anzeige
anzeige
Politik

Wir sind nicht alle Migranten

Falsche Botschaft und Symbolpolitik: Banner der Stadt zum Tag der Migration

  Wir sind nicht alle Migranten | Falsche Botschaft und Symbolpolitik: Banner der Stadt zum Tag der Migration

Zum Internationalen Tag der Migrantinnen und Migranten spannt die Stadt Leipzig ein Banner. Das ist schädliche Symbolpolitik, schreibt unsere Social-Media-Redakteurin Sibel Schick.

Morgen ist der Internationale Tag der Migrantinnen und Migranten, seit 20 Jahren. Diesen runden Geburtstag nimmt die Stadt Leipzig als Anlass, um ein Banner am Rathaus mit der Beschriftung »Wir sind alle Migranten« zu spannen. Das soll dazu beitragen, dass die Existenz von bestimmten Menschen normalisiert wird. Ein Banner soll das schaffen. Nein, das ist kein Satire-Sketch, das meint die Stadt ernst.

Dabei stimmt der ausgewählte Ausdruck nicht einmal. Wir sind nicht alle Migranten. Bei der Diskriminierung, der migrantische oder migrantisierte Menschen ausgesetzt werden, geht es auch nicht darum, dass sie immigriert sind. Es geht um Rassismus. Und Rassismus erleben nicht nur migrantische Menschen, sondern auch ein Teil der Deutschen, die keine Migrationserfahrung haben. Gleichzeitig gibt es aber auch migrantische Personen, die keinerlei Rassismus ausgesetzt werden. Die Sache ist also komplex, verflachte »Lösungen« wie ein Süßwasser-Spruch auf einem Banner sind kontraproduktiv und schaden denjenigen, die angeblich geschützt werden sollen. So wie es bei jeder Symbolpolitik, die greifbare und wirkungsvolle Schutz- und Präventionsmaßnahmen ersetzt, auch der Fall ist.

Bei dem Tag handelt es sich um den Beschluss einer Konvention, die die Rechte von sogenannten Arbeitsmigranten schützen soll: Die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, ist der genaue Wortlaut. Da wird klar, dass es eben nicht um alle Migranten gehen soll, sondern nur um jene, die der Wirtschaft dienen beziehungsweise zum Wohlstand beitragen. Es wird sich des Narratives bedient, dass Menschen nur so viel wert seien, wie sie wirtschaftlich beitragen können. Die Menschenwürde braucht allerdings keine besonderen Eigenschaften, um geschützt zu werden. Die einzige Eigenschaft für dieses Recht ist das Menschsein.

Laut einer Langzeitauswertung der Amadeu Antonio Stiftung mit dem Titel »Leben in Gefahr – Gewalt gegen Geflüchtete in Deutschland« zählt Sachsen zu den Orten, in denen geflüchtete Menschen in Betracht auf die Einwohnerzahl überdurchschnittlich häufig angegriffen werden. Außerdem geht aus den Zahlen des Sächsischen Innenministeriums hervor, dass die meisten rechtsmotivierten Straftaten in Sachsen prozentual im Landkreis Leipzig ausgeübt werden. In dem Bericht der Amadeu Antonio Stiftung wird unter anderem die mangelhafte Erfassung rassistischer Straftaten seitens der Polizei und Behörden problematisiert. Wenn die wahre Dimension eines Problems unsichtbar gemacht wird, kann das Problem natürlich auch leichter unter den Teppich gekehrt werden. Und dann spannt man ein Banner mit einem Spruch einmal im Jahr und zack – Problem gelöst.

Die Menschlichkeit erfriert und ertrinkt an den Grenzen Europas. Eine legale und sichere Migration wird für viele Menschen, die von Hunger betroffen sind oder von Verfolgung und Krieg flüchten, unmöglich gemacht, Migration wird unter Umständen kriminalisiert und diese »kriminelle Aktivität«, was für viele Betroffene eine bloße Existenz bedeutet, instrumentalisiert, um Menschen erneut dem sicheren Tod auszuliefern. Wir sind nicht alle Migranten. Und nicht alle Migranten machen dieselben Erfahrungen.

Eine migrantische Person, die weiß ist und aus einem überwiegend von weißen Menschen bewohnten Land wie Kanada, Australien oder aus einem beliebigen EU-Land kommt, erlebt keinen Rassismus, sondern höchstens Vorurteile. Sie ist nicht permanent der Gefahr ausgesetzt, beim Beten in die Luft gesprengt, beim Kaffee trinken erschossen oder in einer Polizeizelle angefesselt verbrannt zu werden. Und all diese Dinge passieren nicht zwingend migrantischen Personen, sondern jenen, die aus dem Weißsein und so auch aus dem Menschsein ausgeschlossen werden. Die Migration ist für Rassismus irrelevant, sie ist nicht dessen Voraussetzung. Ob eine Person im Laufe ihres Lebens von A nach B immigriert ist, ist irrelevant. Relevant sind rassistische Handlungen und Strukturen der Mehrheitsgesellschaft. Und ihr ist herzlich egal, ob ihre Vorfahren vor Hunderttausend Jahren vielleicht mal wo anders gelebt hätten.

SIBEL SCHICK

FOTO: SOPHIE GOLDAU


Kommentieren


2 Kommentar(e)

Nuria Silvestre 18.12.2021 | um 03:58 Uhr

Der internationaler Tag gegen Rassismus findet Jährlich am 21. März statt. Sollen Migrant*innen an ihren Tag keine Anerkennung und Unterstützung bekommen? Die Thematik ist sehr komplex, dazu Humanium: "Indem wir den Internationalen Tag der Migranten feiern, können wir uns Zeit nehmen, um über die Bedeutung, die Auswirkungen und die gelebten Realitäten der Migration nachzudenken und sie als Ausgangspunkt für wirksame Maßnahmen zu nutzen." https://www.humanium.org/de/wir-sind-alle-migranten-der-weg-zur-freizuegigkeit-der-menschen/

Bea 18.12.2021 | um 05:57 Uhr

Danke für die knackige und wichtige Einordnung!