Am Freitag tritt die neue Corona-Schutz-Verordnung mit einigen Änderungen in Kraft. Was bleibt, ist die Kritik an den Einschnitten im Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.
Zur auslaufenden Corona-Schutz-Verordnung meldete sich bereits Ende Dezember Hagen Husgen, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), zu Wort: »Angesichts der sich Woche für Woche wiederholenden und ausweitenden Versammlungslagen und der sich daraus ergebenden Polizeieinsätze lässt uns das Gefühl nicht los, dass die Polizei als Ersatz des politischen Meinungsstreits missbraucht wird. Gesellschaftliche Probleme lassen sich aber grundsätzlich nicht mit polizeilichen Mitteln lösen«, konstatierte er in einer Pressemitteilung.
Husgen entfachte damit eine breitere Debatte rund um das Versammlungsrecht. Innenminister Roland Wöller (CDU) befürwortete dahingehend eine Anhebung auf eine neue Höchstgrenze von 1.000 Personen. Die AfD hatte daraufhin eine Sondersitzung des Landtags anberaumen lassen, um die Einschränkungen komplett aufzuheben. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit werde »weitestgehend bis zur Unkenntlichkeit eingeschränkt«. Die Fraktion blitzte mit Ihrer Forderung vergangenen Mittwoch im Sächsischen Landtag ab.
Bundesweit wurde das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit mittels Corona-Schutz-Verordnung nirgends so sehr beschnitten wie in Sachsen. Das Sozialministerium teilte dazu auf kreuzer-Anfrage mit, dass man bei der Regelung zwischen dem Grundrecht auf Schutz der körperlichen Unversehrtheit und dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit abwägen musste. Weil Sachsen bundesweit lange die höchste Inzidenz aufwies und das Gesundheitswesen, insbesondere in Hinblick auf die Bettenkapazität in den Intensivstationen durch Covid-Patienten, überlastet ist, habe man sich für »strengere Schutzmaßnahmen« entschieden. Dennoch wächst die Kritik an den Einschnitten im Grundrecht auf Versammlungsfreiheit – nicht nur in Sachsen.
Hanning Voigts, Redakteur bei der Frankfurter Rundschau, kommentierte auf Twitter: »Leute, ganz ehrlich. Es kann doch nicht sein, dass es mittlerweile eine völlig gängige Haltung ist, Demonstrationen einfach verbieten zu wollen, weil sie einem politisch nicht passen. Was ist denn los mit eurem demokratischen Kompass?« Gegen Demos, die nicht gefallen, solle man Gegendemos organisieren und nicht darauf hoffen, dass das Ordnungsamt das regele. Mit »Ja, Querdenken ist Mist. Aber ich will nicht, dass dieser Mist mit den Mitteln eines autoritären Staates bekämpft wird. Und ihr alle solltet das verflucht nochmal auch nicht wollen« schließt er seinen Twitter-Thread.
Leute, ganz ehrlich. Es kann doch nicht sein, dass es mittlerweile eine völlig gängige Haltung ist, Demonstrationen einfach verbieten zu wollen, weil sie einem politisch nicht passen. Was ist denn los mit eurem demokratischen Kompass?
— Hanning Voigts (@hanvoi) January 8, 2022
Georg Restle, Redaktionsleiter Monitor (ARD), fasste auf Twitter ebenfalls zusammen: »Ja, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gilt selbstverständlich auch für Durchgeknallte und Weltfremde, für Radikale und Extreme. Es ist kein Privileg der Mehrheitsgesellschaft. Im Gegenteil.«
Michèle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie bezeichnete die Anhebung der Personenanzahl von 10 auf 200 für stationäre Kundgebungen als »Schlechten Witz«. Sie meint: »Letztlich beschränkt die sächsische Landesregierung das Versammlungsrecht wohl aus organisatorischen, nicht aus gesundheitspolitischen Gründen. Sachsen macht mit seinem restriktiven Kurs bundesweit keine gute Figur.«
Irena Rudolph-Kokot, vom Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz fordert eine Aufhebung der Beschränkungen »und die Verlagerung der Entscheidung auf die Versammlungsbehörden, welche das über Auflagen regeln können«.
Auch die Gruppe »Rassismus tötet« meldete sich in der Debatte zu Wort. Sie könne die in den vergangenen Wochen angesprochene Überlastung und Überforderung der Polizei Sachsen bei linken Versammlungen nicht bestätigen. »Um nicht missverstanden zu werden, wir fordern keine verstärkte Repression gegen die rechten Versammlungen der Corona-Leugner*innen oder gar Polizeigewalt gegen diese. Im Gegenteil, wir verlangen ein Ende der Repression und Schikanen gegen linke Versammlungen und Proteste in Sachsen und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zurück«, fügen sie hinzu. »In Leipzig wissen wir, das Wirksamste gegen eine rechte Straßenbewegung ist konsequenter Antifaschismus, auch auf der Straße.«
Laut der Entwurfsfassung, die dem kreuzer vorliegt, sind stationäre Kundgebungen bis zu 200 Personen ab Freitag wieder legal. Bei unter 420 belegten Intensiv- oder 1.300 Normalbetten in sächsischen Kliniken und einer Inzidenz unter 1.500 wären auch Demonstrationen mit 1.000 Menschen im Freistaat wieder erlaubt.
Titelfoto: Marco Brás dos Santos