berliner Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt, die als Reaktion auf die Wiedervereinigung 1990 ihre letzten Werke vollendete. Noch bis zum 14. November werden diese in einer dazugehörigen Ausstellung gezeigt.

»Künstler lebt ihr im eigenen Land, bleibt am besten unbekannt!« So lautet eine Mail Art-Arbeit, also Kunst per Post, von Robert Rehfeldt. Sie entstand um 1978 und war vor zwei Jahren im Museum der bildenden Künste in der Ausstellung »Point of No Return. Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst« zu sehen. Nicht im Bildermuseum zu sehen war Rehfeldts Ehefrau Ruth Wolf-Rehfeldt, auf die der Spruch sehr gut passt. Sie hätte mit ihren auf der Schreibmaschine entstandenen grafischen Blättern und Gedichten oder Collagen einen wichtigen Akzent in der mit Leinwänden voll gehangenen Schau gesetzt.

1932 in Wurzen geboren und als Industriekauffrau ausgebildet, kehrt Ruth Wolf 1950 ihrer Heimatstadt den Rücken zu und geht erst nach Kleinmachnow, dann nach Berlin. Sie studiert an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät, beginnt ein Philosophiestudium und lernt Robert Rehfeldt kennen. Ab 1960 arbeitet sie im Bereich Ausstellungswesen bei der Akademie der Künste. Es entstehen Gedichte und Gemälde. Sie ist Mitglied im Berliner Künstlerkreis um Lothar Böhme, Wolfgang Leber und Harald Metzkes, der sich im Kreiskulturhaus Pankow trifft. Ihre erste Ausstellung findet 1965 im Lyrikclub Pankow statt. Gemeinsam mit ihrem Mann besucht sie die Krakauer Grafik-Biennalen und arbeitet seit 1971 als freischaffende Künstlerin. Ein Jahr später entstehen ihre ersten Schreibmaschinengrafiken – sogenannte Typewritings. Die Schreibmaschine als form- und nicht nur inhaltsgebende Maschine ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Die technische Entwicklung von mechanischen und elektrischen Schreibmaschinen bildet sich auch im Kunstfeld ab. Kunstschaffende wie Carlfriedrich Claus entwickeln daraus Sprachblätter. Jiří Kolàř, den Wolf-Rehfeldt 1967 kennenlernt, gestaltet daraus bildnerische Porträts.

In Berlin ist sie mit ihrem Mann im Umkreis der Galerie Arkade aktiv. Klaus Werner, der spätere Gründungsdirektor der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst, leitet sie bis zu seinem Rauswurf 1981. Obwohl Wolf-Rehfeldt seit 1978 Mitglied im DDR-Künstlerbund ist, finden sich ihre Werke nicht auf der alle vier Jahre stattfindenden DDR-Kunstausstellung. Dafür stellt sie im Westfälischen Kunstverein Münster oder an Orten aus, die getrost als DDR-Provinz bezeichnet werden können – etwa Zittau oder Wurzen. Auch das Lindenau-Museum zeigt Arbeiten von ihr – im Rahmen der ersten Mail Art-Ausstellung 1982 in einer offiziellen DDR-Kunstinstitution.

Ausstellungsansicht von Type Writings
Kunst aus der Schreibmaschine: Ausstellungsansicht ausgewählter Typewritings

 

Ihr künstlerisches Schaffen von 1968 bis 1990 kann nun im Altenburger Prinzenpalais betrachtet werden. Die ausgestellten Werke zeigen die Kontinuitäten in ihrer künstlerischen Produktion – wie etwa die Kompositionen ihrer frühen kleinformatigen Gemälde, die dann später in ihren Collagen und Schreibmaschinengrafiken wieder auftauchen. Sie beginnt 1972 mit dem Gestalten von Blättern auf der Schreibmaschine. Am Anfang stehen einfache Kompositionen aus Wortspielen, die sich zu komplexen Wort-Form-Einheiten entwickeln, bis zu auseinanderfallenden Kompositionen am Ende der 1980er-Jahre. Hier wie auch in den Collagen, die als Zinkografien vervielfältigt werden, stehen als Themen und Motive Machtverhältnisse, Umweltzerstörung und Wettrüsten im Vordergrund.

Mail Art-Objekte, die das Ehepaar Wolf-Rehfeldt selbst zugeschickt bekamen, verdeutlichen, welche Rolle sie in der DDR spielten. Sie bildeten den Knotenpunkt in der Mail Art-Bewegung, erstellten ein umfangreiches Archiv. Der damals in Leipzig beheimatete Künstler Frieder Heinze hält auf einer Karte fest: »Ihr seid ein Teil unserer Hoffnung.«

Von Hoffnung ist in den Arbeiten Wolf-Rehfeldts nach 1989 nichts zu sehen. Stattdessen beschließt sie 1990, ihre künstlerische Produktion einzustellen. Die druckgrafischen Blätter »Destruction 1« und »Destruction 2« sowie »Sprengung 1« und »Sprengung 2« zeigen zerrissene Schreibmaschinengrafiken auf schwarzem Hintergrund. Die Hoffnung auf Neuerungen, die im Zuge des Herbstes 1989 entstanden, ist da schon in den Hintergrund getreten.

Zu ihrem 80. Geburtstag stellt das Weserburg Museum für moderne Kunst in Bremen einige ihrer Werke aus. 2017 nimmt Wolf-Rehfeldt an der documenta 14 teil, einer der weltweit bedeutendsten Reihe von Ausstellungen für zeitgenössische Kunst.

Altenburg bietet bis zum 14. November die Chance, die Arbeiten in ihrer Gänze zu betrachten. Wer es nicht nach Thüringen schafft, der kann sich im Katalog (124 S., 24 Euro) das Werk erblättern. Sowohl vor Ort als auch im Buch sind Neuentdeckungen garantiert, die zur Frage führen könnten: Warum eigentlich stehen meist nur Willi Sitte, Bernhard Heisig und Werner Tübke für Kunst in der DDR?

Titelbild: Ruth Wolf-Rehfeldt mit Clemente Padin, "O.T.", 1987, Foto ChertLüdde Berlin

»Gerhard-Altenbourg.Preis 2021: Ruth Wolf-Rehfeldt«, bis 14.11. Di-So 12-17 Uhr, Prinzenpalais des Residenzschlosses Altenburg

BRITT SCHLEHAHN


Kommentieren


0 Kommentar(e)