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Stadtleben

Scherbenhaufen

Politiker reagieren auf Moschee-Angriff

  Scherbenhaufen | Politiker reagieren auf Moschee-Angriff

Mutmaßlich linke Demonstrierende warfen am Montagabend die Scheiben einer DITIB-Moschee im Leipziger Osten ein. Vertreter der Szenen reagieren mit Unverständnis, Betroffene werfen ihnen fehlende Distanzierung vor.

Linke Demonstrierende hatten den 13. Dezember, der in der Szene stellvertretend für das Kürzel ACAB (»All Cops are Bastards«) steht, traditionell zum Anlass genommen, um gegen Polizeigewalt auf die Straße zu gehen. Die Beteiligten der Spontandemo, die zunächst über die Eisenbahnstraße zogen, zündeten Pyrotechnik, warfen Flaschen auf parkende Autos und setzten mehrere Mülltonnen in Brand. Die Polizei Leipzig sprach in einer Pressemeldung von 60 bis 80 Teilnehmenden, die Leipziger Internetzeitung, die vor Ort livetickerte, sprach hingegen von deutlich über 100 Demonstrierenden. Gegen 20 Uhr kam es zum Angriff auf die Eyüp Sultan Moschee auf der Hermann-Liebmann-Straße. Die Moschee gehört zum Verband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB). Mehrere Scheiben wurden von Beteiligten der Demo eingeschmissen, die Polizei nahm im Anschluss zwölf Tatverdächtigte im Alter von 14 bis 31 Jahren fest und ermittelt nun wegen eines besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs.

In einer Pressemitteilung erklärte Irena Rudolph-Kokot, Co-Vorsitzende der Leipziger SPD: »Kritik am türkischen Staat oder der DITIB ist legitim, auch ich sehe das Regime Erdoğan sehr kritisch – was aber gar nicht geht, ist eine Moschee anzugreifen.« Abgesehen von der juristischen Betrachtung sei es extrem unreflektiert, eine von vielen Muslimen mangels Auswahl besuchte Religionsstätte anzugreifen – gerade in Sachsen. »Ich finde es vermessen, dass eine weitestgehend linke und weiße Demonstration in einem stark migrantisch geprägten Viertel abgehalten wird«, äußert sich Rudoplh-Kokot am Telefon, »wenn man sich als linker Mensch für Geflüchtete engagiert, muss man auch mal fünf Minuten darüber nachdenken, welche Szenen und Flashbacks durch so eine Aktion produziert werden können.« Zudem sorgten fehlende Berührungspunkte für eine mangelhafte Sensibilisierung: »Waren die Beteiligten denn überhaupt schon mal in einer Moschee, haben sich mit Mitgliedern der Gemeinde unterhalten oder Angebote der Religionsausübung reflektiert?«, sagt Rudolph-Kokot und ergänzt, dass die betroffene Moschee nicht nur Anlaufpunkt für die türkische Community sei, sondern auch für viele Geflüchtete, die in dem Viertel leben. Um zukünftig für bessere Kommunikation zu sorgen, wolle die SPD an ihrem Verständigungsformat mit den Leipziger Religionsgemeinschaften anknüpfen. »Dieser Dialog muss stattfinden und bietet dann auch ein Format, in dem Kritik aufgegriffen werden kann«, sagt Rudolph-Kokot. Neben Gesprächen auf der persönlichen Ebene müssten auch politische Akteure in Kontakt treten, auch Vertreter der DITIB-Gemeinde müssten daran beteiligt werden.

Abdurrahman Atasoy, Generalsekretär im Bundesverband von DITIB verurteilte in einer Pressemeldung den Angriff: »Jeder Moscheeübergriff ist einer zu viel.« In den vergangenen fünf Jahren hätte es acht Übergriffe auf die Eyüp Sultan Moschee gegeben, erklärt deren Vorsitzender Ömer Mumcu. Ermittlungen seien jedes Mal eingestellt worden. »Darüber hinaus ist dies jedoch nicht nur ein bedauerlicher Moscheeübergriff, sondern viel mehr eine verängstigende, verstörende Erfahrung – nicht nur für die Moscheegemeinde, sondern auch für die Hausbewohner, Nachbarschaft und Stadtgesellschaft«, ergänzt Mumcu.

Auch Juliane Nagel, sächsische Landtagsabgeordnete der Linken, betonte gegenüber der LVZ, dass die Attacke völlig daneben sei. Gleichzeitig kritisierte sie DITIB: »Man muss sich nichts vormachen: Die Imame dort sind türkische Beamte, sie bekommen ihre Predigten aus Istanbul geschickt.«

In der Vergangenheit stand DITIB immer wieder in der Kritik, weil Mitglieder der Vereinigung sich rassistisch, antisemitisch und geschichtsrevisionistisch äußerten. Laut einer Studie der Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen ist die Vereinigung zudem »institutionell von der türkischen Religionsbehörde und damit dem türkischen Staat abhängig«. Im Rahmen der Studie wurden Äußerungen von niedersächsischen DITIB-Funktionären in sozialen Netzwerken ausgewertet. Die Wissenschaftler der Universität Göttingen resümieren, dass die stichprobenartige Betrachtung zeige, dass türkisch-rechtsextreme und antisemitische Ansichten im Verband kein singuläres Phänomen seien und sich auch nicht auf den Landesverband Niedersachsen und Bremen beschränken ließen. Allerdings könne die Untersuchung, aufgrund fehlender Universalisierbarkeit, kein repräsentatives Urteil liefern und auch nicht auf strukturelle Missstände hinweisen.

Tendenzielle »Hintergrundinfos« über den DITIB-Verband könnten als unzulässige Erklärungs- und Rechtfertigungsversuche gedeutet werden, die einer Feind-Markierung gleichkämen, heißt es von DITIB-Generalsekretär Atasoy in der PM. »Denn mit Worten beginnt, was sich in abscheulichen Übergriffen Bahn bricht«. Damit stellt er einen direkten Zusammenhang zwischen geäußerter Kritik und dem Angriff am Montagabend her: »Insbesondere sächsische Landtagsabgeordnete, die die Übergriffe mit einem Recht auf Kritik zu relativieren versuchen, gießen Öl ins Feuer der Radikalen und streuen Salz auf die Wunden einer friedlichen, unbescholtenen Moscheegemeinde. Diese populistische Debattenkultur torpediert bewusst den Diskurs um Gewalt, um aus den Tätern Verfechter eines Rechtsstaates zu machen.«

»Ich finde nicht, dass die Tat relativiert wird«, reagiert Rudolph-Kokot auf die Vorwürfe von DITIB. »Ich persönlich habe mich klar gegen den Angriff positioniert und gleichzeitig muss es legitim bleiben, den türkischen Staat – und DITIB ist ein Teil davon – zu kritisieren.« Ohnehin tue sich Rudolph-Kokot schwer, im Angriff eine politische Botschaft zu erkennen: »Die Intention ist nicht nachvollziehbar und in dem Moment Ergebnis fehlender Reflektion.«

Auch unter Leipziger Linken entzündete sich eine Debatte, die sich auf Twitter Bahnen brach. User kritisierten die Spontandemo, die lediglich darauf aus gewesen wäre, für Verwüstung und Chaos zu sorgen. Ohnehin sei es unverantwortlich, in einer Zeit, in der landesweite Veranstaltungen gegen Corona-Maßnahmen Kritik entfachen, eine derartige Demonstration durchzuführen. Zudem brauche es in der Szene eine Auseinandersetzung mit antiislamischem Rassismus, die Homogenität innerhalb der Linken sorge dafür, dass sich mit diesem Thema nicht differenziert auseinandergesetzt werde.

LEON HEYDE


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1 Kommentar(e)

Flo 17.12.2021 | um 07:13 Uhr

Vielen Dank für diese rücksichtsvolle Berichtserstattung, die besonders in den Blick nimmt, dass die Mitglieder der angegriffenen Moschee beinahe noch dazu gedrängt werden, sich zu rechtfertigen oder die (erneute) Attacke hinzunehmen haben, weil Erdogan und so. Der DITIB steht seit Jahren in der Kritik, aber deshalb ist nicht jede Moschee (dieses Verbands) ein Versteck von aggressiven Schläfern, "nur" weil es in Bremen ein paar Durchgedrehte gibt. Es gibt übrigens den "Tag der offenen Moscheen", wohl immer am 3.10. Auch die betroffebe Moschee an der Eisenbahnstraße war offen.